Parlamentarisches Profil : Der Europäische: Knut Abraham
Soldat, Diplomat, Abgeordneter - Knut Abraham bringt viel Expertise für sein außenpolitisches Engagement im Bundestag mit.
Wenn die Glocken auf der Plenarsaalebene des Reichstag zur Abstimmung rufen, klingen sie ab einem gewissen Moment etwas schrill. Doch im Vergleich zu den Sirenen, welche die Menschen etwa in Kiew hören, weil wieder Kampfdrohnen oder Raketen im Anflug sind, wirken sie wie reine Nachtmusik. Mit diesem Hintergrundrauschen ruft Knut Abraham aus der althergebrachten Telefonbox auf der Ebene an. "Das markierte einen Wendepunkt in der europäischen Geschichte", sagt er mit Blick auf den Jahrestag des Angriffs Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022. Seitdem herrscht Krieg in Europa. Und er ist näher, als man manchmal denkt.
Knut Abraham sitzt seit 2021 im Bundestag. Zuvor war er seit 2018 Gesandter und ständiger Vertreter des Leiters der Deutschen Botschaft in Warschau.
Ansehen und moralische Autorität Deutschlands in Osteuropa haben gelitten
"Ich hatte in der Nacht sehr schlecht geschlafen", erinnert sich Abraham. Die Angst, dass etwas passieren könne, habe in den Tagen davor in der Luft gelegen. "Mit dem Überfall stellte sich in den ersten Tagen bei mir ein Gefühl der völligen Unsicherheit ein. Welche Art der Kriegsführung wird es durch die russischen Kräfte geben? Können sich die Ukrainer verteidigen?" Abraham, 57, ehemaliger Zeitsoldat, Diplomat und Abgeordneter der CDU im Bundestag, hört man am Hörer den Kopf schütteln.
Seitdem sprechen zwischen Russland und der Ukraine die Waffen, immer noch muss sich letztere der Angriffe erwehren. "Durch die zögerlichen Reaktionen aus Deutschland am Anfang haben wir an Ansehen und moralischer Autorität in Osteuropa verloren", sagt Abraham. "Mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln müssen wir die Ukraine unterstützen. Die Konsequenzen dieses Krieges gehen uns alle an." Da sieht er keine rote Linie? Bei den Marschflugkörpern "Taurus", sagt er, fühle sich seine Fraktion nicht ernst genommen, weil die Bundesregierung keine Gründe für die Nichtlieferung nenne. "Das Parlament hat ein Recht auf Aufklärung, und sei es in internen Gremien, wo sowas vertraulich erörtert werden kann."
Abraham bezeichnet sich als klassischen Konservativen
Abrahams Blick auf den Osten ist ein sensitivierter. Im Sachsenwald, rund 35 Kilometer von der innerdeutschen Grenze aufgewachsen, habe der größte Teil der Verwandtschaft in der DDR gelebt. Die Familie: ursprünglich aus Ostbrandenburg jenseits der Oder. "Die Teilung ließ mich nicht kalt, auch nicht, dass sie für viele so normal war." Schon als Jugendlicher engagierte er sich in der Jugendorganisation der Paneuropa-Union, beteiligte sich seit 1987 an Medikamententransporten nach Polen, lernte Polnisch. "Über die Entsetzlichkeit der deutschen Naziverbrechen muss man sprechen - und ein gemeinsames Europa schaffen", sagt er. Gleich, in eineinhalb Stunden, wird er zur deutsch-polnischen Zusammenarbeit im Bundestag reden. Früh wurde er Mitglied der Jungen Union, beide Eltern engagierten sich in der Kommunalpolitik, aber in einer Wählerinitiative, "mein Vater wählte zu meinem Leidwesen häufig die FDP", sagt er. Abraham selbst bezeichnet sich als klassischen Konservativen.
Sein Blick weitete sich in der Kindheit, als er zwei Jahre in Äthiopien verbrachte; sein Vater hatte als Dozent für Volkswirtschaftslehre an der Uni Hamburg in Addis Abeba eine Gastprofessur inne. "Nach unserer Rückkehr abonnierten meine Eltern die Zeitschrift 'Newsweek'", sagt er. Deren Lektüre habe wahrscheinlich den Grundstein gelegt für sein Interesse an Außenpolitik.
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Abraham wechselte nach zwei Jahren als Zeitsoldat, der Ausbildung zum Volljuristen und nach Jahren der Büroleitung für den Europaabgeordneten Otto von Habsburg in den Diplomatischen Dienst. Helsinki, Sofia, Washington D.C. und Warschau waren seine Stationen, zuletzt als ständiger Vertreter des Leiters. Zwischendurch drei erfolglose Kandidaturen fürs Europäische Parlament, "ich machte es für die Sache und für die Partei, die Listenplätze waren chancenlos". Dann aber, 2021, der Einzug in den Bundestag, wo er im Auswärtigen Ausschuss sitzt und Obmann im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ist. "Auf diese Art Außenpolitik weiter zu betreiben, ist äußerst spannend", sagt er. "Als Diplomat musste ich ja zuweilen in die Serviette beißen. Das muss auch so sein. Nun aber kann ich stärker mitgestalten."