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Gastkommentare : Gibt es Spielraum für Entlastungen? Ein Pro und Contra

Vor der Bundestagswahl wird den Bürgern finanzielle Entlastung versprochen. Gibt es dafür überhaupt Spielräume? Thomas Sigmund und Ulrike Herrmann im Pro und Contra.

19.12.2024
True 2024-12-20T17:00:06.3600Z
3 Min

Pro

Die Bürger sind keine Weihnachtsgänse

Foto: Marc-Steffen Unger
Thomas Sigmund
ist Leiter des "Handelsblatt"- Meinungsressorts.
Foto: Marc-Steffen Unger

Der steuerpolitische Reformgeist ruht seit mehr als 20 Jahren in Deutschland. Die letzte große Steuerreform stammte vom damaligen Kanzler Gerhard Schröder und trug den Titel: "Steuerreform 2000". Seitdem wird die Gans, also der Bürger, nach allen Regeln der politischen Kunst ausgenommen. Nicht mal der Abbau der kalten Progression ist beschlossene Sache. Obwohl das eine besondere Ungerechtigkeit ist, wenn mir der Staat von einer Lohnerhöhung gleich wieder einen großen Teil wegfrisst.

Doch mit der anstehenden Bundestagswahl soll sich alles ändern. In den Wahlprogrammen der Parteien wimmelt es nur so von Steuerentlastungen. Stromsteuer runter, die Einkommensteuer soll gesenkt werden, sinkende Unternehmenssteuern sind im Angebot der Parteien. Es gibt viele Vorschläge. Da darf natürlich auch die Frage nicht fehlen: Gibt es überhaupt Spielraum für solche Entlastungen?

Wie auf Knopfdruck melden sich die Umverteiler und Schuldenmacher zu Wort und wollen wie immer den einfachsten Weg gehen. Milliardäre schröpfen, die Schuldenbremse reformieren. Daran, dass die Schulden von den Bürgern später wieder zurückgezahlt werden müssen, denkt offenbar keiner. Dabei ist es doch möglich, bei einem jährlichen Steueraufkommen von einer Billion Euro und ebenso vielen Sozialabgaben zu sparen. Möglichkeiten gibt es viele: Beim Bürgergeld, bei den gewaltigen Subventionen, und wenn am Ende über das Wirtschaftswachstum auch noch mehr Steuergeld in die Kasse gespült wird, um so besser. Es gibt also Spielraum für Entlastungen, vielleicht nicht in der Höhe wie es sich manche Parteien vorstellen. Dass der Bürger aber von Bundesregierungen wie eine Weihnachtsgans ausgenommen wird, das muss ein Ende haben.

Contra

Es handelt sich um Wahlgeschenke ohne Finanzierung

Foto: Herby Sachs/WDR
Ulrike Herrmann
ist Wirtschaftsredakteurin der "tageszeitung" in Berlin.
Foto: Herby Sachs/WDR

Die Union hat im Wahlkampf große Pläne. Unter anderem will sie den Solidaritätszuschlag abschaffen, den momentan nur noch die reichsten fünf Prozent der Bevölkerung zahlen. Dieser Geldsegen für die Wohlhabenden würde etwa 13 Milliarden Euro kosten, wie das Institut der deutschen Wirtschaft berechnet hat. Zudem sollen die Unternehmenssteuern auf maximal 25 Prozent sinken - was ein weiteres Minus von etwa 20 Milliarden Euro in den Staatskassen bedeuten würde.

Und das ist noch gar nicht alles: Bei der Einkommenssteuer will die Union 41 Milliarden Euro verschenken, wovon ebenfalls vor allem die Gutverdiener profitieren würden - weil die untere Hälfte der Deutschen so wenig verdient, dass sie schon jetzt kaum Einkommenssteuern zahlen. Die Wahlgeschenke der Union würden sich auf insgesamt 89 Milliarden Euro summieren, und die FDP treibt es sogar noch doller: Sie will die Steuern und Abgaben um 138 Milliarden kürzen.

CDU-Chef Friedrich Merz und der FDP-Vorsitzender Christian Lindner inszenieren sich gern als Wirtschaftsexperten, aber die Wahlprogramme ihrer Parteien zeigen, dass sie offenbar beide nicht rechnen können. Denn nirgends wird detailliert vermerkt, wie diese Steuergeschenke denn eigentlich finanziert werden sollen. Das ist unseriös.

Dieses Schweigen ist kein Zufall: Für großflächige Entlastungen ist schlicht kein Geld da. Gerade Ex-Finanzminister Lindner sollte wissen, wie knapp die Mittel in Wahrheit sind, ist doch die Ampel daran gescheitert, dass sie sparen musste - und sich nicht einigen konnte, wo genau die Kürzungen vorgenommen werden sollten. Ein paar Milliarden ließen sich vielleicht irgendwie mobilisieren. Aber sie sollten nicht den Reichen zugutekommen, sondern den armen Familien, die mit Mieten und Heizkosten überfordert sind.

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