Der Stenografische Dienst : „Stenografie ist ein mentaler Hochleistungssport“
Die Stenografen im Bundestag halten alles fest, was im Plenum passiert – bis ins kleinste Detail. Warum diese Arbeit höchste Konzentration erfordert und selbst…
Um das Wort "Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz" per Hand zu schreiben, brauchen die meisten Menschen mehr als zwölf Sekunden. Nicht so Melanie Hoffmann: Sie setzt kurz eine Pfeilspitze nach links und lässt eine Wellenlinie folgen, die gerade nach unten abfällt - das gesamte Wort auf wenige Zeichen reduziert.
Hoffmann ist Stenografin im Deutschen Bundestag und dafür verantwortlich, jedes Wort und jede Reaktion im Plenarsaal festzuhalten. Wenn jemand eine Bemerkung einwirft, applaudiert oder lacht - Hoffmann und ihr Team protokollieren es, inklusive Namen des Abgeordneten und seiner Fraktion.
Hoffmann und ihre Kollegen nutzen eine Technik mit einer langen Tradition: Stenografie, eine Kurzschrift, die schon seit Jahrhunderten eingesetzt wird, um Gespräche und Reden schnell und präzise mitzuschreiben. Im Gegensatz zur herkömmlichen Handschrift, die etwa 40 Silben pro Minute zulässt, erreicht Hoffmann ein Tempo von bis zu 500 Silben in der selben Zeit.
Der stenografische Dienst ist mittendrin und doch im Hintergrund
Das hohe Tempo ist unerlässlich: Die Stenografen sorgen dafür, dass sämtliche Wortbeiträge der Sitzung schon am Folgetag vorliegen. Bei großen Kernzeitdebatten am Morgen stehen die Protokolle häufig sogar schon am Nachmittag bereit. Mit dieser Geschwindigkeit zählt der Stenografische Dienst des Bundestages weltweit zu den schnellsten seiner Art. 16 Stenografen sind dafür an einem Sitzungstag im Einsatz. Ihre Plätze haben sie mitten im Geschehen - zwischen Rednern und Abgeordneten. Stift und Papier sind dort, im Plenarsaal, ihre wichtigsten Arbeitsmittel. "Das Papier sollte möglichst glatt sein", erklärt Hoffmann, "damit nicht so viel Reibung entsteht und man schneller schreiben kann". Manche Stenografen bevorzugen den Bleistift, andere den Kugelschreiber, und fast alle haben mindestens zwei Ersatzstifte griffbereit.
Der Arbeitsablauf im Team ist genau eingespielt: Nach zehn Minuten im Plenarsaal beginnt die nächste Phase. Die Texte werden erfasst, durch Schreibkräfte oder digitale Hilfsmittel wie die sprecherabhängige Spracherkennung, mit Redemanuskripten oder den Texten der Live-Untertitelung.
Dabei werden die Reden redaktionell geglättet: "Die gesprochene Sprache ist anders als die geschriebene", erklärt Hoffmann. "Wenn alles exakt so verschriftlicht würde, wie es im Plenum gesagt wird, wären die Reden oft schwer verständlich. Deshalb sind redaktionelle Anpassungen nötig, damit das Protokoll lesbar bleibt." Auch die Fakten werden überprüft. Ist tatsächlich die "Internationale Energiebehörde" gemeint, wie ein Abgeordneter im Plenum sagt, oder doch die "Internationale Energieagentur"? Geht es um fünf Milliarden oder um fünf Millionen Euro in der Haushaltsdebatte? Stenografische Revisorinnen und Revisoren prüfen in einem zweiten Durchgang die Protokolle daraufhin, ob sie sprachlich und inhaltlich richtig sind und sorgen für Klarheit. Zwei Stunden nach dem Redebeitrag erhalten die Abgeordneten eine erste Fassung zur Korrektur, die sie bei Bedarf anpassen können.
Warum Technik Stenografen nicht ersetzen kann
Die wachsende Zahl von Fraktionen und Bundestagsabgeordneten in den vergangenen Jahren macht die Arbeit heute anspruchsvoller als früher. Damit keine Namen vergessen werden, hilft den Stenografen ein Trainingsprogramm, mit dem sie regelmäßig üben. "Stenografie ist ein mentaler Hochleistungssport", sagt Hoffmann. Die Konzentration auf jedes Wort, der ständige Wechsel zwischen Zuhören und Schreiben - das fordert höchste mentale Disziplin.
Künstliche Intelligenz und Spracherkennung spielen in Hoffmanns Beruf bisher kaum eine Rolle. Zwar könnten automatische Systeme Reden aufzeichnen und verschriftlichen, doch zwischen der Vielzahl an Stimmen und Geräuschen im Plenarsaal die Quelle eines Zwischenrufs oder eines Beifalls korrekt zuzuordnen, übersteigt die Fähigkeiten aktueller Technik. Auch Dialekte und regionale Sprachfärbungen stellen die Technik vor Hürden, die menschliche Expertinnen und Experten besser meistern können.
Doch das Können der Stenografie ist für Hoffmann nicht nur im Bundestag nützlich. Zwar verzichtet sie auf Steno-Einkaufslisten einfach damit auch andere Familienmitglieder Besorgungen erledigen können - für die bald anstehenden Geschenkelisten zu Weihnachten sei die Kurzschrift jedoch ideal, wie sie schmunzelnd anmerkt.
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