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Foto: picture-alliance/dpa/Patrick van Katwijk
Da wollen sie rein: Das Weiße Haus in Washington D.C. ist Amts- und offizieller Regierungssitz des Präsidenten der Vereinigten Staaten.

Neue Erwartungen an Europa : Die Welt schaut auf Amerika

Ob Kamala Harris oder Donald Trump ins Weiße Haus einzieht, ist offen. So oder wird man sich in Deutschland und Europa auf schwierige Partner einstellen müssen.

01.11.2024
True 2024-11-01T12:18:43.3600Z
4 Min

In Deutschland neigt man dazu, Kamala Harris und Donald Trump als Gegensätze zu sehen mit unterschiedlichen Weltbildern. Das kann zu falschen Erwartungen verführen, was von der Einen und was von dem Anderen international zu erwarten sei.

Gewiss macht es einen Unterschied für Deutschland und Europa, wer von beiden in den nächsten vier Jahren den Kurs der Weltmacht bestimmt. Aber bei einigen für Deutschland und Europa wichtigen Fragen gibt es einen lagerübergreifenden Konsens in den USA. Das wird in Europa häufig nicht wahrgenommen.

Europa sollte fähig sein, selbst für seine Sicherheit zu sorgen

Zu dem übergreifenden Konsens gehört die - keineswegs neue - Erwartung, dass die Verbündeten nicht nur mehr militärische Verantwortung übernehmen, sondern grundsätzlich fähig sein müssen, selbst für ihre Sicherheit zu sorgen. Auch ohne Hilfe der USA, denn die wollen ihre Ressourcen stärker auf die Verbesserung des Alltags der US-Bürger sowie international auf die Konflikte in Asien und im Pazifik konzentrieren.

Das gilt auch für den Krieg in der Ukraine, ein Regionalkonflikt aus US-Sicht. Europa sollte aus eigener Kraft mit Wladimir Putins Russland fertig werden können und das gewünschte Ziel erreichen: den Rückzug der Russen aus allen besetzten Gebieten. Schließlich sei die Wirtschaftskraft der EU sieben Mal so groß wie die russische, sagen Experten in den USA. Und ein Sieg wäre wichtig, denn der Ausgang hat Signalwirkung für Chinas Kalkül, ob es sich die gewaltsame Annexion Taiwans leisten kann.

Die Generationen Harris und jünger blicken anders auf die Welt

Anders als in früheren Jahrzehnten, als Europa noch nicht so reich war wie heute, gibt es aus Sicht der Amerikaner keine guten Argumente, warum die USA den Großteil der Nato finanzieren. Diese Allianz schützt Europa. Die Europäer sollten den höheren Kostenanteil tragen. Als gewiss darf gelten: Zögen die USA das Beistandsversprechen zurück, würde es teurer für Europa. Zwei Prozent vom BIP für Verteidigung reichten dann vermutlich nicht mehr. Es müssten eher sechs Prozent sein, um die Versäumnisse aufzuholen.

Joe Biden wird wohl der letzte Präsident sein, der durch das Denken der "Greatest Generation" geprägt wurde. Die hat den Zweiten Weltkrieg persönlich erlebt und verinnerlicht, dass es keine gute Idee ist, wenn die USA Europa sich selbst überlassen. Und dass eine Weltmacht mit Verbündeten besser dasteht.

Wirtschaftspolitik: "America First" ist die allgemeine Devise

Ein enges Rennen

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Die Generationen Kamala Harris (60) und jünger blicken anders auf die Welt - und nicht mehr so väterlich wie Biden auf Deutschland und Europa.

In der internationalen Handels-, Finanz- und Wirtschaftspolitik ist "America First" die allgemeine Devise. Trump hat die Republikaner, die früher Freihändler waren, auf Protektionismus eingeschworen. Die Demokraten neigten schon immer dazu. Da wird keine große Rücksicht auf die Verbündeten, ihre Interessen und WTO-Prinzipien genommen.

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Kandidaten: Wie Trump mit Verbündeten umgeht, weiß man aus der ersten Amtszeit: Er erklärte die Nato für obsolet, verhängte Strafzölle auf Aluminium und Stahl aus Europa, drohte Deutschland mit Sanktionen wegen der Gasgeschäfte mit Russland und flirtete selbst mit Diktator Wladimir Putin. Im Handelskonflikt mit China verlangte er den Schulterschluss.

Mit Trump würden die alten Konflikte zurückkehren - und zwar verschärft

Gewinnt Trump, kehren alle transatlantischen Konflikte verschärft zurück. Diesmal käme er nicht unvorbereitet ins Amt. Konservative Thinktanks planen seit Monaten, wer zügig welche Schlüsselpositionen besetzen soll, damit die zweite Amtszeit effizienter verläuft als die erste. Damals klagte er über den Widerstand aus dem "tiefen Staat". Den will er nun zügig brechen. Zudem will er die Unterstützung der Ukraine reduzieren.

Kamala Harris würde im Großen und Ganzen Joe Bidens Kurs fortsetzen, aber mehr Druck ausüben, damit die Europäer tun, was sie schon seit Jahren versprechen: sicherheitspolitische Selbstverantwortung statt Trittbrettfahrerei.

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In der ökonomischen Rivalität mit China wären ihre Rhetorik und ihr Handeln nicht so hart wie Trumps. Mit Blick auf die militärische Unterstützung Taiwans im Fall eines chinesischen Angriffs gilt umgekehrt: Die Bürger Taiwans - wie auch der Ukraine - können sich eher auf Harris als auf "Dealmaker" Trump verlassen.

Was ein Sieg Trumps für Deutschland bedeuten würde

Je nach Wahlausgang könnten Teile der deutschen Politik und Gesellschaft sich falsche Vorstellungen machen. Nach Trumps unerwartetem Sieg 2016 meinten einige, Deutschland könne sich moralisch über den US-Präsidenten erheben und Kooperation verweigern. Das war schon damals unrealistisch. Angesichts der heutigen Weltlage wäre es selbstmörderisch. Bei einem Sieg Trumps müsste Deutschland vieles beschleunigt nachholen, was es seit Jahren vor sich hergeschoben hat.

Gewinnt Kamala Harris, würde die Versuchung wachsen, sich erleichtert zurückzulehnen - nach der Devise "Ist ja nochmal gut gegangen". Auch das wäre eine Fehleinschätzung. Ihr Sieg würde Deutschland bestenfalls eine Gnadenfrist schenken, die überfälligen Reformen anzupacken.

Die Konflikte in der Welt nehmen zu, ebenso die Bereitschaft, sie mit ökonomischem und militärischem Druck auszutragen, statt auf Diplomatie und Kompromisse zu setzen. Die Prioritäten haben sich von mehr Klimapolitik zu mehr Sicherheit verschoben und von mehr Sozialpolitik zu mehr internationaler Wettbewerbsfähigkeit und Begrenzung der unkontrollierten Migration. 

Der Autor ist Diplomatischer Korrespondent der "Tagesspiegel"-Chefredaktion und lebt derzeit in Washington.