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EU-Ratspräsidentschaft : Polen übernimmt in schwierigen Zeiten

Polen hat am 1. Januar die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Auf die Agenda setzen will das Land in den nächsten sechs Monaten vor allem ein Thema: Sicherheit.

08.01.2025
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4 Min
Foto: picture alliance / PAP

Der polnische Premier Donald Tusk ist neuer EU-Ratspräsident.

Selten war eine EU-Ratspräsidentschaft mit so hohen Erwartungen konfrontiert, wie das bei Polen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres der Fall ist. Das Land hat zum 1. Januar die EU-Ratspräsidentschaft von Ungarn übernommen, das im zweiten Halbjahr 2024 an der Spitze des Rates wenig erreicht hatte. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán war vor allem durch Provokationen wie seine als Friedensmission verbrämte Reise nach Russland aufgefallen. Inhaltliche Arbeit fand während der ungarischen Ratspräsidentschaft wenig in Brüssel statt – aber natürlich auch, weil sich die EU-Kommission nach der Europa-Wahl neu formiert hat.

Hohe Erwartungen an Polen 

Polen sei „extrem motiviert“ und „supergut aufgestellt“, um wieder Dynamik in den EU-Apparat zu bringen, sagen Diplomaten. 945 politische Treffen sind angesetzt, das Thema Sicherheit soll im Mittelpunkt stehen. Koordiniert wird die EU-Ratspräsidentschaft von Polens Außenminister Radoslav Sikorski. Dass dieser bereits bei der vorherigen polnischen EU-Ratspräsidentschaft 2011 im Amt war, dürfte sich als Vorteil erweisen. Allerdings könnten die Polen auch nur so viel erzielen, wieviel sich in einem halben Jahr realistisch abarbeiten lasse, betonen Diplomaten. 


„Wenn Europa keine Macht hat, wird es nicht überleben. “
Donald Tusk, Polens Ministerpräsident

Hinzu kommt: Polen übernimmt die rotierende Ratspräsidentschaft in einer Zeit extremer politischer Unsicherheit. Polens Ministerpräsident Donald Tusk hat weder in Berlin noch in Paris starke Ansprechpartner. Nach der Bundestagswahl im Februar kann es dauern, bis eine neue Regierungskoalition in Deutschland steht. In Frankreich ist Präsident Emmanuel Macron erheblich geschwächt, seit der bürgerlichen Mitte eine Mehrheit im Parlament fehlt. In Österreich könnte die rechtspopulistische Freiheitliche Partei (FPÖ) künftig die Regierung führen, die Waffenlieferungen in die Ukraine und Sanktionen gegen Russland sehr skeptisch gegenübersteht.

Europa ringt um eine gemeinsame Linie

Vor diesem Hintergrund wird es schwierig sein, Europa zusammenzuhalten. Aber gerade das wäre nötig, um international stark aufzutreten, wenn in den USA Donald Trump am 20. Januar seine zweite Amtszeit als Präsident antritt. „Wenn Europa keine Macht hat, wird es nicht überleben“, warnte Tusk zum Auftakt der EU-Ratspräsidentschaft. Auf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen muss er zunächst jedoch verzichten. Sie fällt wegen einer schweren Lungenentzündung für zwei Wochen aus. Noch vor Trumps Amtsantritt am 20. Januar hatte sie in die USA reisen wollen, um den künftigen Präsidenten davon abzubringen, Zölle auf Waren aus Europa zu verhängen. Trump wird darauf dringen, dass die Europäer selbst für ihre Sicherheit sorgen - und diese konsequenterweise auch selbst finanzieren. 

Die Art und Weise, wie die polnische Regierung das Thema Sicherheit zu ihrem Leitmotiv gemacht habe und auch auf Gebiete wie Energie und Desinformation heruntergebrochen habe, sei klug, argumentiert etwa Luuk van Middelaar, Mitgründer des Brussels Institute for Geopolitics und einst Mitarbeiter von EU-Ratspräsident Herman van Rompuy, dem Tusk 2014 als Ratspräsident folgte. Auch Sicherheit bei Nahrungsmitteln und Technologie gehören zu den insgesamt sieben Unterpunkten des Konzepts. 


„Europa muss die Bedrohung aus dem Osten, aus Russland, ernst nehmen.“
Andrzej Domanski, Polens Finanzminister

Für Verteidigung ist die EU bisher nur sehr eingeschränkt zuständig, aber Polen gehört zu den Ländern, die fordern, dieses Thema in der EU gemeinsam anzugehen. Die EU-Kommission schätzt, dass Europa mindestens 500 Milliarden Euro ausgeben muss, um in den kommenden zehn Jahren verteidigungsfähig zu werden. „Europa muss die Bedrohung aus dem Osten, aus Russland, ernst nehmen“, sagt der polnische Finanzminister Andrzej Domanski. Er hat angekündigt, dass die zuständigen Minister der EU-Staaten im April bei ihrem informellen Treffen in Warschau Finanzierungsmodelle diskutieren könnten.

Gemeinsame Schulden sind Streitthema

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Polen hat die eigenen Ausgaben für Militär und Waffen erheblich nach oben geschraubt und wird in diesem Jahr 4,7 Prozent der Wirtschaftsleistung in seine Verteidigung investieren. Tusk macht sich dafür stark, dass die EU nach dem Vorbild des Corona-Wiederaufbaufonds gemeinsame Schulden für Verteidigung aufnehmen soll. 

Bundeskanzler Olaf Scholz hat dies bisher abgelehnt mit dem Hinweis, das Bundesverfassungsgericht habe dem Corona-Fonds nur zugestimmt, weil er als einmaliges Konstrukt angelegt war. 

Polen für weitere Sanktionen gegen Russland 

Auch die Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldawien möchte Polen in den kommenden sechs Monaten vorantreiben. Ob solche Gespräche tatsächlich eröffnet werden können, hängt allerdings davon ab, dass skeptische Länder wie Ungarn und die Slowakei zustimmen. Der Beschluss muss einstimmig erfolgen. Dasselbe gilt für Sanktionen. Polen möchte zum Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine im Februar ein weiteres Sanktionspaket auf den Weg bringen, um ein Zeichen zu setzen. Ungarn jedoch blockierte zuletzt die Verlängerung bereits laufender EU-Sanktionen.

Der Einfluss einer EU-Ratspräsidentschaft sollte nicht überschätzt werden, warnt Helena Quis von der Bertelsmann Stiftung. „Aber Polen hat die Erfahrung und die Glaubwürdigkeit, eine Führungsrolle zu spielen.“ Unerledigte Dossiers werden an Dänemark und Zypern übergehen, die in der sogenannten Trio-Präsidentschaft auf Polen folgen.

Die Autorin ist freie EU-Korrespondentin.

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