Vereinigte Staaten von Amerika : Die kontaminierte Demokratie
Stephan Bierling analysiert, wie und warum aus den USA die "Unvereinigten Staaten" wurden und welche Korrekturen an ihrer Verfassung nötig wären.
Warum ist die Demokratie in den USA gefährdet und warum könnte Donald Trump erneut zum Präsidenten gewählt werden? Diesen Fragen geht der Politikwissenschaftler Stephan Bierling auf den Grund. Eine Antwort lautet: Trump traf auf eine Wählerschaft, die seit Jahrzehnten "zu einem erstaunlich hohen Anteil" eine politische Kultur der Konfrontation, der Diffamierung und der Skandalisierung "attraktiv fand". Die Frage sei nun, ob das politische System der Vereinigten Staaten fähig zur Korrektur sei.
Bierling, Professor für Internationale Politik und transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg, veröffentlichte bereits eine Reihe von Büchern zur Außenpolitik und zum politischen System der USA. Seine aktuelle Publikation gehört zu den besten und informativsten politischen Büchern dieses Jahres. Es ist allen empfohlen, die verstehen wollen, wie die USA regiert werden.
Vorstellung von der Sonderrolle ist bis heute Teil der amerikanischen Identität
Bierling legt die Entstehungsgeschichte der US-Demokratie dar, außerdem die Verfassungsprinzipien, den Staatsaufbau, das Wahlsystem sowie die Kompetenzen des Präsidenten und des Kongresses. In jedem dieser Kapitel erklärt er die Entwicklungsgeschichte der jeweiligen Institution und warum sich die Mechanik des Regierens in den letzten 250 Jahren verändert hat.
Während sich die Institutionen veränderten, blieb der amerikanische Exzeptionalismus jedoch erhalten. Die Vorstellung, die USA würden eine Sonderstellung gegenüber allen anderen Nationen der Welt einnehmen, ist bis heute Teil der amerikanischen Identität. Sowohl die Clintons und Barack Obama, als auch Henry Kissinger und Trump stehen nach wie vor für diese Idee.
Stephan Bierling:
Die Unvereinigten Staaten.
Das politische System der USA und die Zukunft der Demokratie.
C.H. Beck,
München 2024;
336 S., 28,00 €
Die amerikanische Verfassung ist die älteste und eine der kürzesten der Welt, trotz ihrer 27 Ergänzungen. Um einen Zusatz aufzunehmen, wird eine Zweidrittelmehrheit in beiden Parlamentskammern benötigt; danach muss das Amendment in drei Vierteln der Einzelstaaten ratifiziert werden. Heute sei das unvorstellbar, schreibt Bierling. "Damit verliert die Verfassung ihren Charakter als lebendes Dokument"; stattdessen wachse dem Supreme Court eine entscheidende Bedeutung zu, die so nicht intendiert gewesen sei. Dringend reformbedürftig sei die Berufung der Obersten Richter auf Lebenszeit.
Bis ins 20. Jahrhundert setzte der Kongress entscheidende politische Impulse
Die Verfassungsväter stellten den Kongress in das Zentrum des Regierungssystems. Sie fürchteten eine Machtkonzentration in den Händen eines übermächtigen Präsidenten. Heute habe sich der Kongress von seinem ursprünglichen Zweck eines parteiübergreifenden Gegengewichts zum Staatsoberhaupt weit entfernt, argumentiert Bierling. Noch bis weit ins 20. Jahrhundert habe der Kongress entscheidende politische Impulse gesetzt. Inzwischen behindere die Fraktionsdisziplin, charakteristisch für parlamentarische Systeme, die Kompromissfindung zwischen dem Präsidenten und dem Kongress.
Parteien hatten die Gründerväter ursprünglich gar nicht vorgesehen. Umso bitterer sei es, dass heute parteipolitische Konflikte die Beziehungen der Mandatsträger, die Verfahren und die Institutionen der amerikanischen Demokratie "kontaminieren", bemerkt Bierling. Die Spitzenpolitiker der Parteien seien die "Haupttreiber" der Radikalisierung: Republikaner und Demokraten stünden sich "wie verfeindete Stämme" gegenüber, "unwillig zum Kompromiss, dem Herzstück des politischen Systems". Diese parteipolitische Spaltung, betrieben von Interessengruppen, Verbänden, Fernsehsendern und den Sozialen Medien, hätte seit den 1960er Jahren zur Polarisierung der Gesellschaft insgesamt entscheidend beigetragen.
Bierling hält Föderalismus in den USA für reformbedürftig
Auch den Föderalismus in den USA hält Bierling für reformbedürftig, denn im Unterschied zu Deutschland sei er "selten kooperativ". Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Einzelstaaten "bleibt rechtlich die Ausnahme", beschränkt auf Notfälle. Jeder Staat entsendet zwei Senatoren nach Washington. Daher hat das kleine Wyoming genauso viele Stimmen im Senat wie das siebzigmal größere Kalifornien.
"Die Reparatur des deformierten politischen Systems" werde Generationen beanspruchen, prophezeit Bierling und macht einige Reformvorschläge. Die größte Bedrohung für die amerikanische Demokratie bestehe in der parteipolitischen Polarisierung. Hinzu komme der kompromisslose Kampf in einer Präsidialdemokratie zwischen Exekutive und Legislative, wodurch "gefährliche Außenseiter ins höchste Staatsamt gelangen können". Als Folge des undemokratischen Wahlgesetzes kamen mit George W. Bush jr. und Trump gleich zweimal Politiker ins Weiße Haus, obwohl ihre Gegenkandidaten landesweit mehr Stimmen erhalten hatten.
Als weiteres Menetekel nennt Bierling die "unrettbar gespaltene" Gesellschaft: Die Mehrheit der Weißen vertrete radikale Weltbilder, entweder sehr rechte oder sehr linke. Demgegenüber verortete sich die überwiegende Mehrheit der Schwarzen, Hispanics und Asien-Amerikaner in der politischen Mitte. Optimistisch verkündet er, künftig könnte sich der "ethnische Wandel" als Gegengift zur parteipolitischen Polarisierung erweisen.
Weitere Buchrezensionen
Der frühere BND-Vizepräsident Arndt Freytag von Loringhoven warnt in seinem Werk eindringlich vor russischer Propaganda und Desinformation.
Annika Brockschmidt beschreibt die Radikalisierung der Republikanischen Partei in den USA. Die rund 250 Jahre alte Demokratie hält sie für gefährdet.
Die Verfassungsrechtlerin Angelika Nußberger erklärt, was Menschenrechte bedeuten - und warum es oft schwierig ist, ihnen gerecht zu werden.