Sechste Vertrauensfrage in der Geschichte der BRD : Scholz verliert Vertrauensfrage im Bundestag
Sechs Wochen nach dem Ampel-Aus hat Bundeskanzler Olaf Scholz die Vertrauensfrage - wie erwartet - verloren. Damit ist der Weg für Neuwahlen Ende Februar geebnet.
Der Bundestag hat am Montagnachmittag den Weg für Neuwahlen frei gemacht. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die von ihm beantragte Vertrauensfrage - wie beabsichtigt und erwartet - verloren. In namentlicher Abstimmung votierten 207 Abgeordnete für den Antrag, 394 Abgeordnete dagegen bei 116 Enthaltungen. 717 Stimmen wurden insgesamt abgegeben. Damit habe der Bundeskanzler die erforderliche Mehrheit von 367 Abgeordneten, die ihm das Vertrauen aussprechen, nicht erreicht, sagte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD).
Deutliche Kritik am früheren liberalen Koalitionspartner
In der von Wahlkampfthemen geprägten Debatte über die Vertrauensfrage sprach Scholz von einer "wochenlangen Sabotage" der Liberalen unter Parteichef Christian Lindner, die nicht nur der Ampelkoalition, sondern auch der Demokratie insgesamt geschadet habe. „Wir schulden den Bürgern Anstand und Ernsthaftigkeit“, so Scholz. Letztlich sei die Ampelkoalition an den unterschiedlichen Auffassungen über Investitionen zerbrochen. Für die Zukunft sprach sich Scholz für eine kluge Reform der Schuldenregel im Grundgesetz sowie für eine Stabilisierung des Rentenniveaus aus. Außerdem wolle er die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel von sieben auf fünf Prozent senken, um insbesondere Menschen mit geringem Einkommen zu entlasten.
Oppositionsführer und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) warf Scholz vor: „Sie hinterlassen das Land in einer der größten Wirtschaftskrisen der Nachkriegsgeschichte“. Er warnte vor weiteren Steuererhöhungen und einer Aufweichung der Schuldenbremse. Stattdessen forderte er eine wachstumsorientierte Politik, die auf Leistungsbereitschaft und Wettbewerbsfähigkeit setze. Auch das Bürgergeld müsse so reformiert werden, dass den 1,7 Millionen Erwerbsfähigen unter den 5,6 Millionen Bürgergeldempfängern ein Anreiz gegeben werde, auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren.
Lindner warnt vor weiterer Verschuldung
Auch der ehemalige Finanzminister, FDP-Chef Christian Lindner, warnte vor weiteren Schulden im Staatshaushalt. Das Sozialste, was man für die Menschen tun könne, seien sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze, sagte Lindner. So könnten sie ihr Leben aus eigener Kraft und ohne Unterstützung vom Staat finanzieren.
Alice Weidel (AfD) attestierte der Ampel-Regierung unter Scholz “Schäden”, die Deutschland noch Jahrzehnte belasten werden. Sie kritisierte unter anderem, dass Scholz – wie auch Merz – nach Kiew „pilgern“ würde, um „noch mehr gutes Geld dem bereits Verbrannten hinterherzuwerfen“. Der Einsatz deutscher Truppen in der Ukraine oder die Lieferung des Taurus erhöhten das Risiko, dass Deutschland zur Kriegspartei werde, so Weidel.
Linke und BSW kritisieren Ukraine-Politik der Regierung Scholz
Auch Sören Pellmann (Linke) übte Kritik am Umgang der Regierung mit dem Krieg in der Ukraine. So habe die Ampel-Regierung den Angriff Russlands auf die Ukraine zum Anlass für massivste Aufrüstung in der Bundesrepublik genommen, während Sondervermögen für soziale Belange weiterhin nicht bereitgestellt würden.
Sahra Wagenknecht (BSW) sagte: „Aufgabe einer demokratischen Regierung ist es, das Leben der Menschen zu verbessern.“ Die Ampel-Regierung habe das Leben der Menschen in Deutschland aber „spürbar und nachhaltig“ verschlechtert. Tausende fürchteten um ihre Jobs und hätten Angst um ihre Zukunft. Wagenknecht äußerte Misstrauen, dass Scholz seine Zusage, keine Taurus-Marschflugkörper zu liefern, einhalten werde: „Sie sind viel zu oft umgefallen, Herr Scholz, als dass man darauf vertrauen könnte, dass ihr Wort zu Taurus nach der Wahl immer noch gilt“.
Heftige Kritik auch am "D-Day"-Papier der FDP
Daran, dass die Ampel-Regierung auch Erfolge vorzuweisen habe, erinnerte Rolf Mützenich (SPD): „Wir haben Wichtiges geschaffen, auch wenn uns nicht alles gelungen ist." Positive Errungenschaften der vergangenen drei Jahre seien das “gerechte” Kindergeld, der Einstieg in eine soziale Energiewende oder die Erhöhung des Mindestlohns, so Mützenich. Das von der FDP geplante Papier zum Koalitionsbruch bezeichnete es als „Tiefpunkt deutscher Innenpolitik“. Besonders beschämend sei die Verwendung von Begriffen wie „Feldschlacht“, „Torpedo“ und „D-Day“ im Zusammenhang mit einem Regierungssturz, da diese Begriffe historisch mit der Befreiung vom Faschismus in verbunden seien, betonte Mützenich.
Wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet, schlug Scholz Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Montagabend im Schloss Bellevue die Auflösung des Parlaments vor. Dieser hat nach dem Bundestagsbeschluss 21 Tage Zeit, die Auflösung zu prüfen und gegebenenfalls Neuwahlen innerhalb von 60 Tagen ab der Auflösung des Parlaments anzusetzen. Steinmeier hatte am Wochenende angekündigt, zunächst Gespräche mit allen Fraktionen und Gruppen im Bundestag führen zu wollen. In seiner Rede am 7. November 2024, einen Tag nach dem Ampel-Aus, hatte er betont, dass stabile Mehrheitsverhältnisse und eine handlungsfähige Regierung der Maßstab für seine Prüfung seien.
Was nach der Vertrauensfrage passiert
Als Termin für die Neuwahl ist der 23. Februar 2025 vorgesehen. Der 20. Bundestag bleibt bis zum Zusammentritt des 21. Deutschen Bundestages im Amt. Die Vertrauensfrage hat auch keine Auswirkungen auf den Status des Bundeskanzlers und der rot-grünen Minderheitsregierung: Sie bleiben im Amt. Erst mit der Konstituierung des neuen Bundestages endet nach Artikel 69 des Grundgesetzes das Amt des Bundeskanzlers und seiner Minister. Der Bundespräsident kann die alte Regierung zudem bitten, die Amtsgeschäfte weiterzuführen, bis eine neue Regierungskoalition vereidigt ist.
Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP war am 6. November nach der Entlassung von Finanzminister Christian Lindner (FDP) zerbrochen. Die Regierung aus SPD und Grünen hat seit dem Ausscheiden der Liberalen keine Mehrheit mehr im Bundestag. Scholz hatte zunächst geplant, die Vertrauensfrage erst am 15. Januar 2025 im Bundestag zu stellen – am 12. November wurde bekannt, dass der Bundeskanzler den Antrag nach Artikel 68 Grundgesetz bereits am 11. Dezember stellen wird und die Abstimmung für den 16. Dezember beantragt.
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