Menschenrechte : Ein Kompass mit einer schwankenden Nadel
Die Verfassungsrechtlerin Angelika Nußberger erklärt, was Menschenrechte bedeuten - und warum es oft schwierig ist, ihnen gerecht zu werden.
Blick in das Buch "Frei und gleich".
Die Hilferufe werden schriller, die Appelle dringlicher: So versuchen Menschenrechtsorganisationen auf die weltweit zunehmenden Verstöße gegen die Menschenrechte aufmerksam zu machen. Im April sprach Amnesty International von der größten Bedrohung "seit Jahrzehnten". Immer mehr Kriege, immer mehr Kriegsverbrechen. Die Zahl der Menschen, die in Demokratien lebten, die rechtsstaatliche Prinzipien achteten, sei auf den Stand von 1985 gefallen.
Und selbst in diesen Ländern, in den USA etwa, in Europa, in Deutschland, geraten Menschenrechte in Bedrängnis - durch Hassrede, Rassismus und Antisemitismus. Sind die Menschenrechte noch von Bedeutung?
Völkerrechtlerin Nußberger: Menschenrechte sind der Kitt moderner Gesellschaften
Ja, meint die Kölner Verfassungs- und Völkerrechtlerin Angelika Nußberger, die acht Jahre Richterin und Vizepräsidentin des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg war. Die Menschenrechte seien der "Kitt der modernen Gesellschaften". Sie hielten zusammen, was leicht auseinanderfallen könne. Trotz Rückschlägen: Die Menschenrechte seien eine der größten Errungenschaften der Menschheit, so Nußberger. Für alle, die nicht akzeptieren wollen, dass sie beschnitten oder geleugnet werden, hat sie ein kleines, feines Buch geschrieben.
Angelika Nußberger, Rotraut Susanne Berner:
Frei und gleich.
Die Menschenrechte.
C.H. Beck,
München 2024;
141 S., 24,00 €
Darin erzählt die Rechtsprofessorin nicht nur die Geschichte der Menschenrechte, sondern erläutert auch anhand von wahren Gerichtsfällen, was Menschenwürde, Meinungsfreiheit, das Recht auf Leben und Gleichbehandlung oder der Schutz des Privatlebens und der Umwelt bedeuten - und warum immer wieder neu über die Menschenrechte verhandelt werden muss. Darunter finden sich auch Fälle, in denen Gerichte unterschiedlicher Meinung waren: Ist der Ausschluss einer intergeschlechtlichen Läuferin von Sportwettbewerben Diskriminierung, Zwergenweitwurf ein Verstoß gegen die Menschenwürde? Und hat nicht auch ein Kind aus einer verbotenen Leihmutterschaft Rechte - und wir alle Anspruch auf Klimaschutz?
Neujustierung ist nötig
Die Menschenrechte seien ein Kompass, schreibt Nußberger. Doch der Kompass habe eine "schwankende Nadel", die immer wieder neu justiert werden müsse. Das heißt: Über große Fragen wie Gleichberechtigung, Krieg und Frieden, Toleranz und Solidarität gilt es weiter nachzudenken - und zu streiten.
Das Buch, zu dem die Illustratorin und Kinderbuchautorin Rotraut Susanne Berner wunderbar pointierte Bilder beigesteuert hat, ist dazu eine Einladung, auch gerade an ein jüngeres Publikum.
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