Bundesverfassungsgericht : Warum die Kontrolleure aus Karlsruhe hoch angesehen sind
Das Bundesverfassungsgericht wacht über das Grundgesetz - damit hilft es auch dem Bundestag, die Verfassung einzuhalten und weiterzuentwickeln.
Der Bundestag könnte neidisch sein. In Umfragen ist das Bundesverfassungsgericht seit Jahrzehnten und auch heute stets angesehener als das Parlament. Nach einer aktuellen Erhebung von Infas aus dem Herbst 2023 vertrauen dem Bundesverfassungsgericht 76 Prozent der Befragten "eher" oder "voll und ganz", dem Bundestag nur 36 Prozent.
Das Bundesverfassungsgericht kann Gesetze beanstanden und dem Bundestag Vorgaben machen. Zwei weitreichende Beispiele sind die Urteile zum Klimaschutz und zur Schuldenbremse.
Doch in der demokratischen Praxis geht es nicht um Beliebtheitsrekorde, sondern um die Erfüllung unterschiedlicher Aufgaben. Der Bundestag bestimmt (gemeinsam mit Bundesregierung und Bundesrat) die Politik. Das Bundesverfassungsgericht kontrolliert die Einhaltung des Grundgesetzes. Dabei sind die Rollen aber verwobener, als man zunächst denken würde.
Richter regten Grundgesetzänderung für Schuldenbremse an
Das Grundgesetz ist der Maßstab, an dem das Bundesverfassungsgericht Gesetze, Gerichtsurteile und anderes Staatshandeln misst. Das Grundgesetz wurde 1949 vom Parlamentarischen Rat, also von Politikern, beschlossen. Es kann nur mit Zweidrittelmehrheit vom Bundestag und Bundesrat gemeinsam geändert werden, also auch hier hat die Politik eigentlich den Hut auf.
Dennoch hat natürlich auch das Bundesverfassungsgericht Einfluss auf das Grundgesetz. So hat Karlsruhe bestimmte Grundgesetzänderungen ausdrücklich angeregt, etwa die Einführung der Schuldenbremse oder die Möglichkeit, verfassungsfeindlichen Parteien die Finanzierung zu streichen. Noch viel häufiger gestaltet das Bundesverfassungsgericht seinen Maßstab jedoch einfach selbst, indem es das Grundgesetz auslegt, konkretisiert und ergänzt. So haben wir heute ein Grundrecht auf Datenschutz ("informationelle Selbstbestimmung"), eine Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und einen Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze der Bundeswehr, ohne dass das im Grundgesetz nachlesbar wäre. Das mag manchmal etwas übergriffig sein, wird in der Regel aber akzeptiert und hat sich im Ergebnis bewährt. Es hat auch etwas Beruhigendes: Sollten Bundestag und Bundesrat zu notwendigen Verfassungsänderungen nicht in der Lage sein, wird das Bundesverfassungsgericht einen Weg finden.
Zentrale Aufgabe des Gerichts ist die Kontrolle des Gesetzgebers
Die eigentliche Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist aber die Kontrolle der Staatsgewalt auf verfassungskonformes Handeln. Dabei kann das Bundesverfassungsgericht auch Gesetze beanstanden und dem Bundestag Vorgaben machen. Zwei weitreichende aktuelle Beispiele sind die Karlsruher Entscheidungen zur Schuldenbremse im November 2023 und zum Klimaschutz im April 2021.
Dabei war der Klima-Beschluss noch relativ harmlos. Das Bundesverfassungsgericht forderte vom Bundestag nur eine Fortschreibung seiner Klimaziele für die Zeit ab 2030, was auch sofort umgesetzt wurde. Die Bedeutung des Beschlusses liegt eher darin, dass sich das Bundesverfassungsgericht hier für künftige Auseinandersetzungen in Stellung brachte. Es hat nicht nur den Klimaschutz zum Staatsziel erklärt, sondern auch die von der Wissenschaft berechneten nationalen CO2-Budgets zum verfassungsrechtlichen Maßstab erklärt. Zur Erfüllung der Pflichten ließ das Bundesverfassungsgericht dem Bundestag großen Gestaltungsspielraum. Eine Klage auf Einführung eines Tempolimits wurde abgelehnt.
Wichtige Urteile zur Stärkung der Parlamentsrechte
🙋♂️ Mitwirkung: Auslandseinsätze der Bundeswehr sind nur verfassungskonform, wenn der Bundestag zustimmt, urteilte das Bundesverfassungsgericht 1994. Der Parlamentsvorbehalt war geboren.
🔍 Transparenz: Die Bundesregierung darf Abgeordneten Auskünfte zur Deutschen Bahn und zur Finanzmarktaufsicht nicht verweigern, stellte das Gericht 2017 fest.
🤔 Fragerecht: Das Fragerecht von Abgeordneten gilt auch für geheime Verfassungsschutz-Angelegenheiten, entschieden die Karlsruher Richter 2022.
Das Bundesverfassungsgericht sieht sich nicht als Ersatzgesetzgeber. Wenn der Klimaschutz in weiten Teilen der Bevölkerung aber unpopulär bleibt und deshalb auch die Politik hier eher bremst, könnte es jedoch bald zu neuen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts kommen. Entsprechende Klagen sind schon eingereicht.
Scheinbar strenge Entscheidung beim Haushalts-Urteil
Dagegen hat das Bundesverfassungsgericht beim Haushalts-Urteil scheinbar streng entschieden. Die mehrjährige Überschreitung der Schuldengrenze wegen einer Notlage muss in jedem Jahr neu deklariert und begründet werden. Es gehe nicht, die Schuldenbremse nur einmal auszusetzen, um in diesem Jahr auf Vorrat bereits die Schulden der kommenden Jahre zu verbuchen.
Diese Entscheidung könnte von Historikern wohl als Anfang vom Ende der Ampel-Koalition definiert werden, weil der einzige großangelegte Haushaltskompromiss, auf den sich die Koalition einigen konnte, von den Karlsruher Richtern für verfassungswidrig erklärt wurde. Das Urteil führt also nicht deshalb zu politischen Problemen, weil es keine Gestaltungsspielräume lässt, sondern weil die Koalition so disparat ist, dass sie die Gestaltungsspielräume nicht wahrnehmen kann. Hätte Karlsruhe das wissen und berücksichtigen müssen?
Richter schützen die Rechte der Opposition
Das Bundesverfassungsgericht schützt auch die Rechte der Opposition im Bundestag sowie die Rechte des Bundestags gegenüber der Bundesregierung - wobei letzteres in der Regel auch von der Opposition geltend gemacht wird, weil sie ihre Beteiligungsrechte gefährdet sieht. Das Bundesverfassungsgericht, das sich auch als Hüter des offenen politischen Diskurses sieht, ist hier oft bereit, zu helfen.
So hat es im November 2017 auf Klage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dem Bundestag Informationsrechte bei formal privatisierten Staatsunternehmen wie der Deutschen Bahn eingeräumt. Auf Klage des FDP-Abgeordneten Konstantin Kuhle hat das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2022 klargestellt, dass das Fragerecht der Abgeordneten auch geheime Verfassungsschutz-Angelegenheiten umfasst. Auf Eilantrag des CDU-Abgeordneten Thomas Heilmann hat das Gericht im Juli 2023 angedeutet, dass es ein Recht auf ausreichende Beratungszeit über neue Gesetzentwürfe gibt. Die Hauptsache-Entscheidung steht aber noch aus.
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Die Opposition ist gut beraten, nicht allzu oft vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, meint Politikwissenschaftler Klaus Stüwe. Wichtig ist es trotzdem.
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Die Wahl von Verfassungsrichtern wird immer wieder als intransparent kritisiert. Beteiligte entgegnen, genau das sichere die hohe Akzeptanz des Gerichts.
Mit weniger Erfolg pocht bisher die AfD auf Oppositionsrechte. So wollte sie die Abwahl des Abgeordneten Stephan Brandner als Vorsitzender des Rechtsausschusses rückgängig machen und verlangte eine gewisse Zahl von Ausschussvorsitzen sowie einen Vizepräsidenten. Alle Eil-Anträge wurden vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt. Auch hier gibt es noch keine Hauptsache-Entscheidungen.
Verfassungsgericht soll besser vor Verfassungsfeinden geschützt werden
Umgekehrt diskutiert derzeit aber auch die Politik über einen besseren Schutz des Bundesverfassungsgerichts vor einer Unterwanderung oder Blockade durch Verfassungsfeinde. Die Ampel-Fraktionen und die CDU/CSU-Fraktion haben sich im Juli darauf geeinigt, bestimmte Regeln für die Richterwahl ins Grundgesetz aufzunehmen, so dass sie auch von einer verfassungsfeindlichen Bundestagsmehrheit nicht einfach geändert werden können.