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Amerikanischer Mythos: Noch schätzungsweise 600.000 bis eine Million Männer und Frauen verdienen sich in den USA ihren Lebensunterhalt als Cowboys.

Vereinigte Staaten von Amerika : Von Cowboys, Sheriffs und Indianern

Der Journalist Hubert Wetzel hat ein sehr persönliches und liebevoll-kritisches Porträt der USA, ihrer Menschen und Probleme geschrieben.

01.11.2024
True 2024-11-01T16:10:07.3600Z
3 Min

Ja, man darf "Indianer" sagen. Hubert Wetzel, langjähriger USA-Korrespondent der "Financial Times Deutschland" und der "Süddeutschen Zeitung" hat sich die Erlaubnis bei einer maßgeblichen Instanz vor Ort eingeholt. Auf der Internetseite des National Museums of the American Indian, das auf der National Mall im Herzen Washingtons in Zusammenarbeit mit den indigenen Völkern der USA errichtet wurde, steht es zu lesen: Indianer, Amerikanischer Indianer, indigener Amerikaner, Indigener oder Ureinwohner - all diese Begriffe sind zulässig. Auch wenn es den betroffenen Menschen in der Regel am liebsten sei, als Angehörige ihres jeweiligen Volkes oder Stammes bezeichnet zu werden.

Bei einem Besuch in der Cheyenne-River-Reservation im Bundesstaat South Dakota musste Wetzel im Gespräch mit Remi Bald Eagle vom Volk der Lakota-Sioux jedoch auch erkennen, dass sich die gelebten Realitäten mitunter erheblich komplizierter darstellen. Remi Bald Eagle, Sohn eines hochdekorierten Veteranen des Zweiten Weltkriegs und selbst ehemaliger Feldwebel der US-Armee mit Einsätzen in Afghanistan und im Irak hat zwar weder ein Problem mit Bezeichnungen wie Indianer oder Indigener, aber sehr wohl mit Bezeichnungen wie "American Native" oder "American Indian". Denn Amerikaner sind für Remi Bald Eagle jene Weißen, die sein Volk einst physisch und kulturell fast völlig ausgelöscht und in Reservationen eingesperrt hatten.

Washington und New York sind nicht die Vereinigten Staaten

Dies ist nur eine von vielen spannenden Begegnungen mit Menschen in den Vereinigten Staaten, von denen Hubert Wetzel in seinem lesenswerten und persönlichen Buch über Amerika, das "Land der unbegrenzten Widersprüche" erzählt. Und über die Widersprüche und die Brüche, von denen die amerikanische Gesellschaft aktuell geprägt und belastet ist, kann er viele Geschichten erzählen.

Als Korrespondent hat Wetzel das Land in zwei sehr unterschiedlichen und entscheidenden Phasen seiner jüngeren Geschichte erlebt: Zwischen 2003 und 2005 - die USA waren unter Präsident George W. Bush gerade in den Irak einmarschiert und die deutsch-amerikanischen Beziehungen auf einem Tiefpunkt angelangt - und zwischen 2016 und 2022. Vier dieser sechs Jahre unter Präsident Donald Trump seien "dunkel und unerbittlich wie eine alttestamentarische Plage" über das Land gekommen. 

Den Journalisten interessieren aber weniger die politischen Kämpfe in Washington und Trumps Treiben im Weißen Haus, sondern das Leben und die Einstellungen der Durchschnittsamerikaner - vor allem abseits der großen Metropolen. Überhaupt, Washington sei nicht die USA, schon gar nicht jener linksliberal geprägte Vorort, in dem er mit seiner Familie lebte, und auch nicht New York. Er berichtet lieber von Kohlekumpeln in Kentucky, die über Wochen auf einem Bahngleis campieren und dieses blockieren, um die Auszahlung ihrer ausstehenden Löhne von einer pleitegegangenen Bergbaufirma zu erzwingen, oder von hartgesottenen und hart arbeitenden Cowboys in Nevada, die Ärger mit der Staatsmacht wegen nicht bezahlter Weidegebühren haben und nicht davor zurückschrecken, gemeinsam mit rechtsgerichteten Milizionären eine kleine Rebellion anzustiften.


Hubert Wetzel:
Amerika.
Land der unbegrenzten Widersprüche.
Goldmann,
München 2024;
256 S., 22,00 €


Wetzel schreibt über Country-Sänger, Überlebende von Amokläufen und jenen Ärzten, die die Opfer von Schießereien oder Drogenkonsum behandeln, Prediger und zutiefst gläubige Menschen, über Grenzpolizisten und illegale Einwanderer oder Veteranen des Zweiten Weltkriegs und all der anderen Kriege, die die USA seitdem geführt haben.

Themen wie Waffen, Drogen und Zuwanderung spalten die Nation

Wetzel gelingt es immer dann, ein besonders prägnantes Bild von den amerikanischen Realitäten zu vermitteln, wenn er Themen wie Drogen, Waffen oder Migration aus den unterschiedlichen Perspektiven seiner Gesprächspartner darstellt und dies mit seinen eigenen Beobachtungen und Überzeugungen abgleicht. Plumpes Amerika-Bashing ist nicht seine Sache. Im Gegenteil: Er verhehlt erst gar nicht, dass er sich Land und Leuten verbunden fühlt. Seine journalistische Distanz verliert er aber nicht. Sein Buch ist besten Sinne lehrreich und hinterfragt so manch gängiges deutsche Klischee über die "Amis".

Und Wetzel zeigt, dass noch lange nicht alle Amerikaner die Fähigkeit verloren haben, sich über all den Gräben die Hand zu reichen. Wie etwa im Fall zweier Sheriffs in zwei benachbarten Countys in Colorado. Der eine ein Republikaner und Trump-Anhänger, der andere ein Demokrat. Der eine lehnt jegliche Einschränkungen des in der Verfassung gewährten Rechts, Waffen zu besitzen und zu tragen, rigoros ab und würde "lieber in sein eigenes Gefängnis" gehen als solche Gesetze anzuwenden. Der andere ist ein vehementer Befürworter dieser sogenannten Red-Flag-Gesetze. Befreundet sind sie trotzdem.

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