
Vom Plenarsaal bis zur Kuppel : Ein Blick hinter die Kulissen des Bundestages
Bei einer Führung durch das Reichstagsgebäude können Besucher den Bundestag entdecken. Und mehr über Geschichte, Kunst und Architektur erfahren.
Es ist Mittwochmittag, kurz vor zwölf Uhr. Im Eingangsbereich des Reichstagsgebäudes hat sich eine Gruppe von etwa zwanzig Menschen versammelt, die Englisch, Französisch oder Polnisch sprechen. Sie kommen aus verschiedenen Teilen der Welt: eine Familie aus Kalifornien, ein Paar aus Warschau und eine Frau aus London mit ihren beiden Töchtern. Was sie alle verbindet, ist die Neugier auf einen Ort, an dem Politik gemacht wird.
Führungen statt Fraktionssitzung
Heute geht es für sie auf Englisch durch das Herz der deutschen Demokratie. Vor ihnen liegt der Plenarsaal, der an diesem Tag leer ist, da Ferien sind und das Parlament nicht tagt. Die blauen Stühle bleiben also unbesetzt. Drei Glastüren trennen die Besucherinnen und Besucher vom Raum, in dem während der Sitzungswochen über das politische Geschehen debattiert wird. Über den Eingangstüren zum Saal stehen die Worte „Ja“, „Nein“ und „Enthaltung“.
Ein Detail, das für Irritation sorgt und gleich zu einer ersten Besonderheit des deutschen Parlaments führt, auf die die Besucherführerin Gabriele Schnurnberger hinweist: In Deutschland, so erklärt sie, stimmen die Abgeordneten meist per Handzeichen oder durch Aufstehen ab. Wenn das Ergebnis unklar ist, erfolgt eine sogenannte Auszählung per Hammelsprung. Die Abgeordneten verlassen den Plenarsaal und betreten ihn erneut – je nach Stimmverhalten durch eine der drei Türen.
Der Bundestag gehört zu den meistbesuchten Parlamenten weltweit
„Dass in so einem modernen Parlament nicht elektronisch abgestimmt wird, hätte ich wirklich nicht erwartet“, sagt Annie Richards aus London. Sie war bereits mehrmals in Berlin, aber die Führungen durch den Bundestag waren bisher immer ausgebucht. Diesmal hat sie für sich und ihre zwei Töchter online frühzeitig Tickets reserviert.
Die Führungen im Reichstagsgebäude sind sehr gefragt: Jährlich kommen über 600.000 Besucherinnen und Besucher – laut Besucherdienst zählt der Bundestag damit zu den meistfrequentierten Parlamenten der Welt. Eine der rund 50 Honorarkräfte, die diese Rundgänge leiten, ist Schnurnberger. Zusätzlich beschäftigt der Besucherdienst etwa 50 Festangestellte sowie rund 200 studentische Aushilfen.
„Langweilig wird es nie, jede Gruppe ist anders.“
Seit 1999 ist Schnurnberger, die aus Baden-Württemberg stammt, im Bundestag in Berlin tätig. Neben Führungen hält sie auch Vorträge, moderiert Veranstaltungen und begleitet das Planspiel, das Schulklassen den Parlamentsbetrieb näherbringt. An einem Tag wie diesem führt sie bis zu vier Gruppen durch das Gebäude. „Langweilig wird es nie, jede Gruppe ist anders“, sagt sie. „Mal liegt der Fokus auf der Architektur, mal auf der Geschichte oder der Kunst im Bundestag.“
Heute, bei dieser internationalen Gruppe, geht es vor allem um Vergleiche zwischen den Parlamenten. Wie funktioniert die parlamentarische Demokratie in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern? Richards aus London findet, dass der Bundestag im Vergleich zu Westminster riesig wirkt. Besonders aber interessiert sie sich für den Architekten Norman Foster, der das Innere des Reichstagsgebäudes nach der Wiedervereinigung umgestaltete und auch die berühmte Kuppel des Gebäudes entwarf.
Das Highlight der Führung ist die Kuppel des Reichstags
Doch zur Kuppel geht es erst später. Zunächst führt der Weg weiter durch das Gebäude, hin zum Andachtsraum, einem schlichten, lichtgedämpften Raum mit wenigen Holzstühlen und einem Altar aus Granit. Ein Ort der Stille, offen für alle Konfessionen, gedacht für Besinnung und Rückzug. Theoretisch jedenfalls. Praktisch drückt bereits die nächste Besuchergruppe die Tür auf. Der Moment der Ruhe endet abrupt. Schnurnberger nimmt es mit Fassung und setzt den Weg fort.
Neben der Gruppe von Schnurnberger sind zahlreiche andere Besuchergruppen unterwegs, die immer wieder den Weg kreuzen. Auch auf der Besuchertribüne im Plenarsaal haben sich weitere Gäste mit ihrem Guide versammelt. Doch die Gruppen kommen sich nicht in die Quere. Auf den Tribünen finden bis zu 220 Personen Platz.
Der Blick von dort fällt direkt auf das Rednerpult, die leeren Fraktionsplätze und die Kanzlerbank – heute ohne Kanzler. Ein britischer Besucher hebt die Hand und fragt: „Hat König Charles IIII. 2023 bei seinem Deutschlandbesuch dort unten gesprochen?“ Kurz darauf folgt die nächste Frage: „Und wie war sein Deutsch?“ Schnurnberger kennt diese Fragen nur zu gut. Sie beantwortet sie mit einem Lächeln: Ja, Charles III. habe dort gesprochen, und sein Deutsch sei sehr gut gewesen. Man merkt, sie tut das nicht zum ersten Mal.
Der Höhepunkt der Führung ist für viele der Aufstieg zur Kuppel. Und an diesem Tag haben die Gäste Glück: Der Himmel über Berlin zeigt sich in strahlendem Blau, die Sonne scheint. Fast alle zücken ihre Handys, um Fotos zu machen. Der Blick reicht weit – vom Fernsehturm im Osten bis zum Kanzleramt im Westen.
Der Bundestag als Symbol der Einheit und Demokratie
Linn Moore aus Kalifornien ist mit ihrem Mann, ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter zum ersten Mal in der Stadt. Sie ist beeindruckt von der Offenheit des Ortes, von der Architektur, von der Idee, politische Macht buchstäblich transparent zu machen. „It’s just awesome“ – „Es ist einfach großartig“, sagt sie.
Die Amerikanerin interessiert sich besonders für die Geschichte der geteilten Stadt. Vom Dach des Reichstagsgebäudes aus fragt sie: „Wo genau verlief die Mauer?“ Ihr Sohn, der Berlin schon öfter besucht hat, zieht mit der Hand eine Linie in die Luft. Der letzte Schwung führt vom Hauptbahnhof bis zum Brandenburger Tor. Der Bundestag, heute ein Symbol für Einheit und Demokratie, liegt fast genau in der Mitte.
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