Grundmandats-klausel bis Sperrminorität : Wie in Deutschland gewählt wird
Für Bundestagswahlen gelten gesetzliche Vorgaben, die genau einzuhalten sind und kontrolliert werden – auch bei vorgezogenen Neuwahlen. Ein Überblick im Glossar.
Inhalt
Ausland: Deutsche, die im Ausland leben und nicht im Inland für eine Wohnung gemeldet sind, müssen sich in ein Wählerverzeichnis eintragen lassen, wenn sie an der Bundestagswahl teilnehmen möchten. Hierfür gibt es Formulare auf der Webseite der Bundeswahlleiterin. Der Antrag sollte möglichst frühzeitig an die zuständige Gemeindebehörde gesendet werden.
Briefwahl: Wahlberechtigte, die in ein Wählerverzeichnis eingetragen sind, können per Briefwahl wählen, sofern sie einen Antrag auf Erteilung eines Wahlscheins stellen. Seit 2009 müssen Wähler keinen wichtigen Grund für die Abwesenheit am Wahltag mehr angeben. Die Zahl der Briefwähler ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Bei der Bundestagswahl 2021 lag der Anteil der Briefwähler bei 47,3 Prozent.
Nicht beschlossene Gesetze werden verworfen
Diskontinuität: Im Bundestag gilt bei Neuwahlen das Prinzip der Diskontinuität. Alle Abgeordneten verlieren mit der Konstituierung des neuen Bundestages ihr bisheriges Mandat (personelle Diskontinuität). Auch die Ausschüsse müssen neu gebildet werden (organisatorische Diskontinuität). Gesetzentwürfe, die noch nicht beschlossen sind, müssen gegebenenfalls neu eingebracht werden (sachliche Diskontinuität). Um beim Haushalt die Kontinuität zu sichern, tritt laut Artikel 111 des Grundgesetzes eine vorläufige Haushaltsführung in Kraft, wenn am Ende eines Rechnungsjahres der Haushaltsplan für das folgende Jahr noch nicht beschlossen ist. Dann wird die Bundesregierung dazu ermächtigt, alle nötigen Ausgaben zu leisten, etwa um Verpflichtungen nachzukommen. Von der Diskontinuität nicht betroffen sind Petitionen und Angelegenheiten der Europäischen Union.
Grundmandatsklausel: Bis zur Änderung des Bundeswahlgesetzes 2023 galt, dass Parteien auch dann in Fraktionsstärkte in den Bundestag einziehen, wenn sie mindestens drei Direktmandate erzielen. Dies war eine Ausnahme von der Fünf-Prozent-Sperrklausel. Im neuen Wahlgesetz war die Grundmandatsklausel nicht mehr vorgesehen. Ohne diese sei die Fünf-Prozent-Klausel allerdings verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen, entschied das Bundesverfassungsgericht, das urteilte: Bis zu einer Neuregelung der Sperrklausel gilt die Grundmandatsklausel weiter.
Der Bundestag kann dem Kanzler das Misstrauen aussprechen
Kanzlermehrheit: Die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages wird auch als Kanzlermehrheit bezeichnet. Bei der Kanzlerwahl braucht der Kandidat oder die Kandidatin eine absolute Mehrheit, also mindestens eine Stimme mehr als die Hälfte der Mandate. Die Kanzlermehrheit unterscheidet sich von der einfachen Mehrheit, bei der in einer Abstimmung lediglich mehr Ja- als Nein-Stimmen notwendig sind. Für eine Änderung des Grundgesetzes müssen zwei Drittel der Mitglieder des Bundestages zustimmen.
Konstruktives Misstrauensvotum: Der Bundestag kann dem Kanzler das Misstrauen aussprechen, allerdings muss zugleich mit der Mehrheit der Mitglieder (Kanzlermehrheit) ein neuer Regierungschef gewählt werden. Mit dem konstruktiven Misstrauensvotum soll verhindert werden, dass in einer Übergangsphase keine funktionsfähige Regierung amtiert. Ist das Misstrauensvotum erfolgreich, muss der Bundespräsident den bisherigen Bundeskanzler entlassen und den neu gewählten Kanzler ernennen.
Minderheitsregierungen müssen immer wieder nach Mehrheiten suchen
Legislatur: Die Wahlperiode dauert regulär vier Jahre und wird auch Legislaturperiode genannt. Sie beginnt mit der konstituierenden Sitzung des Bundestages, der spätestens am 30. Tag nach der Bundestagswahl zusammentreten muss. Damit endet die vorangegangene Legislatur. Reguläre Neuwahlen finden dann frühestens 46 und spätestens 48 Monate nach Beginn der Wahlperiode statt. Die Bundesregierung spricht eine Empfehlung für einen Wahltermin aus. Laut Bundeswahlgesetz bestimmt der Bundespräsident den Termin.
Minderheitsregierung: Normalerweise verfügen Regierungen über eine Mehrheit der Mandate im Parlament, die sogenannte Kanzlermehrheit. Wenn eine Regierung nicht über eine eigenständige Mehrheit im Parlament verfügt, handelt es sich um eine Minderheitsregierung. Der Nachteil einer solchen Konstellation besteht darin, dass diese Regierung für jedes Gesetzesvorhaben einzeln Mehrheiten organisieren muss und das Risiko besteht, dass keine Mehrheit zustande kommt und die Vorlage abgelehnt wird. Daher sind Minderheitsregierungen auf Bundesebene sehr selten.
Das Parlament bleibt immer handlungsfähig
Neuwahlen: Der Bundestag wird regulär alle vier Jahre neu gewählt. In Ausnahmefällen kann das Parlament vorzeitig aufgelöst werden, dann kommt es zu vorgezogenen Neuwahlen. Der Bundestag kann sich aber nicht selbst auflösen. Nur der Bundespräsident kann vorzeitige Neuwahlen anordnen, wenn eine Kanzlerwahl im Parlament scheitert oder wenn ein Kanzler mit einem Antrag, ihm oder ihr das Vertrauen auszusprechen, keinen Erfolg hat (Vertrauensfrage). Neu gewählt werden muss dann innerhalb von 60 Tagen. Bis zu einer vorgezogenen Neuwahl und der Konstituierung eines neuen Bundestages bleibt das Parlament voll handlungsfähig.
Online-Wahlen: Die in der Verfassung vorgegebenen Wahlrechtsgrundsätze der allgemeinen, freien und geheimen Wahl lassen sich nach Angaben der Bundeswahlleiterin bei einer Internet-Abstimmung nicht hinreichend gewährleisten. Insbesondere die Geheimhaltung der Stimmabgabe wäre mit einem hohen Aufwand verbunden und schlösse die Nutzung privater PC´s derzeit aus. Stimmabgabe und die Ermittlung des Wahlergebnisses würden intransparent und der öffentlichen Kontrolle entzogen. Das könnte das Vertrauen der Wähler in die Wahl untergraben. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2009 sind Online-Wahlen aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
Die Sperrminorität als mögliches politisches Druckmittel
Sperrklausel: Parteien oder politische Vereinigungen müssen bei Bundestagswahlen bislang mindestens fünf Prozent der Zweistimmen erreichen, um in den Bundestag einzuziehen. Diese Sperrklausel soll nach den Erfahrungen in der Weimarer Republik verhindern, dass im Bundestag eine Vielzahl kleiner Gruppen die Handlungsfähigkeit beeinträchtigt. Von der Sperrklausel ausgenommen sind Parteien, die nationale Minderheiten vertreten. Die Sperrklausel in ihrer jetzigen Ausgestaltung ohne Grundmandatsklausel ist aber verfassungswidrig. Sie gilt bis zu einer Neuregelung unter der Maßgabe fort, dass Parteien mit weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen bei der Sitzvergabe nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn sie auch weniger als drei Direktmandate (Grundmandatsklausel) erzielen.
Sperrminorität: Wenn eine Partei mehr als ein Drittel der Mandate im Bundestag erreicht, kann sie Entscheidungen, die eine Zwei-Drittel-Mehrheit erfordern, verhindern. Diese Sperrminorität einer Minderheit kann im parlamentarischen Betrieb als Druckmittel eingesetzt werden, wenn es etwa um Verfassungsänderungen oder die Wahl von Verfassungsrichtern geht.
Die Bundeswahlleitung überwacht den Ablauf der Wahl
Vertrauensfrage: Der Kanzler kann nach Artikel 68 des Grundgesetzes die Vertrauensfrage stellen, um sich zu vergewissern, dass seine Politik von der Mehrheit der Abgeordneten noch unterstützt wird oder um Neuwahlen herbeizuführen. Die Vertrauensfrage kann mit einer konkreten Sachfrage verknüpft werden. Verfehlt der Kanzler die nötige Zustimmung, kann er den Bundespräsidenten bitten, das Parlament innerhalb von 21 Tagen aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen. Das Recht zur Auflösung des Parlaments erlischt, sobald der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen neuen Bundeskanzler wählt.
Wahlleitung: Die Bundeswahlleiterin ist zuständig für die Vorbereitung und Durchführung der Bundestagswahl. Sie überwacht den Ablauf der Wahl, prüft Wahlbewerbungen auf unzulässige Doppelkandidaturen und erstellt das Verzeichnis der Wahlbewerber. Die Wahlleitung gibt nach der Wahl das Ergebnis bekannt und benachrichtigt die Kandidaten, die über die Landeslisten gewählt wurden. Erfasst werden auch die eingetragenen wahlberechtigten Deutschen im Ausland.
Die Zweitstimme entscheidet über die Sitzverteilung im Parlament
Wahlprüfung: Über die Gültigkeit der Wahl entscheidet der Bundestag im Wahlprüfungsverfahren. Wahleinspruch kann jeder Wahlberechtigte und in amtlicher Eigenschaft jeder Landeswahlleiter, der Bundeswahlleiter und der Präsident des Bundestages einlegen. Die Wahlbeteiligung hat keinen Einfluss auf die Gültigkeit der Wahl.
Zweitstimme: Bei der Bundestagswahl haben die Wählerinnen und Wähler zwei Stimmen. Mit der ersten Stimme entscheiden sie sich für einen Wahlkreiskandidaten. Mit der Zweitstimme wird die Landesliste einer Partei gewählt. Die Zweitstimme entscheidet später über die Sitzverteilung im Parlament. In einem Wahlkreis ziehen die Gewinner mit den meisten Stimmen nur dann in den Bundestag ein, wenn die eigene Partei auch einen entsprechenden Sitzanspruch durch die Zahl von Zweitstimmen erreicht hat.