Richtungsstreit in der Wirtschaftspolitik : Was Trumps Zölle für den Welthandel und die Inflation bedeuten
Eigentlich läuft die US-Wirtschaft nicht schlecht. Aber Vizepräsidentin Harris bekommt dafür im Wahlkampf kaum Anerkennung. Derweil plant Trump,die USA abzuschotten.
Donald Trump nimmt auf dem weißen Ledersessel Platz und ballt die Faust in die Höhe. "Ich mag dieses Publikum, das sind nette Leute", lobt der republikanische Präsidentschaftskandidat bei einem Wahlkampfauftritt in Chicago, bei dem er mit Applaus und stehenden Ovationen empfangen wird. An diesem Dienstag im Oktober spricht Trump vor dem ehrwürdigen Chicago Economic Club, der seit über 100 Jahren die Wirtschaftselite der US-Metropole vereint.
Seine Herausforderin Kamala Harris hat einen Auftritt in Chicago abgelehnt. Doch Trump sucht die Nähe zu den Unternehmenslenkern, um seine neue Vision für die größte Volkswirtschaft der Welt zu präsentieren. Es wäre nicht weniger als eine radikale Umgestaltung des Welthandels. Der Republikaner plant Importzölle von 60 Prozent auf Güter aus China und 20 Prozent auf alle anderen Einfuhren. Ökonomie-Professor Paul Krugman rechnet damit, dass so die Zölle insgesamt auf ein Niveau steigen werden, das die Welt seit den 1930er Jahren nicht gesehen hat.
Containerschiff auf dem Mississippi: Zölle würden den Import von Waren verteuern, aber wohl auch den Export erschweren, wenn andere Staaten ebenfalls Handelshemmnisse aufbauen
"Das schönste Wort im Lexikon ist für mich der Begriff ,Zoll'", schwärmte Trump in Chicago. Sein Kalkül: Höhere Einfuhrzölle würden ausländische Unternehmen dazu bewegen, ihre Produktion in die USA zu verlagern, was wiederum Investitionen, Arbeitsplätze und das Wirtschaftswachstum der USA ankurbeln würde.
Trump verspricht niedrigere Steuern, und das kommt an
Gleichzeitig verspricht Trump massive Steuersenkungen, die die Staatsverschuldung der USA auf 150 Prozent der Wirtschaftsleistung erhöhen könnten - ein neuer Rekord. Doch Trump winkt ab. "Wir sind sehr auf Wachstum bedacht", stellt er klar. Es passt zu den Aussagen, die er nur wenige Wochen vorher machte: "Ich möchte, dass deutsche Autofirmen zu amerikanischen Autofirmen werden."
Bei Ben Mason aus Philadelphia im US-Bundesstaat Pennsylvania kommt das gut an. Der Mann mit Bart und Baseball-Mütze hat seinen Job als Lkw-Fahrer verloren und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch. Einer hat ihn gerade nach New York verschlagen, wo er in einem Touristenshop Fan-Artikel von Trump begutachtet. "Trump traut sich wenigstens mal was", sagt Mason und ist überzeugt: "Nur unter ihm werden sich die Dinge wirklich ändern."
IWF rechnet mit Wachstum der US-Wirtschaft um 2,8 Prozent in diesem Jahr
Es ist paradox: Die US-Wirtschaft ist wachstumsstark, innovativ und technologisch dominant. Sie treibt derzeit die Weltwirtschaft an und die Aktienkurse von US-Unternehmen gleich mit, weil Europa und China schwächeln. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet damit, dass die US-Wirtschaft in diesem Jahr um 2,8 Prozent wachsen wird. Deutschland dagegen steckt in einer Stagnation. Vergleicht man die Wirtschaftsleistung pro Kopf in China, Deutschland und den Vereinigten Staaten, zeigt sich, dass Amerika seine Führung zuletzt immer deutlicher ausbauen konnte.
Doch Kamala Harris, die als Vizepräsidentin unter Joe Biden große Teile dieses Aufschwungs mit verantwortet hat, bekommt dafür wenig Anerkennung. Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff sieht dafür vor allem einen Grund: die Inflation. "Wenn man den Leuten sagt, dass die Inflation auf zwei Prozent sinkt, dann hilft ihnen das nicht viel. Sie schauen auf die Preise im Supermarkt und was sie für Benzin zahlen und für alles andere", gibt er zu bedenken. Schließlich sinken die Preise nicht, sie steigen nur weniger stark an als noch vor einem oder zwei Jahren. Gleichzeitig steigen die Löhne bei einem immer noch starken Arbeitsmarkt. Und dennoch kommen die vielen guten Nachrichten nicht gleichermaßen bei den Wählern an. Wer zum Beispiel vor der Pandemie ein Haus gekauft hat, als die Zinsen niedrig waren, der bekommt von der anhaltenden Wohnungsnot nicht viel mit.
Trump-Fan Mason spürt das indes sehr stark. Um 200 Dollar pro Monat sei seine Miete gestiegen. Die Kosten für Nahrungsmittel sorgen zusätzlich für gestiegene Kosten. "Früher konnte man noch zu zweit für 50 Dollar gut Essen gehen. Das geht schon lange nicht mehr", sagt er. Auch der Besuch im Supermarkt sorgt regelmäßig für schlechte Laune, genauso wie der Blick auf seine Kreditkartenabrechnung. Wie viele Amerikaner hat auch er Kreditkartenschulden angehäuft. Landesweit lagen die Kreditkartenschulden im zweiten Quartal bei 1,4 Billionen Dollar - ein neuer Rekord.
Ein paar Tausend Wechselwähler in sieben Bundesstaaten könnten die Entscheidung bringen
Zwei Attentate auf Trump und Bidens spätes Ausscheiden aus dem Wahlkampf haben dieses Rennen um das Weiße Haus zu einem ungewöhnlichen und besonders aufwühlenden Ereignis gemacht. Bis zuletzt ist es ein Kopf-an-Kopf-Rennen, im tief gespaltenen Amerika könnten am Ende nur ein paar Tausend Wechselwähler in sieben Bundesstaaten die Entscheidung bringen.
Beide Seiten kämpfen bis zuletzt um Wählerstimmen. Harris steht für Steuerentlastungen für Familien mit Kindern sowie für Hauskäufer und Kleinunternehmer. Gleichzeitig will sie Unternehmensgewinne stärker besteuern, den Spitzensteuersatz für Personen erhöhen, die mehr als 400.000 Dollar im Jahr verdienen, und die Kapitalertragsteuer für Einkommensmillionäre anheben. Auch ihre Programme würden die Staatsschulden erhöhen, allerdings nicht so stark wie die von Trump.
Das Committee for a Responsible Federal Budget (CRFB), eine überparteiliche Interessenvertretung, schätzt, dass Trumps Pläne die kumulierten Haushaltsdefizite über zehn Jahre hinweg auf 7,5 Billionen Dollar wachsen lassen würden. Harris' Ideen sind der Untersuchung zufolge rund halb so teuer.
Harris positioniert sich als Kandidatin der Stabilität
Die Vize-Präsidentin positioniert sich im Wahlkampf jedoch im Wesentlichen als Kandidatin der Stabilität, die die demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien des Landes achtet und eine Alternative sein will zu Trump, der bereits in seiner ersten Amtszeit für seine Lügen und sein erratisches Verhalten bekannt und gefürchtet wurde. In einem Interview mit der "New York Times" warnte John Kelly, sein früherer Stabschef in Weißen Haus, vor Trumps Vorliebe für Diktatoren. Er "bevorzugt sicherlich die diktatorische Herangehensweise", sagte Kelly.
Den Inflation Reduction Act, den Biden vor gut zwei Jahren als das größte Investment in erneuerbare Energien und Klimaschutz der Geschichte unterzeichnet hatte, würde Harris ebenfalls weiterführen. Schon jetzt hätten Unternehmen Investitionen im Wert von 900 Milliarden Dollar angekündigt, heißt es in einer Erklärung des Weißen Hauses. Diese sollen mehr als 300.000 Jobs schaffen.
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Wendy Jacobs will sich gar nicht vorstellen, wie es wäre, wenn sich die USA wieder von ihrem Vorstoß zu erneuerbaren Energien abwenden würden, so wie es Trump angekündigt hat. "Harris hat eine Vision für die Zukunft, nach den vielen Waldbränden und Hurrikans in diesem Jahr ist es doch ganz klar, dass wir auf erneuerbare Energien setzen müssen", sagt die Frau mit den langen braunen Haaren, die als Programmiererin in Denver im US-Bundesstaat Colorado arbeitet und ihren richtigen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will. Nachrichten schaut sie sich schon gar nicht mehr an. "Die erste Amtszeit von Trump war schon so düster, ich will auf keinen Fall, dass wir wieder solche Zeiten erleben."
Volkswirte fürchten Folgen für Verbraucher
Ökonomen warnen unterdessen vor den negativen Folgen, die Trumps anvisierte Zölle haben würden. So gaben in einer Umfrage unter Wirtschaftswissenschaftlern der University of Chicago 95 Prozent der Befragten an, dass "ein wesentlicher Teil der Zölle von den Verbrauchern des Landes, das die Zölle einführt, getragen wird - durch Preiserhöhungen." Zölle lösten in der Regel Vergeltungsmaßnahmen aus und führten zu großen Produktionsproblemen, da die Lieferketten der USA nicht auf eine neue Ära der Abschottung ausgerichtet seien, warnt Bill Dudley, der frühere Chef der regionalen Notenbank in New York. Flächendeckend höhere Zölle würden nicht die Wirtschaft ankurbeln, sondern die Inflation erhöhen und das Wachstum beeinträchtigen, schrieb er in einem Gastbeitrag für die Nachrichtenagentur Bloomberg. “Wähler müssen erkennen, dass Trump keine Ahnung hat, wovon er redet.”
Die Autorin ist US-Korrespondentin für das "Handelsblatt".