Die USA vor den Wahlen : "Das ist schon beängstigend"
Politikwissenschaftler Christian Lammert über Donald Trumps Übernahme der Republikaner, die Probleme der Demokraten – und Lektionen für Deutschland.
Treue Anhänger: Ex-Präsident Donald Trump hat die Republikaner fest im Griff. Gemäßigtere Kräfte kehren der Partei darum den Rücken.
Herr Lammert, Donald Trump hat in diesem Wahlkampf unter anderem vorgeschlagen, die Armee gegen den "inneren Feind" einzusetzen. Wie steht es um die politische Verfasstheit der USA, wenn das Wahlkampf ist?
Christian Lammert: Seit Trump 2020 die Wahl verloren hat, sehen wir eine immer weitere Radikalisierung in der Rhetorik. Er hat in diesem Wahlkampf schon Migranten als "Ungeziefer" bezeichnet. Er kündigt jetzt an, Militär gegen innere politische Feinde einzusetzen. Da fragt man sich, ob es nur noch um die Mobilisierung der eigenen Anhänger geht oder ob der Druck aus seinem Umfeld wirklich schon so groß ist, dass das ernst gemeinte Vorschläge sind. Das ist schon beängstigend.
Die konservative Bewegung, die die Republikaner seit Jahrzehnten prägt, hat sich früher immer damit gebrüstet, Extremisten am rechten Rand liegen zu lassen. Das scheint nicht mehr der Fall zu sein, oder?
Christian Lammert: Genau, der rechte Rand hat mit Donald Trump die Partei übernommen. Das hat auch mit der Demokratisierung des Kandidaten-Auswahlprozesses zu tun, der in den USA sehr demokratisch ist. Die Parteieliten und die Parteiorganisation haben aber immer weniger Einflussmöglichkeiten. So können Kandidaten, die das Parteiestablishment eigentlich gar nicht will, sich im Vorwahlkampf durchsetzen, weil sie eben eine radikalisierte und politisierte Anhängerschaft mobilisieren können, die mit den Interessen der Parteieliten keine großen Schnittmengen mehr hat.
Darum konnte Trump auch trotz seiner Wahlniederlage wieder antreten?
Christian Lammert: Ja, Trump ist ja nicht einmal im Vorwahlkampf richtig angetreten, hat sich keiner Debatte innerhalb der Partei gestellt. Die Basis war auf seiner Seite, er wusste, er kriegt die Nominierung. Fast 80 Prozent seiner Anhänger glauben, dass Biden ein illegitimer Präsident sei und eigentlich Trump 2020 die Wahl gewonnen habe. Deswegen stehen sie weiterhin zu ihrem Kandidaten, der sich weiterhin als politischer Außenseiter beschreiben kann, der vom Establishment, vom Deep State, verfolgt wird.
Welche Folgen hat das für die Partei?
Christian Lammert: Die gemäßigten Kräfte haben sich zurückgezogen. Wir sehen auch in diesem Wahlkampf viele Republikaner, die sich offen für Kamala Harris aussprechen. Da sind auch einige sehr konservative darunter. Es geht hier nicht um das altbekannte ideologische Links-Rechts-Schema, sondern es sind Leute, die sich Sorgen um die Demokratie machen. Fast alle, die in Trumps Administration eng mit ihm zusammengearbeitet haben, sprechen sich deutlich gegen ihn aus und warnen vor ihm. Manche seiner Generäle und sein ehemaliger Stabschef, John Kelly, beschreiben ihn als einen Faschisten.
Trotzdem steht Trump in Umfragen gut da. Warum verfängt er in der Wählerschaft?
Christian Lammert: Auf der einen Seite verfängt es, weil es Trump auch gelungen ist, wahnsinnig viele Leute zu aktivieren, die bei Wahlen eigentlich gar nicht beachtet wurden und die seit 2016 zum ersten Mal überhaupt wählen gehen. Da geht es auch um die White-Supremacist-Bewegungen, also sehr radikale und rassistische Wähler, die jetzt in Trump einen Kandidaten sehen, der ihre Positionen vertritt. Darüber hinaus gibt es natürlich viele Wähler, die Trump nicht wählen, weil er Trump ist, sondern weil er Republikaner ist. Das hat mit der Polarisierung zu tun, die in einigen politikwissenschaftlichen Ansätzen schon als affektiv bezeichnet wird.
Was heißt das?
Christian Lammert: Das heißt, es geht gar nicht mehr darum, was der eigene Kandidat macht, sondern man ist schon so fest Republikaner, man würde nie einen Demokraten wählen. Der dritte Faktor ist, dass in Umfragen viele sagen, sie wissen noch nicht genau, wofür die Kandidatin der Demokraten, Kamala Harris, steht. Der Wechsel der Kandidaten hat zwar zwischenzeitlich ein bisschen Euphorie in die demokratische Wählerbasis gebracht, aber insgesamt kann man mit dieser Kandidatin im rechten Spektrum nicht gut mobilisieren.
Warum ist es den Demokraten unter Präsident Joe Biden nicht gelungen, klarzumachen, dass es eine moderate Alternative zu Trump gibt?
Christian Lammert: Das Problem mit Biden ist weniger inhaltlich begründet, sondern da hat die mediale Debatte so einen Spin gekriegt, zum Teil natürlich auch gerechtfertigt, ob er aufgrund seines Alters und seines mentalen Zustandes noch in der Lage sein sollte oder ist, nochmal für vier Jahre im Weißen Haus zu sitzen. Das, wofür Biden programmatisch stand, seine Verankerung in der Arbeiterbewegung, die Unterstützung von Streiks der Gewerkschaften, hatte schon große Unterstützung. Dieser Wählergruppe hat der Wechsel der Kandidaten nicht gut gefallen.
Wieso?
Christian Lammert: Sie wissen nicht, wofür Harris eigentlich steht - und sind jetzt wieder stärker bei Trump. Es macht den Demokraten zu schaffen, die neue Kandidatin als wirklich linke, progressive Kandidatin, die sich auch für die Interessen der Arbeiterklasse einsetzt, zu präsentieren.
Schafft es Harris denn, andere, neue Wählerschichten anzusprechen?
Christian Lammert: In Umfragen sehen wir einige interessante Trends, die ein bisschen erklären können, warum das Rennen wieder so offen ist. Es gibt einen riesigen Gender Gap in den Umfragen. Frauen sprechen sich in großen Mehrheiten für Kamala Harris aus, vor allem bei Jungwählern, während Männer, insbesondere Jungwähler, sehr stark nach rechts rücken. Da weiß man noch nicht genau, woran das liegt. Frauenfeindlichkeit mag ein Teil der Erklärung sein. Ein anderer Teil ist aber, und das ist der zweite Trend, dass Leute mit niedrigem Bildungsabschluss überproportional, jetzt noch viel stärker als bei den letzten beiden Wahlen, Trump unterstützen. Hier verlieren die Demokraten extrem.
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Woran liegt das?
Christian Lammert: Das hat mit dem Bild des Elitären bei den Demokraten zu tun, für die Harris auch steht. Sie kommt aus Kalifornien, war an guten Universitäten und Anwältin. Ein dritter Trend ist das Wahlverhalten der Hispanics. Sie stimmen zwar noch mehrheitlich für die Demokraten, aber der Vorsprung schmilzt im Vergleich zu den letzten Wahlen deutlich.
Dazu müssen unterschiedliche Erklärungen herangezogen werden, darunter Gender Gap und Bildungsstand. Es gibt aber auch einige Umfragen, die deutlich zeigen, dass Hispanics der zweiten und dritten Generation sich auch sehr skeptisch gegenüber Immigranten zeigen, weil diese als ökonomische Bedrohung wahrgenommen werden und sie deshalb Republikaner unterstützen. Das Thema ist also nicht mehr so abschreckend bei bestimmten Gruppen der Hispanics. Außerdem sehen wir, dass die eigentlich sehr heterogene Wählergruppe der Hispanics in der Gesamtheit sehr konservativ in ihren Glaubensvorstellungen ist, etwa bei den Themen Ehe für alle oder Abtreibungsrecht. Da können die Republikaner mit Trump momentan erfolgreich mobilisieren.
Welche Rolle spielen die teils sehr polarisierten Medien im US-Wahlkampf?
Christian Lammert: Es gibt eine polarisierte Medienwelt: Wenn man sich die rechten Sender Fox News oder Newsmax anschaut, bekommt man schon eine andere Wirklichkeit präsentiert als bei etwas linkeren Medien wie MSNBC. Bedeutend ist aber auch die Ökonomisierung der Medien. Die Newsbranche lebt davon, diesen Wahlkampf als offen zu präsentieren. Mit Trumps radikaler Rhetorik kann man Einschaltquoten generieren und deswegen ist er wahnsinnig präsent. Wenn man sich Daten zur Wahlkampffinanzierung anschaut, sieht man, dass Trump immer mit viel weniger Geld auskommt als die demokratischen Gegenkandidaten. Das liegt daran, dass er sehr viel freie Sendezeit bekommt, für die die Demokraten bezahlen müssen.
Wie blickt die Politikwissenschaft auf die politische Polarisierung in den Vereinigten Staaten? Wie lässt sich diese erklären?
Christian Lammert: Wir sprechen von einer asymmetrischen Polarisierung der – das ist wichtig in diesem Fall – politischen Eliten. Republikanische Abgeordnete im Kongress haben sich in Abstimmungen in den letzten 20 Jahren deutlich nach rechts bewegt, während die Demokraten sich eigentlich kaum bewegt haben in ihren ideologischen Einstellungen. Es gibt inzwischen einige Politikwissenschaftler, die das auf eine bewusste parteitaktische Wahlstrategie zurückführen, die die Republikaner seit Ende von Reagans Präsidentschaft durchgesetzt haben. Durch diese Radikalisierung und Polarisierung der Debatte soll die Partei wieder kompetitiv sein
Radikalisierung, Polarisierung und Infragestellung demokratischer Grundwerte - wie würden Sie diese Situation historisch mit Blick auf die letzten Jahrzehnte einordnen?
Christian Lammert: In den letzten 40, 50 Jahren hatten wir so etwas noch nicht. Auch während der Bürgerrechtsbewegung waren die Zeiten sehr bewegt, nach dem Zweiten Weltkrieg gab es die McCarthy-Ära, die natürlich auch sehr stark polarisiert und von Verschwörungstheorien dominiert war. Es ist kein gänzlich neues Phänomen. Aber wir sehen jetzt als Folge der asymmetrischen Polarisierung, der Radikalisierung der Republikaner und verstärkt durch Trump eine Dynamik, die an den Fundamenten des demokratischen Systems, der Idee der Gewaltenteilung, sägt. Das ist eine sehr problematische Entwicklung. Hier müssen die USA gegensteuern, um nicht Gefahr zu laufen, in Richtung eines autoritären Regimes umzukippen.
Mit Blick auf diese Entwicklungen: Was kann die bundesdeutsche Demokratie daraus lernen?
Christian Lammert: Das ist die große Frage. Wenn man sich momentan die Debatte in Deutschland anguckt, hat man das Gefühl, dass genau dieselben Fehler wie in den USA auch hier gemacht werden. Wir haben hier auch eine politische Rechte, die sehr radikalisiert auftritt, die radikale Forderungen stellt. Wir haben natürlich ein anderes Wahl- und ein Mehrparteiensystem. Das sind andere Dynamiken, die das ein bisschen abschwächen. Aber die Parteien hier in Deutschland müssten eigentlich aus solchen Entwicklungen lernen, dass es keine gute Idee ist, den rechten Parteien hinterherzurennen, um deren Programmpunkte zu übernehmen. Man muss Probleme angehen, aber man muss auch Gegenentwürfe entwickeln und präsentieren. Da sind die Demokraten in den USA jetzt auf einem Weg. Aber ich würde sagen, sie sind in vielen Bereichen noch zu defensiv, zu ängstlich vor dem Erstarken der rechten Parteien.
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