Sechste Vertrauensfrage in der Geschichte der BRD : Zeit der Abrechnung im Bundestag
Nach dem Bruch der Ampelkoalition hat der Bundeskanzler im Bundestag die Vertrauensfrage gestellt – und verloren. In der Debatte hagelte es wechselseitige Attacken.
Der Weg für Neuwahlen ist frei. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat im Bundestag am Montag wie erwartet die von ihm beantragte Vertrauensfrage verloren. 394 Abgeordnete der Union, der FDP, der AfD, des BSW und der Linken stimmten gegen Scholz. Nur 207 Abgeordnete, darunter 201 Sozialdemokraten, sprachen dem Kanzler ihr Vertrauen aus; 116 Abgeordnete der Grünen enthielten sich.
Nachdem das Staatsoberhaupt im Lauf der Woche die Spitzen der Fraktionen und Gruppen im Bundestag zu Gesprächen empfangen hatte, erklärte Steinmeier am Freitag, seine Entscheidung am 27. Dezember verkünden zu wollen. Den von SPD und Union vereinbarten Termin für Neuwahlen am 23. Februar dürfte Steinmeier bestätigen. Er hatte diesen zuvor als „realistisch“ bezeichnet.
Kanzler Scholz will die Vertrauensfrage an die Wähler richten
Die Politik ist nach dem Scheitern der Ampel-Koalition an der Wirtschafts- und Haushaltspolitik bereits im Wahlkampfmodus. Die Aussprache zur Vertrauensfrage entwickelte sich zu einer harten Auseinandersetzung über die richtigen Weichenstellungen für das Land. Scholz erklärte: "Bei dieser Wahl können dann die Bürgerinnen und Bürger den politischen Kurs unseres Landes vorgeben, darum geht es." Die eigentliche Vertrauensfrage richte er nicht an das Parlament, sondern "an die Wählerinnen und Wähler". Sie müssten entscheiden: “Trauen wir uns zu, als starkes Land kraftvoll in unsere Zukunft zu investieren?”
Scholz betonte, dass Investitionen für ein starkes Deutschland unerlässlich seien - vor allem in die Infrastruktur und in die Energiewende. Das sei "in den letzten Jahrzehnten zu kurz gekommen", mahnte der Kanzler.
Gegenseitige Vorwürfe prägten die Debatte
Insgesamt dominierten jedoch nicht die politischen Inhalte, sondern persönliche Angriffe die Debatte. Scholz warf den Liberalen unter Parteichef Christian Lindner (FDP) "wochenlange Sabotage" vor, die nicht nur die Koalition, sondern auch die Demokratie beschädigt habe. Friedrich Merz (CDU) hielt Scholz dagegen vor: "Sie blamieren Deutschland". Der Kanzler habe drei Jahre lang Zeit gehabt, Dinge, die er nun für die Zukunft fordere, als Regierungschef umzusetzen. Am Ende aber hinterlasse Scholz das Land "in einer der größten Wirtschaftskrisen der Nachkriegsgeschichte". Für Merz war daher klar: "Sie, Herr Scholz, haben Vertrauen nicht verdient".
Auch vom ehemaligen Koalitionspartner FDP konnte Scholz keine wertschätzenden Worte der gemeinsamen Arbeit erwarten. Ex-Finanzminister Lindner attestierte Scholz: "Heute haben Sie gezeigt, dass Ihnen die Kraft zu grundlegenden Veränderungen fehlt". Er forderte "eine "Wende", um den "wirtschaftlichen Abstieg" Deutschlands abzuwenden.
Habeck: "Fundamentale Fehleinschätzungen" in 16 Jahren Unions-Regierung
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) hingegen sah den Grund dafür, dass sich Deutschland in einer Krise befindet bei der "Betriebsblindheit und Selbstverliebtheit" der Union. Diese habe in ihren 16 Jahren als Regierung "fundamentale Fehleinschätzungen" getroffen, die in einer "heruntergewirtschafteten Bundeswehr", "bröselnden Brücken", verspäteten Bahnen, nicht sanierten Schulen geendet seien.
Sowohl an Scholz als auch an Merz übte die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel Kritik. Sie warf den beiden vor, nach Kiew zu "pilgern", um "noch mehr gutes Geld dem bereits verbrannten hinterherzuwerfen". Weidel warnte, wer Merz wähle, "wählt den Krieg".
Ähnlich äußerte sich Sahra Wagenknecht (BSW). Sie zweifelte an Scholz' Glaubwürdigkeit bei seinem "Nein" zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern.
Mögliche Koalitionspartner einer nächsten Regierung sind ungewiss
Sören Pellmann (Die Linke) warnte vor einer weiteren Wahlentscheidung zugunsten der FDP oder den Grünen: "Verschenken Sie Ihre Stimme nicht an einen grünen Wirtschaftsminister, der das Land in die größte Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten geführt hat" und “vertrauen Sie nicht einer FDP und ihrem Spitzenkandidaten Lindner, der das Land so getäuscht hat!”
Von möglichen Koalitionsoptionen war im Bundestag nicht viel zu erkennen. Einzig Merz äußerte sich verteidigend gegenüber Christian Lindner und bezeichnete es als "respektlos", wie der Kanzler den FDP-Chef in seiner Rede behandelt habe. Die FDP sieht sich allerdings nach aktuellen Umfragen mit der Frage konfrontiert, ob sie überhaupt erneut in den Bundestag einziehen wird.
Union macht Weg für Gesetzesbeschlüsse frei
Für die parlamentarische Arbeit in dieser Woche war die Vertrauensfrage ebenfalls entscheidend. Die Union hatte sie zur Bedingung dafür gemacht, um überhaupt noch Beschlüsse mitzutragen. So konnte das Parlament im Laufe der Woche Gesetzentwürfe zur Stärkung des Bundesverfassungsgerichts, zum Abbau der kalten Progression, zur Filmförderung und zum 58-Euro-Ticket verabschieden.
Annähernd alle Anträge und Gesetzentwürfe, die von den Fraktionen nun zahlreich in den Bundestag eingebracht werden, dürften indes nur als Gesprächsstoff am Wahlkampfstand dienen - und für die nächste Wahlperiode auf Wiedervorlage gelegt werden. Der Wille, politischen Herzensprojekten der Konkurrenz zuzustimmen, dürfte bei allen Fraktionen sehr begrenzt sein.
Wirtschaftspolitische Debatten prägten die Sitzungswoche im Bundestag. Die Union geht mit der ehemaligen Ampelkoalition hart ins Gericht.
Vor der Bundestagswahl wird den Bürgern finanzielle Entlastung versprochen. Gibt es dafür überhaupt Spielräume? Thomas Sigmund und Ulrike Herrmann im Pro und Contra.
Der Bundestag stimmt für eine gekürzte Version des Gesetzentwurfs der Bundesregierung „zur Fortentwicklung des Steuerrechts". Auch das Kindergeld wird erhöht.