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Interview : "Dry-Income-Problem lösen"

Die Startup-Beauftragte des Wirtschaftsministeriums, Anna Christmann, will mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz den Standort Deutschland stärken.

23.09.2023
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5 Min
Foto: Deutscher Bundestag/Inga Haar

Anna Christmann (Bündnis 90/Die Grünen) ist Bundestagsabgeordnete und Startup-Beauftragte des Bundeswirtschaftsministeriums.

Frau Christmann, die USA, Großbritannien und Israel gelten als Spitzenländer für Startups. Warum tun wir uns in Deutschland so schwer, aus Ideen Unternehmensgründungen zu machen?

Die Gründungsdynamik ist in Deutschland in den zurückliegenden Jahren sehr positiv gewesen, mit Ausnahme des vergangenen Jahres. Aber dieses Jahr sehen wir schon wieder 16 Prozent mehr Gründungen als 2022. Die Richtung stimmt also, aber wir wollen die Rahmenbedingungen noch deutlich verbessern, damit die Gründungsdynamik noch stärker wird. Die Bundesregierung hat dazu im vergangenen Jahr ihre Startup-Strategie beschlossen. 45 Prozent der dort vorgesehenen Maßnahmen sind umgesetzt, wie der jüngste Fortschrittsbericht zeigt.

Nachholbedarf besteht vor allem für Unternehmen, die die unmittelbare Startup-Phase hinter sich gelassen haben und in einer Wachstumsphase sind, sogenannte Scaleups. Diese klagen über große Schwierigkeiten, an Kapital zu kommen. Inwiefern hilft das Zukunftsfinanzierungsgesetz in dieser Phase?

Wir müssen insgesamt ein besserer Standort werden für Wagniskapital. Für die erste Gründungsphase gibt es mittlerweile viele Förderprogramme, aber je größer die Unternehmen werden und je mehr Kapital sie benötigen, desto schwieriger wird es für sie in Deutschland und Europa. Genau darauf legen wir in unserer Startup-Strategie einen Schwerpunkt mit dem Zukunftsfonds.

In dem Zukunftsfonds stehen zehn Milliarden Euro bis 2030 für junge Unternehmen in der Wachstumsphase zur Verfügung. Das klingt viel, ist aber wenig im Vergleich zu Wagniskapitalinvestitionen in den USA. Wie sehen Sie das?

Wir wollen aufholen zu den USA. Das geht aber nicht von einem auf den anderen Tag. Mit den zehn Milliarden Euro im Zukunftsfonds wollen wir in Deutschland nun insgesamt für Investitionen in Höhe von 30 Milliarden Euro sorgen. Wenn wir öffentliches Geld in diesem Bereich bereitstellen, dann müssen immer auch private Investoren gewonnen werden. Das gelingt, indem der Staat in Wagniskapitalfonds investiert, in denen auch private Investoren engagiert sind. Ein Beispiel dafür ist die European Tech Champions Initiative - ETCI. Dort haben verschiedene EU-Mitgliedsstaaten knapp vier Milliarden Euro angelegt. Der ETCI investiert selbst in bestehende private Risikokapitalfonds. So soll öffentliches und privates Investitionskapital für Unternehmen entstehen und die Konkurrenzfähigkeit Europas im Vergleich zu anderen Weltregionen steigen.

Welche Rolle messen Sie in dem Zusammenhang der europäischen Kapitalmarktunion bei, an der auf EU-Ebene seit vielen Jahren gearbeitet wird?

Europäische Initiativen sind wichtig. Zu oft sehen die Mitgliedsstaaten nur ihren eigenen Markt, der eben vergleichsweise klein ist. Deutschland ist zwar in Europa relativ groß, aber weltweit doch eher klein. Es ist wichtig, in ganz Europa den Zugang zu Kapital für Unternehmen zu stärken.

Die Opposition kritisiert, dass Sie zu wenig tun für die Aktienkultur in Deutschland. Zum Beispiel könnte eine niedrigere Besteuerung von Aktienanlagen etwa zur Altersvorsorge den Kapitalmarkt insgesamt beleben. Was halten Sie davon?

Jetzt kommt erstmal das Zukunftsfinanzierungsgesetz. Das ist ein wichtiger Schritt, um den Finanzplatz zu stärken. Insgesamt zeigen wir, dass Wagniskapital kein riskantes Zocken ist, sondern ein wichtiger Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung. Unter diesem Licht werden wir weitere Diskussionen führen.

Das heißt, weitere Steuersenkungen oder steuerliche Förderungen in diesem Bereich sind aus Ihrer Sicht durchaus denkbar?

Das wird derzeit nicht innerhalb der Bundesregierung diskutiert.

Wo erwarten Sie beim Zukunftsfinanzierungsgesetz im Laufe des parlamentarischen Verfahrens noch Änderungen?

Ich bin zuversichtlich, dass wir das sogenannte Dry-Income-Problem lösen. Wenn junge Unternehmen ihren Mitarbeitern Anteile am Unternehmen geben, dann wollen wir großzügigere Regelungen, was die Besteuerung angeht. Denn in dem Moment fließt ja noch kein Geld. Deshalb sind hier größere Möglichkeiten zum Aufschub für die Begleichung der Steuerschuld nötig. Ich nehme eine große Unterstützung dafür im Parlament wahr. Es geht noch um Feinheiten, aber da werden wir praxistaugliche Lösungen finden.

Die Startup-Branche wünscht sich, dass die Steuerermäßigung bei Mitarbeiterbeteiligungen auch für sogenannte vinkulierte Anteile gelten soll (s. Seite 3). Können Sie der Gründerszene hierauf Hoffnung machen?

Das meine ich mit Praxistauglichkeit. Es gibt dazu eine Absichtserklärung der Bundesregierung. Wir wollen diese Frage im parlamentarischen Verfahren behandeln.

Ein wesentlicher Faktor für den Erfolg von Startups ist der weltweite Kampf um Fachkräfte, der sogenannte War of Talents. Wie anziehend ist Deutschland mittlerweile für solche Talente?

Deutschland ist insgesamt ein sehr attraktiver Standort. Wir haben sehr attraktive und lebenswerte Städte, ein sehr gut ausgebautes Sozialsystem, tolle Kindergartenplätze. Diese Botschaft müssen wir international stärker setzen. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat die Ampel-Koalition zum Ausdruck gebracht, dass wir in Deutschland internationale Talente haben wollen. Für IT-Experten beispielsweise entfällt die Notwendigkeit, deutsche Sprachkenntnisse vor Aufnahme einer Tätigkeit in Deutschland vorzuweisen. Damit zeigen wir: Deutschland ist ein internationaler Arbeitsmarkt. Das stand in der Vergangenheit zu wenig im Fokus.

Als Hemmnis bleibt aber die hohe Belastung von Arbeitnehmern mit Steuern und Abgaben in Deutschland. Wie lässt sich das lösen?

Die Schwierigkeit für Fachkräfte besteht derzeit eher darin, ein Visum zu bekommen. Es dauert zu lange, bis deutsche Behörden Arbeitsgenehmigungen erteilen. Der bürokratische Aufwand ist zu hoch. Bisher waren auch die Anerkennungsverfahren für ausländische Studienabschlüsse oder die Anerkennung von Berufserfahrung zu komplex. Das Fachkräfteeinwanderergesetz sorgt hier für erhebliche Verbesserungen. Das muss aber jetzt im Konkreten umgesetzt und breit kommuniziert werden. Deutschland ist ein Ort, an dem internationale Fachkräfte hochwillkommen sind.

Was hat die Bundesregierung noch in der Pipeline, um Unternehmensgründungen in Deutschland zu befeuern?

Ein wichtiger Punkt sind Ausgründungen aus Hochschulen. Unsere Universitäten sind exzellent, ziehen Studierende aus aller Welt an. Aber im internationalen Vergleich folgen daraus wenige Unternehmensgründungen. Auch hier setzt die Startup-Strategie der Bundesregierung an.

Wie?

Wir haben den "Leuchtturmwettbewerb Startup Factories" ins Leben gerufen. Hochschulen sollen mit privaten Partnern Gründungszentren aufbauen. Das Ziel sind Ökosysteme von Hochschulen, privaten Investoren, Unternehmen und Gründern. Ein Vorbild ist die gemeinnützige UnternehmerTUM-Gesellschaft in München. Wir wollen solche Leuchttürme auch an anderen Hochschulen aufbauen. Derzeit bereiten wir dazu die Ausschreibung für den Wettbewerb vor, so dass wir hoffentlich in zwei Jahren fünf bis zehn neue Startup Factories an Hochschulen haben.

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Anna Christmann (Bündnis 90/ Die Grünen) ist Mitglied im Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgeabschützung, Koordinatorin der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt sowie Beauftragte des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz für digitale Wirtschaft und Startups