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Foto: DBT/Kira Hofmann/photothek
Mittwoch, 13 Uhr: In Sitzungswochen stehen meist zwei Minister den Abgeordneten in der Regierungsbefragung Rede und Antwort. Hier Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP).

Parlamentarische Kontrollrechte : Wie die Opposition die Regierung kontrolliert

Der Ex-Fraktionschef der Linken, Dietmar Bartsch, kennt den Instrumentenkasten der parlamentarischen Kontrolle bestens – und hält ihn für "gut bestückt".

29.08.2024
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3 Min

Für Franz Müntefering, den früheren SPD-Vorsitzenden, war die Sache klar: "Opposition ist Mist." Ein anderer Sauerländer, CDU-Chef Friedrich Merz, will diesen kurzen Satz des ehemaligen Vizekanzlers so nicht stehen lassen: "Regieren ist schöner, aber Opposition ist ein konstitutiver Teil unserer Demokratie", sagte der amtierende Oppositionsführer im ZDF-Interview. Dietmar Bartsch (66), der dem Bundestag seit 1998 mit einer kurzen Unterbrechung angehört, sieht es notgedrungen ähnlich wie Merz. Schließlich war seine Linkspartei noch nie an einer Bundesregierung beteiligt; Opposition ist Zeit seines parlamentarischen Lebens sein Dauerjob.

Opposition hat “gut bestückten Instrumentenkasten” 

Hadern will der promovierte Ökonom aus Rostock deshalb nicht. Er findet, dass auch Mandatsträger oppositioneller Fraktionen oder Gruppen Einfluss haben: "Der Instrumentenkasten zur parlamentarischen Kontrolle der Bundesregierung ist nach meiner Erfahrung gut bestückt." Die Kontrollrechte der Abgeordneten, durch Verfassung, Gesetze oder die Geschäftsordnung des Bundestages verbrieft, sind vielfältig. Sie reichen von mündlichen oder schriftlichen Fragen an die Regierung über Aktuelle Stunden und Anhörungen sowie die Einsetzung von Enquete-Kommissionen und Untersuchungsausschüssen bis zum konstruktiven Misstrauensvotum. Viel mehr geht nicht - auch für Dietmar Bartsch: “Ich würde aktuell nicht noch draufsatteln wollen.”

Bartsch und Co. machen von ihren bestehenden Kontrollrechten reichlich Gebrauch. "Die kleineren Fraktionen oder Gruppen", sagt er, "nutzen die Instrumente der parlamentarischen Kontrolle, besonders das Fragerecht, proportional deutlich häufiger als die Mehrheitsfraktionen." Besonders beliebt - und nach Einschätzung des Linkenpolitikers auch "sehr effektiv" - sind Einzelfragen an Kanzleramt oder Ministerien, denn die muss die Regierung innerhalb einer Woche beantworten. Dietmar Bartsch: "Das Fragerecht bietet gerade für einzelne Abgeordnete eine gute Gelegenheit, der Regierung auf den Zahn zu fühlen."

Foto: picture alliance/Geisler-Fotopress

Aus den Antworten der Regierung auf parlamentarische Anfragen lassen sich oft eigene politische Initiativen entwickeln, sagt der langjährige Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch.

Bis Ende August 2024 wurden bereits 18.630 schriftliche und 2.563 mündliche Fragen von Abgeordneten gestellt, allein 652 mündliche und 3.234 schriftliche Fragen von der Linken. Bei den schriftlichen Einzelfragen waren die CDU/CSU-Fraktion (8.965) und die AfD-Fraktion (5.011) deutlich aktiver. Dafür stellten Abgeordnete der Linken mit 1.143 Kleinen Anfragen mehr als die wesentlich größere Union (944). Die AfD liegt mit 1.759 aber deutlich vorne. Aus den Antworten lassen sich, so die langjährige Erfahrung von Bartsch, zumeist eigene politische Initiativen oder parlamentarische Gesetzentwürfe entwickeln.

Karlsruhe stärkte nach der Auflösung der Linksfraktion die Gruppenrechte

Dass auch Politiker der Ende 2023 aufgelösten Linksfraktion immer noch "fraktionsähnliche Rechte" genießen, haben die beiden Gruppen "Die Linke" und das "Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)" dem Bundesverfassungsgericht zu verdanken. Die Karlsruher Richterinnen und Richter erkannten bereits vor 30 Jahren die Abgeordneten der damaligen PDS als Gruppe im Bundestag an. Bartsch erklärt das so: "Das Bundesverfassungsgericht hat damals Entscheidungen zu den Rechten einzelner Abgeordneter oder Gruppen getroffen, hinter die es nicht zurückfallen kann und wird."

Allerdings ist die Ausgestaltung der Gruppenrechte Verhandlungssache. So hatte der Bundestag nach Auflösung der Linksfraktion im Februar 2024 zunächst die Zahl der Kleinen Anfragen, die die Gruppen stellen dürfen, begrenzt. Dagegen strengte die Linke eine Organklage vor dem Bundesverfassungsgericht an. Daraufhin entschied der Bundestag, auf die Begrenzung vorerst zu verzichten - bis das Verfahren abgeschlossen ist. Manchmal, meint Bartsch, müsse man als Opposition eben "nach Karlsruhe gehen, um seine Rechte zu erstreiten."

Lob für Lammerts Kanzler-Initiative

Zuweilen kommt auch aus dem Bundestagspräsidium Unterstützung bei der parlamentarischen Kontrolle der Bundesregierung durch die Opposition. So lobt Bartsch die "sehr verdienstvolle" Initiative des früheren Parlamentspräsidenten Norbert Lammert (CDU), "der dafür gesorgt hat, dass auch Bundeskanzlerin oder Bundeskanzler regelmäßig zur Befragung im Parlament erscheinen müssen". Ansonsten findet er, dass Formate wie die Fragestunde "leider häufig zu ermüdenden Ritualen erstarrt" seien.

Persönlicher Kontakt zu Angela Merkel

Auch der persönliche Kontakt zur Regierung hilft. Er hatte ein entspanntes Verhältnis zur damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die ihren Wahlkreis ebenso wie Bartsch in Mecklenburg-Vorpommern hatte. "Normalerweise", erläutert er, “überlassen Kanzler den direkten Kontakt mit Abgeordneten der Opposition gern den Fraktionschefs. Da hilft es, wenn man einen soliden persönlichen Draht zu Kanzlerin oder Kanzler hat.”

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In Bartschs Fall waren das Angela Merkel und Gerhard Schröder (SPD), man war - abseits von Plenarsaal und Protokoll - per Du. Wohl nicht zuletzt deshalb, wegen der über Parteigrenzen hinweg gepflegten Kollegialität, fällt Bartsch ein positives Urteil über seine Tätigkeit im Bundestag. Ohne Einfluss ist man als Volksvertreter auch ohne Regierungsamt im Bundestag keineswegs.