FPÖ und ÖVP-Koalition in Österreich? : Kickl auf dem Weg ins Kanzleramt
FPÖ und ÖVP verhandeln über die Bildung einer Regierung. Alles scheint auf FPÖ-Chef Herbert Kickl als Kanzler hinauszulaufen. Was ist von ihm zu erwarten?
In Wien gibt es wieder Donnerstagsdemonstrationen. Die hat es bisher stets gegeben, wenn die rechte Freiheitliche Partei (FPÖ) an der österreichischen Bundesregierung beteiligt, aber dabei nicht Partner der Sozialdemokraten (SPÖ) war. Jetzt ist die FPÖ zwar nicht in der Regierung, aber sie verhandelt mit der christdemokratischen Volkspartei (ÖVP) über ein Koalitionsabkommen. Vorige Woche kamen zehntausende Demonstranten auf den Ballhausplatz vor dem Bundeskanzleramt zusammen. Sie riefen und zeigten Parolen wie "Alarm für die Republik" und "Nein zum Volkskanzler".
Mit diesem aus der Hitlerzeit belasteten Begriff ist der FPÖ-Vorsitzende Herbert Kickl gemeint. Er hat ihn sich selbst zugeschrieben. Zum ersten Mal können die Freiheitlichen den Bundeskanzler stellen. Die Gespräche mit der Volkspartei sind zügig vorangekommen. Nach wenigen Tagen präsentierten Kickl und der neue ÖVP-Vorsitzende Christian Stocker am Montag einen "Budgetpfad", der milliardenschwere Haushaltskürzungen vorsieht, um ein EU-Defizitverfahren abzuwenden.
Eigentlich hatte die ÖVP ein Bündnis mit Kickl ausgeschlossen
Lange hatte es nach der Nationalratswahl vom 29. September so ausgesehen, als würde eine Koalition an Kickl vorbei gebildet. Denn die FPÖ hat die Wahl zwar gewonnen, aber mit ihren rund 29 Prozent braucht sie einen Koalitionspartner, und der war zunächst nicht in Sicht.
Die mit 26 Prozent zweitplatzierte ÖVP unter dem bisherigen Bundeskanzler Karl Nehammer hatte ausgeschlossen, mit Kickl zu regieren, denn der FPÖ-Chef sei ein "gefährlicher Politiker". Für ein Bündnis mit der FPÖ hatten sich die Christdemokraten aber ein Türchen offengehalten, denn dort gebe es "auch vernünftige Leute". SPÖ (21 Prozent), Liberale (Neos, neun Prozent) und der bisherige ÖVP-Koalitionspartner Grüne (acht Prozent) hatten es ohnehin ausgeschlossen, mit der FPÖ zu kooperieren.
Theoretisch hat der Bundespräsident freie Hand bei der Nominierung des Kanzlers
Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat im Herbst in Gesprächen mit den Parteivorsitzenden ausgelotet, ob nach der Wahl gelte, was angekündigt worden war. Das Staatsoberhaupt hat in Österreich eine wichtige Rolle. Anders als in Deutschland, wo der Bundeskanzler vom Bundestag gewählt wird, ist es in Wien der Bundespräsident, der den Kanzler ernennt und entlässt. Er hat dabei freie Hand. Freilich muss er die Mehrheitsverhältnisse berücksichtigen, denn sonst könnte der Nationalrat seinen Kanzler mit einem einfachen Misstrauensvotum wieder stürzen.
Weil Kickl also keine Option auf eine Mehrheit zu haben schien, aber ÖVP, SPÖ, Neos und Grüne die grundsätzliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit bekundeten, erteilte Van der Bellen zunächst Nehammer den Auftrag zur Regierungsbildung. Die verlief aber zäh. Es dauerte bis November, bis die Sondierungen ergaben, dass erstmals in Österreich eine Dreierkoalition versucht werden solle. Denn ÖVP und SPÖ hätten zwar auch allein eine Mehrheit im Nationalrat gehabt, aber nur um einen Abgeordneten. Würde auch nur ein Parlamentarier krank sein oder aus der Disziplin ausscheren, dann würde diese Zweierkoalition eine Abstimmungsniederlage riskieren. Früher nannte man Rot-Schwarz zurecht eine „große Koalition“. Heute geschieht das höchstens noch aus Gewohnheit.
Eine “Zuckerl”-Koalition kam nicht zustande
Im Wahlergebnis lag also eine Tücke, die sich auf den ersten Blick kaum erschloss. Ein dritter Partner wurde eigentlich nicht gebraucht, aber irgendwie doch. Nehammer entschied sich für die Neos, denn mit den Grünen hat sich die ÖVP tief zerstritten. Also verhandelten Türkis (ÖVP), Rot (SPÖ) und Pink (Neos) über eine bonbonfarbene Koalition, die in Österreich als "Zuckerl" bezeichnet wurde. Nur dass im Budget kein Zucker vorhanden ist, um die notwendigen Reformpillen zu umhüllen. Die SPÖ wollte ein Defizitverfahren in Kauf nehmen und neue Steuern einführen. ÖVP und Neos wollten das nicht. Die Neos wollten grundlegende Reformen. Sie hatten das Berliner Schicksal der FDP vor Augen und wollten nicht nur der Mehrheitsbeschaffer sein. Kurz nach Neujahr stiegen sie aus den Verhandlungen aus. Die ÖVP folgte, Nehammer trat zurück. Stocker, bisher einer der schärfsten Kritiker Kickls, nahm Gespräche mit der FPÖ auf. Außenminister Alexander Schallenberg wurde Interims-Regierungschef.
Also läuft alles auf einen Kanzler Kickl hinaus. Ist er so gefährlich, wie die ÖVP bis zu ihrem Umfallen und die Demonstranten auf dem Ballhausplatz immer noch meinen? Bedenklich sind nicht nur seine Sprüche vom "Volkskanzler" und politischen Gegnern auf "Fahndungslisten". Als Innenminister in der ÖVP-FPÖ-Regierung unter Sebastian Kurz hatte er den Verfassungsschutz demontieren lassen. Die vom Verfassungsschutz der rechtsextremen Szene zugerechneten Identitären hält er für eine NGO wie Greenpeace. In der Pandemie lehnte er Corona-Maßnahmen radikal ab und empfahl Entwurmungsmittel und frische Luft. Er ist gegen EU-Hilfen für die Ukraine. Die EU will er entmachten, den Nationalstaat stärken.
Kickl wäre eine Verstärkung für die EU-Kritiker Orban und Fico
Würde das auch sein Regierungskurs sein? Die ÖVP beteuert, sie stehe für eine konstruktive EU-Mitgliedschaft und gegen die Aggression Russlands ein. Sehr standfest war sie zuletzt allerdings nicht. Jedenfalls werden die russlandfreundlichen EU-Kritiker, Ungarns Regierungschef Viktor Orbán und der slowakische Ministerpräsident Robert Fico, Aufwind spüren. Extreme Rechte würde man im Regierungsumfeld sehen, ihre Medien würden gefördert.
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Ein Durchregieren zugunsten der eigenen Partei wie in Ungarn wäre Kickl jedoch nicht möglich. Er hat keine Zweidrittelmehrheit, nicht einmal eine Eindrittelminderheit. Institutionen wie die Justiz, die Länder und der Bundespräsident sind gefestigt, die Medien wirtschaftlich angeschlagen, aber viele wehrhaft. Man wird eine restriktive Politik gegen Migration erwarten können, da sind sich FPÖ und ÖVP einig. Vielleicht auch eine reformorientierte Wirtschaftspolitik. Angesichts von Rezession und Schwäche der europäischen Automobilindustrie wäre das wichtig. Das vorgestellte Budget weist in diese Richtung.
Der Autor ist politischer Korrespondent der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” für Österreich und Ungarn.