Parlamentarisches Profil : Der aus dem Kiez: Stefan Gelbhaar
Die Themen, die der Grünen-Abgeordnete Stefan Gelbhaar beackert, erfordern Beharrlichkeit. Der Mann aus Berlin-Pankow befasst sich vor allem mit Mieten und Verkehr.
Beim Eintritt in dieses Büro befällt einen eine Gemütlichkeit. Sind es die Holzwände im Trakt, die heruntergelassenen Jalousien oder die Socken, mit denen sich der Abgeordnete zeigt? Stefan Gelbhaar, im Wahlkreis 76 Berlin Pankow direkt für die Grünen in den Bundestag gewählt, verbreitet eine Entspanntheit, die mit Müßiggang nichts zu tun haben kann, wenn man sich seinen Terminkalender ansieht. Und dennoch. Vielleicht ist es das Kiezgefühl, das vom geborenen Berliner ausgeht. Doch die Themen, die der 48-Jährige beackert, erfordern Beharrlichkeit und Kraft, da kann es mit der Gemütlichkeit schnell vorbei sein.
Auf ein eigenes Auto verzichtet Gelbhaar inzwischen und hat gemerkt, dass es in Berlin auch ohne gut läuft. Er ist gerne mit dem Fahrrad unterwegs.
Die Effizienz von Autos kann hinterfragt werden
"In Deutschland gibt es 49 Millionen Autos bei 84 Millionen Einwohnern", sagt Gelbhaar. "Das bedeutet, alle Deutschen passen schon auf die Vordersitze - und dann stünden noch Millionen Autos leer rum. Da darf man schon die Effizienz hinterfragen." Die Ausgangslage: Bisher genießen Autos im öffentlichen Raum eine Menge Platz, mehr als es beispielsweise Spielplätze gibt. "Fahrräder oder der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) brauchen und bekommen deutlich weniger Platz". Man kann nicht sagen, dass der Jurist untätig geblieben wäre, seit er 2017 in den Reichstag einzog.
Gelbhaar engagierte sich für Fahrradstellplätze im Bundestag, triezte die Bundesregierung wegen der Fördermittel für den ÖPNV, nervte den Bund, damit endlich Abbiegeassistenten für Lkw zum Standard werden und setzte mit durch, dass Fahrradpolitik auch Angelegenheit auf Bundesebene wird.
Autofreies Berlin ist für viele Menschen eine Vision
Der Familienvater verzichtete unlängst auf das Auto, als es kaputtging, und befand: "Es geht eben auch ohne". Schwebt ihm ein autofreies Berlin vor? "Das ist für viele Menschen eine große Vision. Allerdings macht allein der Wirtschaftsverkehr rund die Hälfte des Berliner Autoverkehrs aus. Es ist kompliziert."
Hört man Gelbhaar länger zu, fällt mehrmals das Wort "logisch". Dass zum Beispiel Eintreten für mehr Ökologie in der Politik logisch sei - das hatte er angenommen, als er begann, sich näher für sie zu interessieren. "Doch es sind dann stets die Bündnisgrünen, welche die ökologischen Projekte und Themen vorantreiben. Fehlen die Bündnisgrünen, bleiben Umwelt und Klima irritierenderweise immer wieder auf der Strecke."
Prägende Erlebnisse als Jugendlicher in der Wendezeit
In Pankow aufgewachsen, wurde der damals 13-Jährige Zeuge des Berliner Mauerfalls, beziehungsweise: "Ich verschlief ihn, musste ja am nächsten Tag zur Schule. Ich erinnere mich aber, dass es ein Donnerstagabend war." Die Veränderung vollzog sich teils ganz konkret: Plötzlich konnte ein Gehweg normal betreten werden, der noch Tage zuvor militärische Sperrzone war.
Dem Teenager präsentierte sich ein "fast unglaubliches Berliner Überangebot an Kultur, an Clubs, an Kinos, an Konzerten." Doch die Erfahrung von Arbeitslosigkeit in nahezu jeder ostdeutschen Familie prägten das Bild noch stärker.
Schon immer fest verwurzelt in Berlin-Pankow
All das führte zum Studium der Rechtswissenschaft in Berlin, als waschechter Berliner kam er quasi aus seinem Kiez nicht mehr heraus. Warum auch? Gelbhaar trat als Student den Grünen bei, genauer: Bündnis 90/Die Grünen, diese Bezeichnung ist ihm wichtig. Er begann mit Engagements auf Bezirksebene, wurde Delegierter - im Beruf dann Anwalt und Strafverteidiger. 2005 wurde er in Pankow Kreisvorsitzender, einte den zerstrittenen Parteiverband, vielleicht war es seine entspannte Art?
Zwei Themen machte er damals aus: Mieten und Verkehr. Gegen die Erhöhung von Mieten mobilisierte er Widerstand wie gegen den Ausbau der Berliner Stadtautobahn A 100. Die Verkehrspolitik wurde dem "ÖPNV-Kind" zum Kernthema. Woher kommt dieses Dranbleiben, ist es Ehrgeiz? "Das Wort ist nicht meins - es ist eine komische Kombination aus Ehre und Geiz."
Dann sagt er: "Das können andere besser beurteilen, aber vielleicht bin ich in gewisser Weise konsequent." Wie es so ist, wenn man in Kindheit und Jugend Leistungssport betrieb, Schwimmen, Schach und Handball. "Aber das ist lange her. Immerhin, das Radfahren nach Hause ist geblieben."
Bei der Verkehrsplanung geht es nicht nur um Fortbewegung - es geht auch um die Frage: Wie wollen wir zukünftig leben, sagt Mobilitätsforscher Thomas Sauter-Servaes.
Die Umgestaltung von Straßen und Wohnvierteln für mehr Fuß- und Radverkehr führt oft zu Protesten. Doch es geht auch anders.