Deutschland vor der Wahl : Buhlen um Wählerstimmen
Der ungewohnte Winterwahlkampf fällt hitzig aus. Mit der Migrationsdebatte steht ein heftig umstrittenes Thema im Mittelpunkt der Auseinandersetzung.
Der kurze Winterwahlkampf nach dem abrupten Ende der Ampel-Koalition im November 2024 wird vermutlich als einer der bemerkenswertesten in die Geschichte der Bundestagswahlen eingehen. So emotional, teilweise polemisierend und polarisierend gingen die Parteien und ihre Protagonisten im Kampf um die begehrten Wählerstimmen selten miteinander um.
Geprägt wird der Wahlkampf von Migrationsfragen. Die Auseinandersetzung gipfelte in einem spektakulären Showdown im Bundestag, als Ende Januar 2025 ein Unions-Antrag für eine strikte Migrationspolitik mit den Stimmen der AfD-Fraktion eine Mehrheit bekam. Massendemonstrationen gegen eine Kooperation von Union und AfD sowie gegenseitige Schuldzuweisungen der Wahlkämpfer folgten.
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Kanzler Scholz (links im Bild) und sein Herausforderer Friedrich Merz (rechts) sind im Wahlkampf scharf aneinandergeraten. SPD und Union werden nach der Wahl aber womöglich über eine Koalition beraten müssen.
Die SPD-Spitze beklagte einen Tabubruch der CDU und einen Vertrauensverlust, SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich bemühte mit Blick auf die AfD gar das Bild vom "Tor zur Hölle". Andere wichtige Themen gerieten im Wahlkampf angesichts der hitzigen "Brandmauer"-Debatte in den Hintergrund.
Prominente Köpfe prägen den Wahlkampf der Parteien
Bundestagswahlen versprechen immer Spannung, aber diesmal erscheint die Ausgangslage besonders ungewöhnlich. Gleich fünf ausgerufene Kanzlerkandidaten (Olaf Scholz/SPD; Friedrich Merz/Union; Robert Habeck/Grüne; Alice Weidel/AfD; Sahra Wagenknecht/BSW) deuten auf einen selbstbewussten Wettstreit der Parteien hin, aber auch auf den Versuch, mit bekannten Persönlichkeiten zu punkten.
Mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) tritt zudem erstmals auf Bundesebene eine Partei an, die erst im Januar 2024 gegründet wurde und in ihrer politischen Bandbreite schwer einzuschätzen ist. Immerhin ist das BSW eine Abspaltung der extremen Linken. Dem BSW eilt der Ruf voraus, mitunter tendenziell Kreml-freundliche Positionen zu vertreten. Die potenzielle Bündnisfrage ist vor allem für die CDU zwiespältig, die einen Unvereinbarkeitsbeschluss zur Linken gefasst hat, sich nach der Landtagswahl in Thüringen aber zum BSW hin öffnete. Dort regiert die CDU nun zusammen mit BSW und SPD, indirekt gestützt auch von der Linken.
Gewählt wird in einer angespannten innenpolitischen Lage, die geprägt ist von einer mehrjährigen Wirtschaftskrise, einer schwierigen Haushaltslage, die ausschlaggebend war für den Bruch der Ampel, und einer hart geführten Migrationsdebatte mit Forderungen nach strikten Asylregeln und Ausweisung krimineller Ausländer.
Attentate sorgen für Verunsicherung bei den Bürgern
Der hohe Anteil ausländischer Tatverdächtiger, verstörende Bilder von Silvester-Krawallen in Berlin, die Amokfahrt von Magdeburg kurz vor Weihnachten und der Messerangriff eines ausreisepflichtigen Afghanen in Aschaffenburg im Januar haben parteiübergreifend Forderungen nach einem konsequenteren Vollzug von Gesetzen aufkommen lassen.
Die Neuwahl in Deutschland fällt auch in eine Zeit der globalen politischen Instabilität, die in einigen Ländern zu einem Rechtsruck oder zu einem libertären Verständnis von Staatsführung geführt hat.
Im Januar brach in Österreich die "Brandmauer" gegenüber der rechten FPÖ zusammen, nachdem Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ, ÖVP und den liberalen Neos scheiterten. Nachdem nun auch die Verhandlungen zwischen FPÖ-Chef Herbert Kickl und der ÖVP gescheitert sind, ist derzeit offen, wie es in der Alpenrepublik weitergeht. Politikexperten sehen wegen der Stärke der AfD Ähnlichkeiten mit der politischen Lage in Deutschland.
Einmischung von außen? Irritationen nach Wahlempfehlung von Elon Musk
Mit der erneuten Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten ist der Protagonist eines teils radikalen, auf jeden Fall unkonventionellen Politikstils ins Amt gekommen, der in den deutschen Wahlkampf hineinwirkt. Trumps neuer Berater, Tesla-Chef Elon Musk, empfahl in einem heftig umstrittenen Gastbeitrag für die "Welt am Sonntag", AfD zu wählen. Der Beitrag wurde von Journalisten und Politikern harsch kommentiert und als unzulässige Einmischung in den Wahlkampf gewertet.
Dass die Ukraine seit drei Jahren von russischen Truppen auf breiter Front angegriffen wird, hat im Wahlkampf nicht nur eine militärische, außen- und sicherheitspolitische Dimension, sondern auch eine haushaltspolitische. Insbesondere die USA, der größte Truppensteller der NATO, fordert von den europäischen Partnern mehr Geld.
Trump hat fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ins Spiel gebracht, Habeck schlug 3,5 Prozent vor. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) erklärte, die konkrete Bewaffnung sei wichtiger als die Zahl, aber auf mehr als zwei Prozent laufe es hinaus. Auch Merz will sich an zwei Prozent orientieren.
Die Frage bleibt, woher zusätzliches Geld kommen sollte. Mehr Schulden machen oder eine Umverteilung der Haushaltsmittel? Dass auch die Verkehrsinfrastruktur eine "Zeitenwende" und ein "Sondervermögen" gut gebrauchen könnte, ebenso die Sozialsysteme, wird nach Einschätzung von Politikexperten ein finanzpolitischer Traum bleiben. Haushaltsfragen werden jedenfalls auch für die nächste Bundesregierung sicherlich ein Knackpunkt sein.
Zwiespältige Erinnerungen an die erste Dreierkoalition
Die erste Ampelkoalition von SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene hinterlässt in der Bevölkerung zwiespältige Erinnerungen an öffentlich ausgetragenen Dauerstreit, aber auch an viele politische Initiativen in einer von globalen Konflikten, der Klimakrise sowie der Energiewende geprägten Zeit. Dass die FDP offenbar schon länger ein Ausscheiden aus der Koalition erwogen hatte, bescherte ihr neben Häme und dem Vorwurf, unseriös zu sein, sinkende Umfragewerte. Die FDP lag zuletzt in Umfragen unter der maßgeblichen Fünf-Prozent-Hürde. FDP-Vize Wolfgang Kubicki fürchtet für seine Partei eine existenzielle Krise, sollte sie aus dem Bundestag ausscheiden.
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Sie sollen es richten: Gregor Gysi, Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow (v.l.n.r.), hier bei einem Wahlkampfauftritt in Erfurt, wollen Die Linke mit der "Mission Silberlocke" über die Fünf-Prozent-Hürde hieven.
Fragil ist auch die Lage für die Linkspartei, die deshalb auf ihre prominenten "Silberlocken" setzt, um über drei direkt gewonnene Mandate wieder ins Parlament zu kommen: Dietmar Bartsch, Gregor Gysi und Bodo Ramelow sollen es richten.
Beim BSW ist im Wahlkampf alles auf Parteigründerin Wagenknecht zugeschnitten, trotz der großen Erfolge im Osten ist die Partei in Umfragen jedoch zuletzt unter Druck geraten.
Union liegt in Umfragen klar vor der regierenden SPD
Scholz liegt auf der Beliebtheitsskala weit hinter seinem Parteikollegen Pistorius zurück und hat auch von dem "Brandmauer-Streit" im Bundestag nicht erkennbar profitiert. Beim direkten Vergleich der Kanzlerkandidaten schneidet Scholz im ZDF-Politbarometer (7. Februar) mit 18 Prozent deutlich schlechter ab als Merz (32 Prozent) und Habeck (24 Prozent). Die SPD kommt in aktuellen Umfragen auf 15 bis 16 Prozent. Wahlkämpfer verweisen regelmäßig darauf, dass Umfragewerte keine Wahlergebnisse sind. Gleichwohl ist die von der SPD erhoffte Trendwende im Wahlkampf bislang ausgeblieben.
Klar vorn liegt die Union mit 29 bis 30 Prozent, gefolgt von der AfD mit 20 bis 21 Prozent. Die Grünen erreichen in den Umfragen 12 bis 15 Prozent. Das BSW liegt zwischen vier und sechs Prozent, Die Linke bei fünf bis sechs Prozent. Die FDP kommt bei verschiedenen Instituten jeweils auf vier Prozent.
Derweil ist das Interesse der Bevölkerung an der Bundestagswahl ungewöhnlich groß. Wahlforscher sprechen von einer allgemeinen Mobilisierung der politischen Lager. Der Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung verzeichnete in den ersten Tagen nach der Freischaltung neue Rekorde bei den Abrufzahlen. Das TV-Duell zwischen Scholz und Merz verfolgten am 9. Februar zur üblichen Tatort-Sendezeit mehr als zwölf Millionen Zuschauer.
Viele Koalitionsoptionen liegen nicht auf dem Tisch
Politische Beobachter gehen davon aus, dass die Regierungsbildung auf Bundesebene schwierig werden könnte. Die FDP hofft auf eine schwarz-gelbe Koalition, die Union hat aber klargestellt, dass von "Leihstimmen" zugunsten der FDP nicht die Rede sein kann. Die CSU wiederum will nicht mit den Grünen koalieren, auch aus Sicht von CDU-Vize Michel Kretschmer ist das "unvorstellbar", die FDP schließt ein Bündnis mit den Grünen gleichfalls aus.
Die AfD steht ohne potenzielle Partner da, umwirbt aber die Union. Ein neuerliches Bündnis von Union und SPD wird trotz der jüngsten Irritationen zwischen beiden Parteien nach dem heftigen Migrationsstreit im Bundestag für gut möglich gehalten.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mahnte vorsorglich schon bei seiner Neuwahlentscheidung im Dezember 2024, den Wahlkampf mit "Respekt und Anstand" zu führen, auch weil nach der Wahl "die Kunst des Kompromisses" gefragt sein werde, um eine stabile Regierung zu bilden.