Letzter EU-Gipfel des Jahres : Brüsseler Angstszenario
Sorgen um die Ukraine dominieren das Treffen der EU-Regierungschefs in Brüssel. Wie reagieren, wenn der künftige US-Präsident Trump dem Land die Waffenhilfe kürzt?
Es klang ein wenig nach Pfeifen im Walde: Die EU sei bereit, "was auch immer nötig ist", zu tun, um die Ukraine in eine Position der Stärke zu versetzen. Man stehe vereint hinter dem von Russland angegriffenen Land, hatte der neue portugiesische EU-Ratspräsident António Costa vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel am Donnerstag verlauten lassen. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der sich, anders als sonst üblich, nach seiner verlorenen Vertrauensfrage am Montag nicht im Bundestag mit einer Erklärung zum EU-Rat äußerste, rief in einem Statement zu Einigkeit auf. Es müsse klar sein, die Unterstützung für die Ukraine beizubehalten "so lange, wie sie gebraucht wird".
Keine einheitliche Linie der EU sichtbar
Doch beim Treffen der 27 Regierungs- und Länderchefs, dem letzten in diesem Jahr und dem letzten, bevor Donald Trump am 20. Januar in Washington erneut das Präsidentenamt übernimmt, war von Geschlossenheit und Stärke eher wenig zu spüren, auch wenn sich einige der Beteiligten noch so sehr darum bemühten: Zu sehr dominierten Unsicherheit und Sorge um die Zukunft der Ukraine. Wie reagieren, wenn der neue Präsident dem Land die bisherige US-amerikanische Waffenhilfe, wie bereits angekündigt, kürzt oder und sie so zu seinem Waffenstillstand und Friedensgesprächen mit Russland zwingt? Erst vor wenigen Tagen hatte Trump in Richtung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gesagt: "Er sollte bereit sein, einen Deal einzugehen." Was das genau heißen soll, blieb unklar. Doch die Frage steht im Raum: Wie kann die Ukraine in die Lage versetzt werden, mögliche Friedensverhandlungen aus einer Position der Stärke zu führen?
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, hier zusammen mit EU-Ratspräsident António Costa, drängte beim Gipfel die EU zur Zusammenarbeit mit den USA.
Um das zu beraten, war auch Selenskyj nach Brüssel gekommen. Gleich zum Auftakt macht er klar: Falls die USA ihre Unterstützung für die Ukraine einstellen sollten, werde es "sehr schwierig". Unmissverständlich drängte der Gipfel-Gast die Europäer deshalb zur Zusammenarbeit mit den USA. "Nur gemeinsam können USA und Europa Putin tatsächlich stoppen und die Ukraine retten", sagte Selenskyj.
Doch wie den US-amerikanischen Präsidenten überzeugen, dass die weitere Unterstützung auch im Interesse der USA ist? Seit Wochen wird deswegen auch immer wieder darauf verwiesen, dass ein Sieg Russlands auch dessen Verbündeten China stärken würde. Trump sieht China als Hauptkonkurrenten.
Scholz telefoniert mit Trump
Ob das Argument überzeugt, ist fraglich. Bundeskanzler Scholz zeigte sich nach Telefonaten mit dem US-Präsidenten aber zumindest zuversichtlich, dass EU und USA in ihrer Unterstützung der Ukraine weiter gut kooperieren würden.
Nicht nur für die Ukraine, sondern auch für die EU ist der Rückzug der USA ein Angstszenario. Für die Absicherung einer erzwungenen Waffenruhe und die zukünftige Sicherheit der Ukraine wäre dann womöglich allein Europa zuständig. Einer Beteiligung der USA an europäischen Friedenstruppen, wie sie der französischen Präsident Emmanuel Macron bereits vor dem EU-Gipfel ins Spiel gebracht hatte, erteilte der künftige US-Präsident jedenfalls eine Absage.
EU uneins über europäische Friedenstruppe
Aber auch Scholz zeigte sich zum Vorschlag einer Ukraine-Friedenstruppe zurückhaltend. Die Debatte um eine Ukraine-Truppe, die vor allem von den großen europäischen Nationen Frankreich, Deutschland, Italien, Polen und Großbritannien gestellt werden müsste, halte er für verfrüht, machte der Kanzler deutlich. Auch andere europäische Regierungschefs wie etwa der polnische Ministerpräsident Donald Tusk äußerten sich ablehnend. Zunächst gehe es um Unterstützung der Ukraine, um diese in einen möglichst gute Ausgangslage für Verhandlungen zu bringen, bekräftigten sie. Falls es ihr gelinge, die Russen zurückzudrängen, werde "jeder seine Rolle zur Friedenserhaltung spielen müssen", räumte der belgische Premier Alexander De Croos in Brüssel ein.
Doch wie wäre die Ukraine eine Position der Stärke bringen? Hier sind die Europäer weiter uneins: Ungarn blockiert EU-Hilfen, Scholz weigert sich, weitreichende Marschflugkörper vom Typ Taurus zu liefern und auch eine Nato-Mitgliedschaft wie sie die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas vorschlägt, findet kaum Unterstützung. Er werbe für weitere Waffenhilfe, versprach Kanzler Scholz immerhin, für mehr Luftverteidigung, Artillerie und Munition.
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