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Geschichte des Lebens : Was frühere Massenaussterben lehren können

Bereits fünfmal verschwanden die meisten Arten von der Erde. Ein sechstes Massenaussterben scheint gerade zu beginnen.

02.01.2023
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4 Min

Mindestens fünfmal in der Geschichte der Erde verschwanden anscheinend urplötzlich die meisten Tierarten, ein sechstes dieser Massenaussterben könnte sich gerade anbahnen. Jedes Mal änderte sich die Natur völlig, fast nichts scheint nach einem solchen Ereignis wieder so wie vorher gewesen zu sein. Jedes Mal wandelte sich bei solchen Revolutionen der Biosphäre das Klima rasch. Jedes Mal überlebten aber auch Arten, und es entstand eine neue Artenvielfalt in Lebensräumen, die erst durch die Katastrophe entstanden. Ein Blick auf die Hintergründe und die Abläufe solcher Massenaussterben kann also wertvolle Hinweise auf die heutige Krise der Natur liefern. Der Weltklimarat der Vereinten Nationen IPCC hatte also gute Gründe, mit Wolfgang Kießling von der Universität Erlangen einen Spezialisten für solche Bio-Umwälzungen der Vorzeit in die Arbeitsgruppe 2 des IPCC zu holen, die sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Umwelt beschäftigt.

Riesige Lava-Fluten

"Vor 252 Millionen Jahren schnellten die Temperaturen auf der Erde um durchschnittlich mehr als zehn Grad Celsius nach oben", fasst der Paläoumweltforscher den Auslöser für das wohl stärkste bisher bekannte Artensterben in der Erdgeschichte zusammen. Damals waren gigantische Lavaströme aus dem Boden des heutigen Sibiriens gequollen. Bis zu drei Kilometer hoch bedecken diese Flutbasalte heute eine Fläche von rund zwei Millionen Quadratkilometern. Das ist eine Region von fast der halben Größe der Europäischen Union. Aus diesen unvorstellbaren Lava-Fluten stiegen auch gigantische Massen Kohlendioxid in die Luft. Dazu kamen im Untergrund brennende, riesige Kohleflöze, aus denen weitere Treibhausgas-Massen aufstiegen, die dem Klima gehörig einheizten.

Auch ausgestorben: die Dinosaurier.   Foto: picture alliance/zumapress.com/Simon Chapman

Ein Teil des freigesetzten Kohlendioxids löste sich damals im Wasser und machte das Meer dabei saurer. Auch im Klimawandel unserer Zeit passiert Ähnliches. Dadurch bekommen Steinkorallen und viele andere Tiere Schwierigkeiten, weil sie im saureren Wasser nur noch schwer oder gar nicht mehr Kalk abscheiden können, mit dem sie eine Schutzhülle oder ein Skelett aufbauen. "Die Folgen waren dramatisch, vor 252 Millionen Jahren starben alle urtümlichen Korallen aus", schildert Wolfgang Kießling die damalige Katastrophe.

Heizen die Ozeane auf, geraten Fische und andere Meerestiere noch von einer weiteren Seite unter Druck: Je wärmer Wasser wird, umso weniger Sauerstoff kann sich darin lösen. Gleichzeitig brauchen die Tiere im Warmen erheblich mehr Sauerstoff, weil ihr Organismus auf höheren Touren läuft. "Von diesem tödlichen Trio aus Sauerstoffmangel, saurem Wasser und steigenden Temperaturen in die Zange genommen, starben damals in den Meeren rund 85 Prozent aller Arten aus", erklärt Kießling.

Ursachen für Massen-Artensterben

Eine ähnliche Katastrophe gab es vor 201 Millionen Jahren, als die durchschnittlichen Temperaturen rasch um bis zu acht Grad Celsius stiegen. Erneut verschwanden sehr viele Arten. Aber auch rasante Abkühlungen wie vor etwa 443 Millionen Jahren können Massenartensterben verursachen.

Damals lag der riesige Superkontinent "Gondwana" am Südpol, und auf seinen Landmassen bildeten sich große Eiskappen. Sehr viele Arten von Muscheln, Stachelhäutern, Trilobiten und etlichen anderen Meeresorganismen starben damals aus.

Auch vor 372 Millionen Jahren verringerte eine kräftige Abkühlung die Artenvielfalt drastisch. Damals waren gerade die ersten richtigen Wälder mit 30 Meter hohen Bäumen entstanden. Deren Wurzeln holten aus tiefen Bodenschichten wichtige Nährstoffe, die nach dem Tod der Gehölze ins Meer geschwemmt wurden und dort Algenblüten auslösten. Das darin gebundene Kohlendioxid fehlte in der Luft und schob so die Klimaregler in die Stellung für kühlere Zeiten.

Hitze von mehr als 1.700 Grad Celsius

Auch beim fünften Massenaussterben, dem vor 66 Millionen Jahren die Dinosaurier zum Opfer fielen, während die Säugetiere die entstandene Lücke später wieder auffüllten, spielte eine rasche Klimaänderung eine zentrale Rolle. Damals war ein Asteroid mit einem Durchmesser von mehr als zehn Kilometern in den heutigen Golf von Mexiko und auf die Yukatan-Halbinsel gedonnert. Als diese gigantische Masse mit mehr als der zehnfachen Geschwindigkeit eines Kampfpanzer-Geschosses, das einen Meter dicken Stahl durchschlagen kann, auf die Erde traf, entstand eine Hitze von mehr als 1.700 Grad Celsius.

Der Asteroid verdampfte schlagartig, und sprengte ein 15 Kilometer tiefes und 200 Kilometer breites Loch in die Erde. Die in den Himmel geschleuderten Ruß- und Staubteilchen verdunkelten den Himmel und ließen die Temperaturen sehr rasch in den Keller sacken. Vor allem aber absorbierten riesige Mengen Schwefelsäure, die durch den Einschlag hoch in die Atmosphäre entstanden waren, so viel Sonnenlicht, dass die Temperaturen auf der Oberfläche der Erde für einige Jahre um durchschnittlich mindestens 26 Grad Celsius sanken.

Ökologe: Artensterben "voll im Gang"

Und heute? "Ein Artensterben ist längst voll im Gang", erklärt der Ökologe Manuel Steinbauer von der Universität Bayreuth. Ausgelöst wurde es allerdings nicht vom Klimawandel, sondern von einer Reihe anderer Effekte wie der Landwirtschaft, für die überall auf der Welt Wälder, Moore und andere Naturflächen verändert wurden. Dazu kommen Überdüngung, die Verwendung von Pestiziden oder das Einschleppen fremder Arten.

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Die Folgen bekamen zum Beispiel die Insekten zu spüren, deren Vorkommen sich rapide verringert. "Auf diese Entwicklung kommt der Klimawandel jetzt noch obendrauf", warnt Manuel Steinbauer. Noch aber ist es nicht zu spät für eine Kehrtwende, meint Wolfgang Kießling: "Wenn wir den Klimawandel möglichst rasch eindämmen, können wir diese Entwicklung noch abmildern."

 

Der Autor ist freier Wissenschaftsjournalist.