In einem Monat wird gewählt : Was das neue Wahlrecht für die Bundestagswahl bedeutet
Bei der Bundestagswahl am 23. Februar gilt erstmals das von der Ampelkoalition beschlossene neue Wahlrecht. Die wichtigsten Fragen rund um die Wahl im Überblick.
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Nach dem Rauswurf von Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP) und dem Bruch der Ampelkoalition Anfang November hat quasi über Nacht der Wahlkampf begonnen: Ein Winterwahlkampf. Inzwischen stehen alle Kanzler- und Spitzenkandidaten der Parteien fest. Auf den Social-Media-Accounts der im Bundestag vertretenen Fraktionen ist es hingegen ruhiger geworden, denn: Sie dürfen nicht in den Wahlkampf eingreifen, sechs Wochen vor einer Wahl “bedarf die Öffentlichkeitsarbeit eines besonderen parlamentarischen Anlasses”, wie es im Abgeordnetengesetz heißt.
Die Bundestagswahl 2025 wird eine besondere sein: Zum einen wird das neue Parlament durch die im März 2023 von der Ampel beschlossene Wahlrechtsreform um mehr als hundert Abgeordnete kleiner. Der Bundestag wird nach der Wahl genau 630 Abgeordneten haben, das steht jetzt schon fest. Zum anderen verliert die Erststimme zugunsten der Zweitstimme an Bedeutung. Während die ersten Wahlbenachrichtigungen in die Briefkästen flattern, fürchten gleich mehrere Parteien, an der Fünf-Prozent-Hürde und damit am Wiedereinzug in den Bundestag zu scheitern. Die wichtigsten Fragen und Antworten rund um die Bundestagswahl am 23. Februar im Überblick:
Warum wurde die Bundestagswahl vom Herbst auf Februar 2025 vorgezogen?
Nach dem vorzeitigen Ende der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP am 6. November 2024 hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 16. Dezember im Bundestag die Vertrauensfrage gestellt und diese erwartungsgemäß verloren. Daraufhin hatte der Kanzler Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Auflösung des Bundestages und Neuwahlen vorgeschlagen. Dieser verkündete am 27. Dezember 2024 die Auflösung des Bundestages nach Artikel 68 des Grundgesetzes und den Termin für die vorgezogene Neuwahl des Deutschen Bundestages: Sonntag, 23. Februar 2025.
Wie viele Abgeordnete wird der 21. Deutschen Bundestag haben?
An der Zahl der 299 Wahlkreise ändert sich nichts, aber die Wahlrechtsreform beschränkt die Zahl der Abgeordneten nun auf genau 630. Derzeit gehören dem Bundestag 733 Parlamentarierinnen und Parlamentarier an, obwohl die Zielgröße eigentlich bei 598 Mitgliedern lag. Durch Ausgleichs- und Überhangmandate war der Bundestag in der Vergangenheit allerdings immer weiter angewachsen.
Was gilt künftig bei den Ausgleichs- und Überhangmandaten?
Kurze Antwort: Sie fallen ganz weg.
Wie genau funktioniert das neue Wahlrecht?
Der Bundestag wird nach dem personalisierten Verhältniswahlrecht gewählt: Mit der Erststimme wählen die Wählerinnen und Wähler wie bisher Direktkandidatinnen oder -kandidaten in ihrem Wahlkreis. Mit der Zweitstimme wird weiterhin die Liste einer Partei gewählt, die die Parteien für jedes Bundesland aufstellen.
Nach der Wahlrechtsreform, die der Bundestag am 17. März 2023 beschlossen hat, ist allein die Zweitstimme entscheidend für das Kräfteverhältnis und die Sitzverteilung der Parteien im Bundestag. Die Sitzverteilung wird nach dem Sainte-Laguë/Schepers-Verfahrens berechnet. Kandidatinnen und Kandidaten sind daher auf ein starkes Zweitstimmenergebnis angewiesen, um in den Bundestag einziehen zu können.
Die Kandidaten mit den meisten Stimmen in den Wahlkreisen ziehen nun nicht mehr automatisch in den Bundestag ein?
Genau. Es kann dazu kommen, dass Wahlkreise mit keiner Direktkandidatin bzw. keinem Direktkandidaten im Bundestag vertreten sind. Entscheidend ist die sogenannte Zweitstimmendeckung. Gewinnt eine Partei in einem Bundesland mehr Wahlkreise, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnisse Sitze im Bundestag zustehen, ziehen nur so viele Direktkandidaten bzw. -kandidatinnen ins Parlament ein, wie es dem Zweitstimmenanteil entspricht. Die überschüssigen Gewinnerinnen und Gewinner in den Wahlkreisen ziehen nicht in den Bundestag ein. Nicht zum Zug kommen die Kandidatinnen bzw. Kandidaten mit den niedrigsten Stimmenanteilen in den Wahlkreisen, sprich: in den besonders umkämpften Wahlkreisen.
Wann kommt die Landesliste zum Tragen?
Die Sitze der Parteien gehen zunächst an die Wahlkreisgewinner der Parteien. Alle verbleibenden Sitze, die den Parteien nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen, werden an die Kandidaten der Landeslisten vergeben. Auf den Landeslisten stehen der Rangfolge nach die Kandidaten, die die Parteien für geeignet halten, ihre Politik im Bundestag zu vertreten. Je mehr Stimmen eine Partei erhält, desto mehr Kandidaten von den Landeslisten ziehen ins Parlament ein.
Der Bundestag hat für die Europawahl eine Mindesthürde von künftig zwei Prozent beschlossen. Auf Bundesebene bleibt es aber bei der Fünf-Prozent-Hürde?
Ja, nach dem Bundeswahlgesetz gilt für die Sitzverteilung im Bundestag die Fünf-Prozent-Klausel. Das bedeutet, dass in der Regel nur Parteien, die mindestens fünf Prozent der Zweitstimmen erhalten, bei der Mandatsverteilung berücksichtigt werden. Damit soll ein zersplittertes Parlament verhindert und die Bildung stabiler Mehrheiten erleichtert werden. Eine Ausnahme bilden Parteien nationaler Minderheiten - für sie gilt die Fünf-Prozent-Hürde nicht. Im aktuellen Bundestag profitiert davon der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), der einen Abgeordneten stellt. Außerdem bleibt die Möglichkeit, dass eine Partei über drei gewonnene Direktmandate entsprechend ihres Wahlergebnisses im Bundestag mit weiteren Abgeordneten vertreten ist (Grundmandatsklausel).
Was genau besagt die Grundmandatsklausel?
Gewinnt eine Partei mindestens drei Direktmandate (Grundmandate), kann sie trotz eines Gesamtergebnisses von unter fünf Prozent in der Stärke ihres Zweitstimmenergebnisses ins Parlament einziehen. Im aktuellen Bundestag profitierte davon die Linke, die bei der Bundestagwahl 2021 auf 4,9 Prozent kam, aber dank dreier Direktmandate in Berlin und Leipzig ins Parlament einzog.
Die Grundmandatsklausel sollte mit der Wahlrechtsreform 2023 abgeschafft werden. Das Bundesverfassungsgericht erklärte jedoch in seinem Urteil vom 30. Juli 2024 diesen Aspekt der Wahlrechtsreform für verfassungswidrig. Wegen der zeitlichen Nähe zur nächsten Bundestagswahl hat es angeordnet, dass die Grundmandatsklausel vorläufig weiter gilt - bis der Gesetzgeber eine andere Regelung getroffen hat.
Der Bundeswahlausschuss um Bundeswahlleiterin Ruth Brand prüft, ob die formalen Voraussetzungen des Bundeswahlgesetzes erfüllt sind, etwa den fristgerechten Eingang der Beteiligungsanzeige.
Wie viele Parteien treten bei dieser Bundestagswahl an?
Der Bundeswahlausschuss unter Vorsitz von Bundeswahlleiterin Ruth Brand hat Mitte Januar 31 politische Vereinigungen, die ihre Beteiligung an der Bundestagswahl angezeigt haben, als Parteien anerkannt. Neben zehn im Bundestag und in Landesparlamenten vertretenen Parteien, die keine Beteiligungsanzeige einreichen mussten, sind damit 41 Parteien zur Teilnahme an der Wahl zugelassen. 24 politischen Vereinigungen wurde die Anerkennung als Partei versagt.
Und was passiert im Bundestag, wenn die Wahlurnen geschlossen sind?
Die Abgeordneten des 20. Deutschen Bundestages sind bis zur Konstituierung des 21. Bundestages gewählt. Spätestens 30 Tage nach der Wahl treten die neu gewählten Abgeordneten zur konstituierenden Sitzung des Bundestages im Reichstagsgebäude zusammen. Sie wird vom Alterspräsidenten, dem an Dienstjahren ältesten Mitglied des Parlaments, geleitet. Die Abgeordneten wählen dann den Bundestagspräsidenten sowie seine Stellvertreter und beschließen die Geschäftsordnung. Für die Kanzlerwahl gibt es übrigens keine verbindliche Frist. Sie steht auf der Tagesordnung, sobald sich die künftigen Regierungsparteien in den Koalitionsverhandlungen geeinigt haben. Bis dahin bleibt ab dem Zeitpunkt des Zusammentritts des neuen Bundestages der bisherige Kanzler noch geschäftsführend im Amt.
Die eine Fraktion ist geschrumpft, eine andere auf Rekordgröße angewachsen: Mit neuen Kräfteverhältnissen im Parlament verändert sich auch die Sitzverteilung im Plenarsaal – schließlich muss sich das Ergebnis im blauen Halbkreis widerspiegeln.
Der Übergang von einer Legislaturperiode zur nächsten ist im Parlament ein geordneter Prozess. Viele Umzugskartons werden gepackt, Büros geräumt, Mitarbeiter verlassen das Parlament oder wechseln Abgeordnetenbüros. Zudem muss der Plenarsaal umgebaut werden: Techniker bauen die leuchtend blauen Stühle aus und positionieren sie entsprechend des Wahlergebnisses neu – zuletzt war das wegen der Größe des Parlaments immer schwieriger geworden. Nach der Wahl am 23. Februar dürfte das weniger Kopfzerbrechen bereiten.
Wird der Bundestag ab jetzt immer im Februar gewählt?
Nein. Der Bundestag wird für vier Jahre gewählt. Die nächste reguläre Bundestagswahl wird also voraussichtlich im Frühjahr 2029 sein, denn die Wahl findet immer frühestens 46 Monate und spätestens 48 Monate nach der konstituierenden Sitzung des Parlaments statt. Das bedeutet, dass der Wahltermin so über mehrere Wahlperioden wieder in den Herbst rücken könnte.
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