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Foto: picture alliance/Geisler-Fotopress/Bernd Elmenthaler
Eiszeit im November: Kanzler Olaf Scholz und Christian Lindner bei dessen Entlassung durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Wann dürfen die Deutschen wählen? : Opposition will rasch Vertrauensfrage - Scholz nun kompromissbereit

Nach dem Platzen der Ampelkoalition regiert eine rot-grüne Minderheitsregierung. Sachdebatten stehen im Bundestag vorerst indes nicht mehr an.

08.11.2024
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4 Min

Streit im Bundestag über die Vertrauensfrage: In einer Aktuellen Stunde am Freitagvormittag forderten die Redner der Oppositionsfraktionen von CDU/CSU, AfD und FDP energisch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), schnell die Vertrauensfrage zu stellen und damit den Weg für zeitnahe Neuwahlen zu ebnen. Scholz und die SPD hatten bis dato darauf bestanden, die Vertrauensfrage erst am 15. Januar 2025 im Bundestag zu stellen. Wahlen hätte es dann wohl erst im März gegeben.

Am Freitagnachmittag berichtete die Nachrichtenagentur dpa dann allerdings, dass Scholz möglicherweise doch gesprächsbereit sei über den Zeitpunkt einer Vertrauensfrage und der folgenden Neuwahl. Am Rande des informellem EU-Gipfels in Budapest mahnte er aber eine Einigung im Bundestag darüber an, welche Gesetze noch beschlossen werden sollen.

Scholz möchte “möglichst unaufgeregt” über den Termin diskutieren

Was das Grundgesetz sagt

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"Ich habe bereits am Mittwochabend angekündigt, dass ich zügig Neuwahlen in Deutschland ermöglichen möchte, damit nach dem Ausscheiden der FDP aus der Koalition bald Klarheit herrscht. Über den Termin sollten wir möglichst unaufgeregt diskutieren", sagte Scholz laut dpa. Gut wäre es nach seinen Worten, wenn nun im Bundestag "unter den demokratischen Fraktionen eine Verständigung darüber erreicht wird, welche Gesetze noch in diesem Jahr beschlossen werden können". 

Am Vormittag hatten die Fraktionen der Minderheitsregierung aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen dem Kanzler noch Rückendeckung dafür gegeben, die Vertrauensfrage erst am 15. Januar zu stellen. "Das Grundgesetz ist in seinem Wortlaut unmissverständlich", stellte Dirk Wiese (SPD) in der Debatte klar, allein der Bundeskanzler habe das Initiativrecht für eine Vertrauensfrage. Scholz habe "einen klaren und geordneten Weg zu Neuwahlen skizziert". Diese müssten "ordentlich vorbereitet werden".

Union mahnt Kanzler zur Eile bei der Neuwahl

Im Gegensatz dazu hatte die Unionsfraktion bereits am Donnerstag einstimmig Neuwahlen gefordert. "Es gibt überhaupt keinen Grund, die Vertrauensfrage erst im Januar nächsten Jahres zu stellen", sagte Fraktionschef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz nach der Fraktionssitzung.

Am Freitag fragte dann Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer von CDU/CSU, in der Debatte den nicht anwesenden und beim EU-Gipfel in Budapest weilenden Kanzler Scholz: "Wie kommen Sie auf die Idee, als jemand, der gerade vom Dreirad gefallen ist, jetzt mit dem Zweirad zu fahren?" Frei weiter: "Wir brauchen schnell eine stabile Mehrheit und einen neuen Bundeskanzler für dieses Land." Auch Bernd Baumann für die AfD-Fraktion verlangte: "Der Wähler muss jetzt ein Machtwort sprechen." Ihm entgegnete Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen): “Ihr permanenter Ruf nach Neuwahlen ist ein permanentes Misstrauensvotum gegen die Demokratie und missachtet die Prinzipien des Parlamentarismus.”


Olaf Scholz im Portrait
Foto: DBT / Tobias Koch
„Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.“
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) über Christian Lindner (FDP)

Obwohl er ursprünglich nicht auf der Rednerliste stand, griff FDP-Fraktionschef Christian Dürr in die Debatte ein. "Ja, wir haben in dieser Koalition vertrauensvoll zusammengearbeitet", sagte er. Aber jetzt sei Mut zu Neuwahlen nötig. "Es braucht jetzt eine Richtungsentscheidung."

Die Ampelkoalition scheitert am Haushalt 2025

Ob Scholz darauf eingeht? Dass sich Sozialdemokraten und Liberale derzeit nicht mehr viel zu sagen haben, zeigte sich bereits, als Bundespräsident Steinmeier Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) am Donnerstagnachmittag seine Entlassungsurkunde übergab. Scholz stand dabei. Aber Blickkontakt untereinander vermieden beide eisern.

Am Abend zuvor hatte der sozialdemokratische Kanzler seinen liberalen Finanzminister entlassen, ihm vorgeworfen, "zu oft Gesetze sachfremd blockiert" oder "kleinkariert parteipolitisch taktiert" zu haben. Scholz weiter: "Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen." Wumms.

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Gescheitert ist die Beziehung Scholz-Lindner-Habeck am Geld. Das machte der Kanzler selbst deutlich. "Ich bin nicht bereit, unsere Unterstützung für die Ukraine und Investitionen in unsere Verteidigung zulasten des sozialen Zusammenhalts zu finanzieren, zulasten von Rente, Gesundheit oder Pflege." Er werde die Bürger nicht vor die Wahl stellen, entweder in die Sicherheit oder die Infrastruktur zu investieren. "Dieses Entweder-oder ist Gift", sagte Scholz. Sein Ausweg: Mehr Schulden.

Derzeit plant die Regierung in ihrem Haushalt für das kommende Jahr eine Neuverschuldung von 51,3 Milliarden Euro, das Maximale, was die Schuldenbremse des Grundgesetzes nach derzeitigem Stand für 2025 zulässt. Aber Scholz will mehr, forderte von Lindner, eine Notlage auszurufen. Mit Zustimmung des Bundestags könnte dann die Schuldenobergrenze gerissen werden. Die Koalition habe das Ende 2023 so vereinbart: "Der russische Angriffskrieg, der nun schon im dritten Jahr tobt, sowie all seine Folgen, sind eine solche Notsituation", argumentierte Scholz.

Lindner argumentiert mit seinem Amtseid

Lindner wollte da nicht mitmachen. Mit einem Aussetzen der Schuldenbremse hätte er seinen "Amtseid verletzt", erklärte er unmittelbar nach seiner Entlassung am Mittwochabend, sichtlich angefasst.

Foto: DBT / Thomas Imo / photothek

Der Nachfolger im Amt von Lindner: Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) vereidigt Jörg Kukies (SPD) am Donnerstag als Bundesminister der Finanzen.

Am Donnerstag erhielten mit ihm auch die nun zurückgetretenen FDP-Bundesminister Marco Buschmann (Justiz) und Bettina Stark-Watzinger (Bildung und Forschung) ihre Entlassungsurkunden vom Bundespräsidenten. Zuvor hatte Verkehrsminister Volker Wissing mitgeteilt, sein Amt als Verkehrsminister zu behalten, allerdings verließ er die FDP.

Dünne Tagesordnung in neuer Sitzungswoche

Dass zwischen Lindner und Wissing während des Termins beim Bundespräsidenten eisige Atmosphäre herrschte, überrascht nicht. Wissing war anwesend, weil er von Buschmann zusätzlich zu seinem Amt als Verkehrsminister das des Justizministers übernahm. Das Bildungsministerium führt nun Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), der auch Landwirtschaftsminister bleibt. Neuer Finanzminister ist Jörg Kukies (SPD), bisher beamteter Staatssekretär im Bundeskanzleramt.

Im Bundestag wurden ab Donnerstag alle aktuellen Sachdebatten im Plenum abgesagt. Am kommenden Mittwoch dürfte dort der Streit über den richtigen Zeitpunkt für Neuwahlen weitergehen. Für 13 Uhr ist eine Regierungserklärung des Bundeskanzlers mit einer zweistündigen Aussprache angesetzt. Im Anschluss steht die übliche Befragung der Bundesregierung mit den Ministern Hubertus Heil und Wolfgang Schmidt an. Nach der anschließenden Fragestunde stehen für die neue Sitzungswoche keine weiteren Punkte auf der Tagesordnung.

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