Verhaltene Reaktionen auf Wachstumsinitiative : Regierungspaket wird als unzureichend kritisiert
49 Punkte umfasst die "Wachstumsinitiative" der Ampelkoalition. Im Grunde alles richtig, aber nicht ausreichend, urteilen Ökonomen und Unternehmensverbände.
Das maue Wirtschaftswachstum schlägt auf den Arbeitsmarkt durch, mahnt das Bundesfinanzministerium. Die Zahl der Bürgergeld-Empfänger könnte steigen.
Die deutsche Wirtschaft kommt nicht so recht vom Fleck. Magere 0,2 Prozent an Wachstum erwartet der Internationale Währungsfonds (IWF) in seiner aktuellen Prognose. Die "eher schleppende" Wirtschaftsdynamik, die der IWF für Deutschland sieht, spüren auch die öffentlichen Haushalte: Ein maues Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wirkt negativ auf Steuer- und Beitragseinnahmen, sorgt aber für höhere Ausgaben. So verweist das Bundesfinanzministerium auf "Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt" und darauf, dass infolge der schwachen Wirtschaft die Zahl der Leistungsberechtigten in Grundsicherung "signifikant" gestiegen sei.
Eine Trendwende ist eher unwahrscheinlich
Die Bundesregierung will gegensteuern. "Die konjunkturelle Entwicklung kann nicht zufriedenstellen", räumte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) am Mittwoch ein, nachdem das Kabinett den Haushaltsentwurf 2025 sowie die Eckpunkte für eine "Wachstumsinitiative" beschlossen hatte.
Friedrich Heinemann, Leiter des Bereichs Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim, sagt über die Initiative auf Anfrage: "Das Paket markiert keine Trendwende in Richtung eines nennenswert höheren Wachstumspfads." Es sei schon viel, wenn daraus ein oder zwei Zehntel Prozentpunkte an Wachstumszunahme entstünden. "Eine Trendwende ist nicht möglich mit einem Paket, das eigentlich niemandem weh tun soll."
Ökonom Heinemann sieht "umfassende Sozialstaatsreform" als notwendig an
Auch die Wirtschaft zeigt sich von der Initiative enttäuscht. Der Bund der Deutschen Industrie (BDI) erwartet ebenfalls "nur marginale Wachstumseffekte". Die Regierung selbst rechnet mit einem Wachstumsimpuls von 0,5 Prozent des BIP. Das soll bereits 2025 mehrere Milliarden Euro an steuerlichen Mehreinnahmen generieren. Für substanziell mehr Wachstum sei "eine umfassende Sozialstaatsreform" nötig, meint Heinemann. "Dann aber reden wir von Dingen wie einem höheren Renteneintrittsalter, dem Ende des vollen Lohnausgleichs bei den ersten Krankheitstagen oder geringeren Steigerungen bei Rente und Bürgergeld." Politisch brächte das "keinen Spaß", sagt Heineman. "Aber ohne ein so breit gedachtes Programm wird es keine Wende zu höherem Wachstum geben - das sollten auch die Menschen verstehen lernen."
So versprechen sich Heinemann und seine ZEW-Kollegin Katharina Nicolay relativ wenig davon, dass Unternehmen künftig Investitionen schneller steuerlich abschreiben können. Der degressive Satz soll von 20 auf 25 Prozent bis 2028 steigen. Zwar sei dies zu begrüßen, sagt Heinemann: "Die Investitionsanreize für profitable Unternehmen steigen." Ein nennenswerter Impuls, in Deutschland zu investieren, gehe für Unternehmen davon aber nicht aus. "Deutschland bleibt im internationalen Vergleich ein steuerlich unattraktiver Standort mit einer effektiven Steuerlast auf Spitzenplätzen unter den Industrieländern", sagt Heinemann. Immerhin sei positiv, dass Firmen, die in Forschung investieren, künftig höhere steuerliche Zulagen erhielten. Die maximale Zulage steigt auf drei Millionen Euro pro Jahr, für kleine und mittlere Unternehmen sogar auf 4,2 Millionen Euro.
Großes Lob für steuerfreie Überstunden
Begrüßenswert sei auch der Plan, Zuschläge für Überstunden steuer- und beitragsfrei zu stellen. Trotz möglicher Probleme in der Abgrenzung, was konkret Zuschläge für Überstunden sind, sagt Heinemann dazu: "Die Maßnahme ist gut und wirklich lobenswert, denn sie verbessert den finanziellen Anreiz für Mehrarbeit."
Für Heinemanns Kollegin Katharina Nicolay ist der Ansatz auch aus wissenschaftlicher Sicht interessant: "Die Steuerforschung kann anhand dieser Maßnahme evaluieren, ob niedrigere Grenzabgaben tatsächlich die Bereitschaft nennenswert erhöhen, mehr Stunden zu arbeiten."
Auch die Verschiebung der Tarifeckwerte in der Einkommensteuer wird gelobt. Das soll im Rahmen eines zweiten Jahressteuergesetzes umgesetzt werden, für das bereits ein Referentenentwurf vorliegt. Das erste Jahressteuergesetz hat das Kabinett bereits passiert, liegt aber noch nicht im Bundestag. Die Bundesregierung plant, den steuerlichen Grundfreibetrag um 300 auf 12.084 Euro im Jahr 2025 und 12.336 Euro 2026 zu erhöhen. Der Kinderfreibetrag soll 2025 um 60 auf 6.672 Euro steigen, 2026 auf 6.828 Euro. Auch die anderen Eckwerte in der Einkommensteuer sollen erhöht werden. Das Kindergeld soll um 5 Euro auf 255 Euro zulegen. Mit den Steuerentlastungen will die Bundesregierung insbesondere die Wirkungen der sogenannten kalten Progression vermeiden. "Das ist zu begrüßen, aber andere Länder sind da noch konsequenter", sagt ZEW-Steuerforscherin Nicolay.
Weitere Aspekte, die bereits im Entwurf des Jahressteuergesetzes II verankert sind, betreffen die Abschaffung der Steuerklassen III und V, von denen Verheiratete mit unterschiedlichem Einkommen profitieren. Diese sollen in das sogenannte Faktorverfahren überführt werden.
ZEW-Expertin Nicolay lobt niedrigere Steuern für ausländische Fachkräfte
Eine Maßnahme, die bereits bei ihrer Ankündigung für Aufregung in einschlägigen Boulevardblättern gesorgt hat, bewerten die ZEW-Experten eher positiv, nämlich niedrigere Steuersätze für zugewanderte Fachkräfte in den ersten Jahren. "Das ist in der EU durchaus üblich, wenn auch umstritten", sagt Nicolay und ergänzt: "Die Empirie zeigt, dass solche Maßnahmen funktionieren, etwa in Dänemark, wo eine solche Steuervergünstigung tatsächlich die Zuwanderung Hochqualifizierter erhöht hat." Allerdings dürfe dadurch kein "schädlicher Steuerwettbewerb in der EU entstehen, bei dem alle verlieren, mahnt die Steuerforscherin und plädiert für ein koordiniertes Vorgehen im gemeinsamen Wirtschaftsraum.
Wenig Impulse dürften von den erhöhten steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten bei Firmen-Autos mit E-Antrieb ausgehen. Sie seien "nur ein zaghaftes Signal für ihren weiteren Hochlauf", kritisierte BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner laut Nachrichtenagentur AFP. Die Höhe der steuerlichen Förderung soll mit dem Haushalt öffentlich werden.