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Haushaltspolitik im Zeichen der Energiekrise : Das Fundament gegen steigende Preise

Der Bundestag beschließt Kreditaufnahmen über ein Sondervermögen, um die Bürger und strauchelnde Unternehmen vor steigenden Energiepreisen zu schützen.

24.10.2022
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Der "Abwehrschirm", den die Bundesregierung angesichts der Energiekrise über Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen aufspannen will, hat nun ein finanzielles Fundament. Vergangenen Freitag verabschiedete der Bundestag einen entsprechenden Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und FDP. Sofern der Bundesrat zustimmt, sollen über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds - ein Sondervermögen des Bundes - in diesem Jahr noch 200 Milliarden Euro neue Kredite aufgenommen werden. Die Mittel sollen dann bis Mitte 2024 dazu genutzt werden, Gas- und Strompreise zu deckeln sowie strauchelnde Unternehmen zu stützen.

Die "außergewöhnliche Notsituation" besteht weiter

Damit der Staat sich überhaupt frisches Geld besorgen darf, verabschiedete der Bundestag eine neuerliche Ausnahme von der Schuldenobergrenze des Grundgesetzes. Die Ampelkoalitionäre begründeten den dazu gestellten Antrag, wie im Grundgesetz vorgesehen, mit einer anhaltenden "außergewöhnlichen Notsituation". Bei der Verabschiedung des Haushalts für 2022 im Juli hatten die Fraktionen die Folgen des russischen Überfalls sowie der Corona-Pandemie zur Begründung angeführt. Weil Putin nun den Gashahn gänzlich zugedreht hat, habe sich die Situation weiter verschärft und mache es notwendig, dass der Bund der Krise finanziell expansiv begegnet, argumentiert die Koalition.

Foto: picture alliance / Zoonar / stockfotos-mg

Gasdeckel: Die finanzielle Grundlage für die Preisbremsen ist gelegt.

Beide Vorlagen passierten das Haus mit Koalitionsmehrheit. Während die Koalition in der Debatte argumentierte, dass es nötig sei, jetzt das Fundament zu gießen, um dann den Schirm aufzustellen, hieß es von Seiten von Union, AfD und Linke, dass noch gar nicht bekannt sei, welche Dimension der Schirm hat und wann er überhaupt geliefert wird. Denn konkrete gesetzliche Vorschläge zu den von der Koalition geplanten Maßnahmen liegen noch nicht vor. Zudem führte die Opposition die Kritik des Bundesrechnungshofes an. Die unabhängigen Prüfer hatten haushalts- und verfassungsrechtliche Bedenken zu dem Vorgehen der Ampel geäußert.

Der Rechnungshof ist nicht unfehlbar, betont die FDP

Von Seiten der Koalition wurde die Kritik des Hofes zurückgewiesen. Der Rechnungshof sei ein wichtiger Teil der "Checks and Balances", aber nicht "unfehlbar", sagte FDP-Haushaltspolitiker Otto Fricke. Mit der Kreditaufnahme über das Sondervermögen sorge die Ampelkoalition dafür, dass die Mittel jetzt zur Verfügung stünden und jederzeit auf sie zugegriffen werden könne. Der anhaltenden Kritik der Unionsfraktion der vergangenen Wochen an den Plänen der Bundesregierung entgegnete der Liberale, dass die Union dann auch durchgerechnete Alternativen darzulegen habe. Nur pure, simple Opposition gehe nicht, "dafür ist die Sache zu ernst", sagte Fricke.

Frickes Vorwurf wollte Mathias Middelberg (CDU) nicht gelten lassen. Bei der Gaspreisbremse läge nur das Papier der Expertenkommission vor, bei der Strompreisbremse und den Unternehmenshilfen nichts Konkretes. "Wir würden gerne rechnen, aber dann müssen wir von Ihnen eine Berechnungsgrundlage kriegen", konterte Middelberg. Die Regierung wolle einen mit 200 Milliarden Euro gefüllten "Geldsack" haben und wisse noch gar nicht, wofür und wann sie das Geld brauche.


Gesine Lötzsch (Die Linke)
Foto: Inga Haar
„Wer soll eigentlich die gigantische Strom- und Gasrechnung bezahlen?“
Gesine Lötzsch (Die Linke)

Middelberg forderte stattdessen einen Nachtragshaushalt für das laufende Jahr und die Integration der geplanten Maßnahmen in den in Beratung befindlichen Haushalt 2023, gegebenenfalls wieder mit einer Ausnahme von der Schuldenbremse. Die Finanzierungsmethode der Koalition sei hingegen "maximal unsolide." "Es ist Schwachsinn, was Sie machen", schoss der Unionsfraktionsvize.

SPD erwägt eine Obergrenze bei der Gaspreisbremse

Diesen Vorwurf retournierte SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch. Schließlich verweigere sich die Union, die Voraussetzungen zu schaffen, "dass wir die Bevölkerung und die Unternehmen in diesem Land schützen können". Die 200 Milliarden Euro seien die Grundbedingung dafür, im Dezember die Abschlagszahlungen für Gas zu übernehmen, ab Januar Unternehmen zu unterstützen und ab März die Preise für Strom und Gas zu deckeln, führte der Sozialdemokrat aus.

Mit Blick auf die Ausgestaltung von Gas- und Strompreisbremsen kündigte Miersch an, dass seine Fraktion unter anderem klären wolle, ob es für die gedeckelten Preise eine Möglichkeit der Rückwirkung oder weiterer Abschlagszahlungen geben könnte. Auch eine mögliche Obergrenze bei der Gaspreisbremse aus Gerechtigkeitsgründen erwähnte Miersch.

Grüne mahnen, den Kontext der Debatte nicht zu vergessen

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Der Grünen-Abgeordnete Sebastian Schäfer mahnte, den Kontext der "sehr nach innen gerichteten Debatte" nicht zu vergessen: Auch in dieser Woche eskalierten Putin und seine Truppen den "Terror-Krieg" gegen die Ukraine. Die 200 Milliarden Euro seien ein klares Zeichen, "dass wir der russischen Aggression trotzen". Die Sicherung von Wohlstand und wirtschaftlicher Entwicklung bleibe eine europäische Frage, sagte der Abgeordnete mit Verweis auf die Verhandlungen zu einem EU-weiten Gaspreisdeckel. Putins Kalkulation dürfe nicht aufgehen, die EU müsse "solidarisch und geschlossen" bleiben.

Die Redner der Koalition verwiesen zudem auf die Änderungen im parlamentarischen Verfahren. So ist vorgesehen, dass der Haushaltsausschuss die Mittel aus dem Sondervermögen freigeben muss. Auch Berichtspflichten wurden verschärft. Gestützte Unternehmen sollen ferner unter anderem keine Boni auszahlen dürfen.

Anträge der Opposition bleiben ohne Mehrheit

Keine Mehrheit fand ein Antrag der AfD. Sie hatte - ähnlich wie die Union in einem ebenfalls abgelehnten Entschließungsantrag - gefordert, die Ausgaben für den Abwehrschirm im regulären Haushalt zu veranschlagen. In der Debatte warf der AfD-Abgeordnete Albrecht Glaser der Bundesregierung vor, mit der Einstellung des Energiegeschäfts mit Russland einen "Anschlag auf den Staat" ausgeführt zu haben. "Dafür werden Sie politisch bezahlen", prognostizierte Glaser mit Blick auf heranziehende Krisen.

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Zahlungsmodalitäten anderer Art interessierten die Linken-Abgeordnete Gesine Lötzsch. Die Bundesregierung lasse eine Frage unbeantwortet, sagte Lötzsch: "Wer soll eigentlich die gigantische Strom- und Gasrechnung bezahlen?" Sie sprach sich für einer Übergewinnsteuer aus, um "Krisengewinnler" wie Strom- und Rüstungskonzerne heranzuziehen. Ein Antrag der Fraktion, die Schuldenbremse auch 2023 auszusetzen, fand im Bundestag keine Mehrheit.