Ampel-Aus und die Folgen : Warum der Bundestag nicht zur Tagesordnung übergehen kann
Das Ampel-Aus hat Auswirkungen auf viele parlamentarische Abläufe – auch auf die parlamentarischen Verfahren für die Tagesordnung im Bundestag.
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Seit der Entscheidung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner als Bundesfinanzminister zu entlassen, gibt es durch das Scheitern der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP im Bundestag keine organisierte Mehrheit mehr. Die Folgen lassen sich bereits an der Tagesordnung ablesen: Nur sehr vereinzelt hat es seitdem noch Tagesordnungspunkte im Plenum des Bundestages gegeben. Neben unklaren Mehrheitsverhältnissen, die ein Grund sein können, dass Fraktionen ohnehin keine Beratungsgegenstände aufsetzen möchten, ist auch das reguläre Verfahren zur Bestimmung einer Tagesordnung im Bundestag gestört.
Wie kommt es zu einer Tagesordnung im Bundestag?
Eine Tagesordnung wird im Regelfall im Ältestenrat und dort nicht durch Mehrheitsbeschluss, sondern im Wege der Vereinbarung getroffen. Zu Beginn einer Wahlperiode gibt es hierfür eine Verständigung zwischen den Koalitionsfraktionen und der Opposition. Konkret wird ein abstrakt festgelegtes und ausdifferenziertes Schema vereinbart, dass entsprechend der jeweiligen Größe der Fraktionen für jede Sitzungswoche festgelegt, wer wann welche Tagesordnungspunkte bestimmen darf. Im parlamentarischen Sprachgebrauch wird dies als „Klipp-Klapp-Schema“ bezeichnet. Im Plenum des Bundestages stellt sich einer durch dieses Verfahren gefundenen Tagesordnung regelmäßig niemand entgegen.
Durch das Scheitern der Ampel-Koalition klappt dieses Schema nicht mehr. Es gibt nun mit der FDP eine Oppositionsfraktion mehr, die aber im Schema bislang nicht abgebildet war. Zudem ist die übrig gebliebene rot-grüne Koalition gegenüber der Ampel nun deutlich kleiner, auch das dürfte Anpassungen nötig machen, bevor das Schema wieder funktionieren kann.
Dass dieses geordnete Verfahren in der Übergangszeit bis zu Neuwahlen nochmal überarbeitet wird und zur Anwendung kommt, erscheint eher unwahrscheinlich. Zudem können mangels Mehrheit selbst die Regierungsparteien SPD und Grüne aus eigener Kraft keine Tagesordnung mit einem Mehrheitsbeschluss durchsetzen. Sie müssten hierfür zumindest auf Teile der Opposition zugehen. Möglich wäre für Rot/Grün eine parlamentarische Mehrheit für einen Tagesordnungspunkt entweder mit den zusätzlichen Stimmen des ehemaligen Koalitionspartners FDP, der CDU/CSU-Fraktion oder der AfD-Fraktion.
Warum gibt es noch vereinzelte Tagesordnungspunkte?
Dass dennoch vereinzelt Tagesordnungspunkte im Bundestag aufgerufen werden kann verschiedene Gründe haben. Der Ältestenrat kann sich auch außerhalb des “Klipp-Klapp-Schemas” auf eine Tagesordnung einigen. Zudem werden die Vereinbarungen des Ältestenrates in vielen Sitzungswochen des Bundestages noch durch interfraktionelle Vereinbarungen der Parlamentarischen Geschäftsführer ergänzt. Solche Veränderungen sind nichts Besonderes, sie werden aber im Plenum vor Eintritt in die Tagesordnung durch die Bundestagspräsidentin ausdrücklich kenntlich gemacht und es wird nach möglichem Widerspruch gegen diese interfraktionellen Vereinbarungen gefragt. Daneben gibt es aber vor allem ein parlamentarisches Pflichtprogramm für die Tagesordnung:
Pro Sitzungstag ist eine Aktuelle Stunde möglich
Außerhalb der Notwendigkeit einer Vereinbarung mit anderen Fraktionen steht das Verlangen nach Durchführung einer Aktuellen Stunde als Minderheitenrecht einer Fraktion. Eine Aktuelle Stunde ist eine Aussprache über ein bestimmtes Thema von aktuellem Interesse.
Als Minderheitenrecht schaffen es Aktuelle Stunden auch in diesen Tagen noch auf die Tagesordnung des Bundestages, denn der Bundestag muss sie aufsetzen, wenn eine Fraktion dies verlangt. Pro Sitzungstag darf es allerdings nur eine Aktuelle Stunde geben. Käme es zu mehreren gleichrangigen Anträgen auf eine Aktuelle Stunde und nicht zu einer Verständigung zwischen den Antragstellern, müsste die Bundestagspräsidentin entscheiden.
Das Fragerecht der Abgeordneten gehört zum parlamentarischen Pflichtprogramm
Auf das Grundgesetz zurückzuführen ist die Regierungsbefragung und die Fragestunde, die es auch jetzt noch auf die Tagesordnung des Bundestages schaffen. Beide gehen auf das verfassungsrechtlich gewährleistete parlamentarische Fragerecht zurück.
Der Mittwoch einer Sitzungswoche ist für die Regierungsbefragung und die Fragestunde in der Praxis fest reserviert.
Die Bundesregierung kann Erklärungen zu aktuellen politischen Themen abgeben
In dieser Woche bedeutsam wurde zudem eine weitere verfassungsrechtliche Vorgabe für die Tagesordnung. Der Bundeskanzler hatte von seinem Recht auf Abgabe einer Regierungserklärung Gebrauch gemacht. Dieses Verlangen muss der Bundestag umsetzen und einen entsprechenden Tagesordnungspunkt aufsetzen.
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