Stärkung der Resilienz : Verfassungsgericht wird im Grundgesetz abgesichert
Mit großer Mehrheit beschließen Bundestag und Bundesrat die Stärkung der Resilienz des Bundesverfassungsgerichts. AfD und BSW kritisieren den Ersatzwahlmechanismus.
Wesentliche Strukturmerkmale des Bundesverfassungsgerichtes sind künftig im Grundgesetz verankert. Auch der Status als Verfassungsorgan und die Bindungswirkung der Entscheidungen der Karlsruher Richterinnen und Richter werden im Verfassungstext festgeschrieben. Die entsprechenden Änderungen der Artikel 93 und 94 Grundgesetz passierten am Freitag den Bundesrat, nachdem am Donnerstag bereits der Bundestag mit breiter Mehrheit zugestimmt hatte.
Ziel der Reform ist zum einen die Stärkung der Resilienz des Gerichts. Heißt: Seine Unabhängigkeit soll gegen mögliche politische Angriffe besser geschützt werden. Bislang waren wesentliche Regelungen zum Gericht einfachgesetzlich im Bundesverfassungsgerichtsgesetz verankert, etwa die Zahl der Richterinnen und Richter, die Altersgrenze und das Wiederwahlverbot sowie die Zahl der Senate. Folglich hätte eine einfache Mehrheit im Bundestag dazu gereicht, diese Merkmale zu ändern und somit Einfluss auf das Gericht ausüben zu können. Auch der Status als Verfassungsorgan und die Bindungswirkung seiner Urteile waren bisher nicht im Grundgesetz festgeschrieben.
Ersatzwahlmechanismus soll vor Blockaden bei der Richterwahl schützen
Zum anderen wird mit der Reform vorgesorgt, sollte eine sogenannte destruktive Mehrheit in Bundestag oder Bundesrat die Wahl von Richterinnen und Richtern blockieren, für die eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist. In diesem Fall soll das jeweils andere Wahlorgan ersatzweise die Wahl vornehmen können. Die Möglichkeit dafür wird nun im Grundgesetz eröffnet, die Details werden durch Änderungen im Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelt.
Mit dem Beschluss endet vorerst eine Debatte, die in der Fachöffentlichkeit in den letzten Jahrzehnten immer mal wieder hochköchelte und politisch seit Anfang dieses Jahres an Fahrt aufgenommen hatte. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen etwa in Polen und Ungarn, wo es gezielte politische Angriffe auf die Justiz und die Verfassungsgerichtsbarkeit gab, war diskutiert worden, wie es eigentlich um den Schutz des deutschen Gerichts bestellt ist. Viele Befürworterinnen und Befürworter einer Reform warnten in diesem Zusammenhang auch vor der in Teilen als rechtsextremistisch eingestuften AfD - und sahen sich etwa durch deren Agieren bei der konstituierenden Sitzung im Thüringer Landtag bestätigt.
Nach anfänglichen Startschwierigkeiten einigten sich SPD, CDU, CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP unter Moderation des ehemaligen Bundesjustizministers Marco Buschmann (FDP) im Sommer schließlich auf die Eckpunkte der nun umgesetzten Reform. Die Gesetzentwürfe brachten ihre Fraktionen dann gemeinsam mit dem fraktionslosen SSW-Abgeordneten Stefan Seidler nach der Sommerpause ein. Auch nach dem Scheitern der Ampel-Koalition hielten die Fraktionen an dem Vorhaben fest. Änderungen im parlamentarischen Verfahren gab es schließlich keine; der Bundesrat und diverse Sachverständige in einer Anhörung hatten zwischenzeitlich dafür geworben, Änderungen am Bundesverfassungsgerichtsgesetz künftig von der Zustimmung des Bundesrates abhängig zu machen. So wollte man die "offene Flanke" im Prozessrecht schützen.
BSW findet vieles gut, die Ersatzwahl im Bundesrat aber schlecht
Die Zustimmung zu der Reform fiel erwartungsgemäß groß aus. 600 Abgeordnete stimmten in namentlicher Abstimmung für die Änderung im Grundgesetz und damit deutlich mehr als die für Verfassungsänderungen notwendigen 489. Während alle abstimmenden Abgeordneten von SPD, Union, Grünen, FDP und der Linken mit Ja stimmten, stimmten die Abgeordneten der Gruppe BSW geschlossen und die AfD mit einer Ausnahme mit Nein. Grund für die Ablehnung von AfD und BSW war vor allem der Ersatzwahlmechanismus.
Amira Mohamed Ali (BSW) befand alle anderen Änderungen für richtig, schließlich sei das Bundesverfassungsgericht ein "Grundpfeiler der Demokratie". Dass aber im Fall einer fehlenden Zweidrittelmehrheit im Bundestag der Bundesrat die Ersatzwahl vornehmen könne, der fast vollständig aus Ministerpräsidenten von Union und SPD bestehe, zeige eine "unfassbare Arroganz der Herrschaft", kritisierte Mohamed Ali.
Von Seiten der AfD wurde grundsätzlich in Frage gestellt, ob es den Befürworterinnen und Befürwortern tatsächlich um den Schutz des Gerichts gehe. Fabian Jacobi vermutete, dass vielmehr die Sorge ausschlaggebend sei, dass sie bei der Verfassungsrichterwahl "genötigt sein könnten, mit der AfD zumindest zu reden". Sie sähen das Bundesverfassungsgericht "als Herrschaftsinstrument eines Parteienkartells, das Sie nicht bereit sind, aus der Hand zu geben", so der AfD-Abgeordnete.
Die AfD wurde ihrerseits scharf angegangen. "Die AfD löst keine Probleme, sie ist das Problem", sagte beispielsweise Till Steffen (Bündnis 90/Die Grünen). Steffen betonte, dass das Grundgesetz in dieser Frage schon krisenfest sei und ein Verbot verfassungsfeindlicher Parteien vorsehe. Sein Fraktionskollege Konstantin von Notz hob hervor, dass Demokratien weltweit massiv unter Druck stünden. "Freiheit und Rechtsstaatlichkeit werden immer öfter offen in Frage gestellt. Nicht nur in Deutschland, aber eben auch hier bei uns in Deutschland", sagte von Notz. Wer wehrhaft sein wolle, dürfte nicht zuschauen, sondern müsse handeln.
Union wirft der AfD vor, das Bundesverfassungsgericht lahmlegen zu wollen
Ansgar Heveling (CDU) griff die AfD ebenfalls an. Man habe in anderen Ländern Europas erlebt, "dass autoritären Regierungen Verfassungsgerichte so sehr ein Dorn im Auge sind, dass sie als erstes ins Visier der Autokraten geraten". Es sei daher "demaskierend", dass genau diese Mechanismen die "Blaupause" für einen von der AfD eingebrachten Änderungsantrag zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz darstellten.
Darin hatte die AfD-Fraktion unter anderem gefordert, dass das Bundesverfassungsgericht künftig die Nicht-Annahme von Verfassungsbeschwerden begründen solle. Tatsächlich erledigt das Gericht das Gros der tausenden jährlichen eingehenden Verfassungsbeschwerden durch Nicht-Annahme ohne Begründung. 2023 war das 3.540 Mal der Fall. "Die Begründungspflicht für eine Nicht-Annahme, das ist ein Schritt, um das Bundesverfassungsgericht lahmzulegen", kritisierte Heveling.
Auch Dirk Wiese (SPD) warf der AfD vor, die Institutionen und die freiheitlich-demokratische Grundordnung schwächen zu wollen. Sie sei der "Wolf im Schafspelz", sagte der Sozialdemokrat. Wiese dankte zudem dem Bundesrat, mit dem man intensiv diskutiert habe. Er warb zudem dafür, auch die geplante Änderung der Geschäftsordnung des Bundestages sowie das Bundestagspolizeigesetz noch auf den Weg zu bringen. "Das wäre genauso wichtig zum Schutz unserer Institutionen", sagte Wiese.
Buschmann betont Vertrauensvorschuss der kleineren Fraktionen
Der ehemalige Bundesjustizminister Marco Buschmann betonte, dass mit der Reform eine "wichtige Säule unserer liberalen Demokratie" gestärkt werde. Er dankte den Fraktionen für die Zusammenarbeit. Ein klein wenig mehr danke er den kleineren Fraktionen, also Grünen und FDP, betonte der FDP-Abgeordnete. "Denn gerade die kleineren Fraktionen leisten bei dem Ersatzwahlmechanismus einen Vertrauensvorschuss gegenüber den größeren, der hoffentlich nicht enttäuscht werden wird."
Unterstützung für die Reform aus der Mitte des Parlaments drückten auch Vertreter der Bundesregierung aus. "Der Rechtsstaat ist die innere Bastion unserer Demokratie", sagte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und dankte den Initiatoren "für diese Initiative, die ein großer Schritt zur Sicherung unserer Demokratie ist".
Fraktionen geben sich selbst mehr Beinfreiheit für Öffentlichkeitsarbeit
In der Debatte keine Rolle spielte die ebenfalls zur Abstimmung gestellte Änderung des Abgeordnetengesetzes. Damit sollen die Regelungen zur Öffentlichkeitsarbeit der Bundestagsfraktionen neu gefasst werden. Der Bundesrechnungshof hatte in der Vergangenheit wiederholt kritisiert, dass die Fraktionen gerade in Wahlkampfzeiten eben nicht nur über die Fraktionsarbeit berichteten, sondern Parteien und Abgeordneten unter die Arme greifen würden. Das aber, so der Rechnungshof, widerspreche dem geltenden Recht. Zudem kritisierten die Rechnungsprüfer, dass die Bundestagsverwaltung sich nicht in der Lage gesehen habe, das gerügte Verhalten zu sanktionieren.
Mit der Neuregelung, die von SPD, Union, Grünen und FDP gemeinsam auf den Weg gebracht worden war, geben sich die Fraktionen nun mehr Beinfreiheit für ihre Öffentlichkeitsarbeit, legen sich Stillhaltefristen in Wahlkampfzeiten auf und schreiben einen Sanktionsmechanismus fest. Die Änderung passierte den Bundestag mit den Stimmen der einbringenden Fraktionen bei Enthaltung der Linken und Gegenstimmen der AfD.