Wahl von Verfassungsrichtern : Entscheidung hinter verschlossenen Türen
Die Wahl von Verfassungsrichtern wird immer wieder als intransparent kritisiert. Beteiligte entgegnen, genau das sichere die hohe Akzeptanz des Gerichts.
Das Bundesverfassungsgericht ist Hüter der Verfassung und Wächter der Demokratie; doch seine 16 Richterinnen und Richter gelangen in einem wenig transparenten Auswahlverfahren ins Amt, so lautet zumindest eine wiederkehrende Kritik aus Teilen der Rechtswissenschaft und Politik. Wird das dem höchsten deutschen Gericht gerecht?
16 Richter hat das Bundesverfassungsgericht, die je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt werden. Für die Kandidatenkür sind dem Proporz entsprechend die Parteien zuständig.
Sehr wohl, meinen jene, die daran beteiligt sind. Dass die Auswahl öffentlich wenig nachvollziehbar ist, bestreiten sie zwar nicht, doch das System habe deutliche Vorteile. "Das etablierte Verfahren hat sich bewährt", sagt etwa Dirk Wiese, Vertreter der SPD im für die Wahl von Verfassungsrichtern zuständigen zwölfköpfigen Wahlausschuss. Das zentrale Merkmal des Gremiums sei seine "überparteiliche Herangehensweise". Wiese verweist auf die für die Wahl von Verfassungsrichtern erforderliche Zweidrittelmehrheit. Gesucht seien deshalb Kandidaten, die nicht polarisierten, sondern neben ihrer fachlichen Expertise auch überparteiliches Ansehen genössen. Die Richterinnen und Richter werden je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt.
Parteien haben Vorschlagrecht nach Proporzprinzip
In der Praxis regeln deshalb CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen die Postenbesetzung unter sich. Entsprechend dem Parteienproporz nominieren vor allem Union und SPD, aber auch FDP und Grüne ihre Kandidaten. Diese stellen sich anschließend in den Fraktionen vor. Linke und AfD, deren Stimmen im Bundestag bisher nicht für eine Zweidrittelmehrheit benötigt werden, sind außen vor.
Die AfD sieht das Verfahren daher kritisch. Anlässlich der Wahl von neuen Verfassungsrichterinnen und -richtern Ende 2022 forderte Stephan Brandner eine Reform des Richterwahlverfahrens: Die Wahl gehöre nicht in die "Hand von Politikern, die in Hinterzimmer-Gremien an der Öffentlichkeit vorbei entscheiden", so Brandner, sondern in die eines "unabhängigen Richterwahlgremiums".
Eine Kritik, die der Bundestag bereits 2015 zu entkräften suchte: Seit einer vom damaligen Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) vorangetriebenen Reform werden die acht vom Bundestag zu wählenden Mitglieder des Gerichts im Plenum gewählt - auf Vorschlag des Wahlausschusses ohne Aussprache und mit verdeckten Stimmzetteln, so sieht es das Bundesverfassungsgerichtsgesetz seither vor. Zuvor war es allein der Wahlausschuss, der wählte. Nicht nur jeder Bundesverfassungsrichter, sondern auch das Verfahren zu seiner Bestellung müsse "über jeden Verdacht erhaben sein", argumentierte Lammert damals.
Für dieses Verfahren spreche dessen "langjähriger, stabiler Erfolg", ist Ansgar Heveling (CDU), Justiziar der Unionsfraktion, überzeugt. Bester Beweis: "Das Bundesverfassungsgericht genießt hohen Respekt in der Bevölkerung. Das spricht dafür, dass es nicht als politisch dominierte Instanz wahrgenommen wird."
Ansehen des Gerichts könnte durch Politisierung des Verfahrens leiden
Mehr Transparenz würde dem Verfahren - und dem Gericht - nur schaden, sind sich die Abgeordneten Heveling und Wiese einig. Der Blick in die USA zeige, dass öffentliche Anhörungen die Wahl von Richtern für den Supreme Court "in einem hohen Maß politisiert" hätten, sagt Wiese. Ein öffentlicher Meinungsstreit könne in Deutschland die Wahrnehmung des Verfassungsgerichts als unparteiischer Wächter des Grundgesetzes verändern. Auch für die Kandidaten sei mehr Öffentlichkeit ein Risiko, fürchtet Heveling: "Der eine oder andere würde vielleicht dafür gar nicht mehr zur Verfügung stehen."
Als Negativbeispiel in Erinnerung geblieben ist vielen der Fall des Würzburger Juristen Horst Dreier, der 2008 von der SPD als Verfassungsrichter nominiert, aber schließlich zurückgezogen werden musste. Monatelang war unter anderem über seine Position zur sogenannten Rettungsfolter debattiert worden.
Das Bundesverfassungsgericht wacht über das Grundgesetz - damit hilft es auch dem Bundestag, die Verfassung einzuhalten und weiterzuentwickeln.
Der Ex-Fraktionschef der Linken, Dietmar Bartsch, kennt den Instrumentenkasten der parlamentarischen Kontrolle bestens – und hält ihn für "gut bestückt".
Wesentliche Regelungen zum Bundesverfassungsgericht sollen im Grundgesetz verankert werden. Darauf haben sich Union und Koalition nach langer Debatte geeinigt.
Nicht ganz geräuschlos verlief auch die Wahl der jüngsten Neuzugänge am Gericht. Neben dem bisherigen Richter am Bundesverwaltungsgericht, Holger Wöckel, wollte die CSU offenbar den ehemaligen bayerischen Justizminister Winfried Bausback (CSU) nominieren, entschied sich Medienberichten zufolge aber wegen dessen kritischen Position zur Grundmandatsklausel anders und nominierte den früheren Generalbundesanwalt Peter Frank. Gegen die Abschaffung der Grundmandatsklausel der nun in Teilen wieder gekippten Wahlrechtsreform hatte die CSU geklagt.