Parlamentarisches Profil : Die Sachkundige: Gökay Akbulut
Die migrationspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag über ihr persönliches Ankommen in Deutschland und was eine echte Willkommenskultur für sie bedeutet.
Für ihre Arbeit in der Legislative qualifizierte sich Gökay Akbulut mit spätestens elf Jahren. Da hatte sie das Behördendeutsch genügend durchdrungen, bei ihren vielen Gängen zu Ämtern, auf denen sie für ihre Eltern übersetzte.
Es braucht eine echte Willkommenskultur, sagt Gökay Akbulut. Sie ist migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion.
Heute ist sie 40, Mitglied des Bundestages und schaut auf eine politische Biografie zurück, die sie als Grundschülerin von der Türkei nach Deutschland brachte, wo ihr politisches Leben sich fortsetzte. Akbulut, Abgeordnete der Linken, ist migrationspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, außerdem ist sie Obfrau im Familienausschuss. Einen Rechtsruck mache sie im Land aktuell aus, sagt sie, als sie sich in ihrem Büro an einen runden Besprechungstisch setzt. "Das sind gerade Prozesse, die für die postmigrantische Gesellschaft sehr beängstigend sind", sagt sie. "Es betrifft uns und andere Gruppen wie Frauen allgemein oder queere Personen". Die Gründe sehe sie in dem verbreiteten Gefühl, abgehängt zu sein. "Da sind die vielen Krisen, die Inflation, der Krieg, aber auch allgemein die Globalisierung." Eine fatale Entwicklung sei das, aber es gebe auch einige progressive Elemente, die sie in der Ampelregierung erlebe. "Das Staatsangehörigkeitsrecht zum Beispiel ist ein Schritt nach vorn, aber wegen des Fachkräftemangels brauchen wir eine echte Willkommenskultur, sonst ist unsere Wirtschaft gefährdet."
Wunsch nach Politik als Beruf im Alter von 15 Jahren
Akbulut weiß, wovon sie spricht. Ihre erste Station in Deutschland war eine Sammelunterkunft, in der sie ein halbes Jahr lang lebte, "es war dreckig und überfüllt, man war mit sechs bis acht fremden Menschen in einem Raum". Eine Willkommenskultur habe sie dann später erfahren, nach dem Umzug nach Hamburg, durch die Lehrer ihrer Schule. "Die haben mich gefördert, obwohl es anfangs, wegen der Sprachkenntnisse, hieß: 'Das wird nur Hauptschule.'" Denkste. Aber damals war Mehrsprachigkeit noch nicht als Stärke anerkannt - "es sei denn, es handelt sich um die G7-Sprachen Englisch oder Französisch".
Akbulut ist kurdische Alevitin und stammt aus einer politischen Familie. Zu ihrer Kindheit gehörte, dass Bekannte verhaftet und gefoltert wurden. In der Schule in der Türkei gehörte sie mit sechs anderen Mitschülern ihrer Klasse zur Minderheit, "das ließ man uns spüren". Wer es gewagt habe, Kurdisch zu sprechen, und der Lehrer es hörte, sei er mit einem Stock gekommen. "Fünf Schläge pro Hand", erinnert sie sich. In Deutschland habe sie dann schnell angefangen mit Zeitungslektüre, "auch um meine Eltern auf dem Laufenden zu halten". Mit 15 sei ihr klar gewesen, dass sie Politik auch im Beruf betreiben wolle.
Willkommenskultur beginnt durch Begegnung
Nach dem Abi studierte Akbulut Politikwissenschaft, Soziologie und Öffentliches Recht in Heidelberg und im kanadischen Montreal. Als eine von wenigen Studierenden ergatterte sie ein Praktikum bei den Vereinten Nationen in New York; ihr Studium finanzierte sie mitunter mit Kellnern und der Arbeit in Callcentern. Und zwei Praktika bei Bundestagsabgeordneten der Linken absolvierte sie. "Die Linke ist gegen jede Militarisierung, das sprach dafür", sagt sie über ihre Entscheidung, im Jahr 2006 der Partei beizutreten. Und die kurdische PKK, die durchaus Gewaltanwendung kennt? "Das sehe ich auch kritisch."
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Eine Willkommenskultur, sagt sie, beginne überall dort, wo es Begegnung gebe. "Es macht auch keinen Sinn, zwischen Geflüchteten und Arbeitsmigranten zu unterscheiden, sie gegeneinander auszuspielen." Akbulut, die seit 2017 im Bundestag ist, spielt auf Auseinandersetzungen mit ihrer Noch-Fraktionskollegin Sahra Wagenknecht an - mit einem Höhepunkt im Jahr 2018, als Wagenknecht gegen den UN-Migrationspakt sprach und sie dafür. "Das ist ein wichtiges Regelwerk", sagt sie. "Niedriglohnbereiche sind stark migrantisch geprägt, aber da ist die Wirtschaft anzuprangern, nicht der Migrant, der die Arbeit annimmt, weil er nichts anderes findet." Gegen Wagenknecht setzte sie sich damals durch. Und sieht heute die Partei auf einem guten Wege, "der Vorstandsbeschluss, der Wagenknecht den Rückzug nahelegte, war überfällig".