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Foto: picture alliance/dpa
Das Kernkraftwerk Isar 2 ging Anfang 2023 in den Streckbetrieb. Wesentliche Folgen für den Strompreis oder die Versorgungssicherheit hatte das aber aufgrund des milden Winters nicht.

Anhörung im Atom-Ausschuss : Längere AKW-Laufzeiten hatten nur geringe Auswirkungen

Was hat der Streckbetrieb der deutschen Atomkraftwerke im Frühjahr 2023 gebracht? Mit dieser Frage hat sich der Atom-Untersuchungsausschuss befasst.

29.11.2024
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4 Min

Die Auswirkungen des Weiterbetriebs der letzten drei deutschen Kernkraftwerke bis Mitte April 2023 auf Strompreise und Versorgungssicherheit waren offenbar nur gering. Doch das hätte auch ganz anders kommen können, entgegneten Vertreter der Atomindustrie in der Sitzung des 2. Untersuchungsausschusses am Donnerstag. Das Gremium untersucht den deutschen Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie. So erklärte Frank Mastiaux, bis Ende 2022 Vorstandsvorsitzender der EnBW Energie Baden-Württemberg AG, nach Beginn des Ukraine-Krieges habe man mit Blick auf denkbare extreme Krisenfälle alle Szenarien betrachten müssen. Es habe große prognostische Unsicherheiten gegeben. Wo immer möglich, sei Vorsorge geschaffen worden. Auch das Thema Kernkraft habe dabei eine Rolle gespielt.

Denn für die Verantwortlichen der Versorgungssicherheit ging es darum, sich nach dem Wegfall der russischen Gaslieferungen und dem Ausfall eines großen Teils der französischen Kernkraftwerke auf mögliche Energieengpässe im Winter 2022/23 einzustellen. Tatsächlich kamen Wirtschaft und Bürger relativ glimpflich davon: Der Winter blieb mild, und die französischen Atomanlagen gingen nach und nach wieder in Betrieb.

Die Versorgung wäre wohl auch ohne Streckbetrieb gesichert gewesen

In einer Anhörung des Ausschusses stellte Professor Marc Oliver Bettzüge (Universität zu Köln) fest, die Analyse der Wirkungen des Streckbetriebs der drei verbliebenen deutschen Kernkraftwerke zeige insgesamt eher geringe Effekte. Die preisdämpfende Wirkung sei gering gewesen. Die Versorgungssicherheit hätte von Januar bis April 2023 auch ohne den Streckbetrieb der Kernkraftwerke gewährleistet werden können. Das sei auch Folge des verhältnismäßig milden Winters gewesen. Professorin Veronika Grimm (Technische Universität Nürnberg) bestätigte, die Situation sei damals sehr günstig gewesen: Der Winter sei nicht so kalt gewesen, die Gasspeicher seien gefüllt gewesen.

Von einer nur geringen Auswirkung auf die Strompreise, den Gasverbrauch und die Versorgungssicherheit durch den Streckbetrieb sprach Felix Christian Matthes (Öko-Institut). In den Monaten Januar bis April 2023 habe der Weiterbetrieb insgesamt zu einer Senkung des Großhandelspreises von rund 1,1 Prozent geführt. Auch Professorin Claudia Kemfert (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) erklärte, die Kapazitäten in Deutschland seien ausreichend gewesen. Instabilitäten im Stromnetz habe es nicht gegeben. Kemfert zog das Fazit: "Die Abschaltung der Kernkraftwerke war gerechtfertigt, die Versorgungssicherheit war jederzeit gewährleistet, weder Strompreise noch Emissionen sind gestiegen."

Dissens beim Thema Periodische Sicherheitsüberprüfung

Der ehemalige Universitätsprofessor und Ministerialdirektor Wolfgang Renneberg ging insbesondere auf die Periodischen Sicherheitsüberprüfungen (PSÜ) ein, die in den letzten drei Atomkraftwerken wegen der für Ende 2022 vorgesehenen Abschaltung nicht mehr durchgeführt worden waren. Ohne Sicherheitsüberprüfungen "reduzieren wir die Sicherheit selbst", sagte Renneberg. Er bezeichnete die Bewertungen in einem gemeinsamen Vermerk der Ministerien vom 7. März 2022, in dem ein Weiterbetrieb der Kernkraftwerke als sicherheitstechnisch nicht vertretbar eingestuft worden war, als in jedem Falle richtig.

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Dem widersprach bei der Zeugenvernehmung ein Mitarbeiter der Prüforganisation TÜV SÜD. Bei einer PSÜ sei nie herausgekommen, dass eine Anlage nicht sicher sei, sondern es gebe nur Erkenntnisse, wie die Sicherheit weiter erhöht werden könne. Angesprochen auf eine Äußerung von Minister Habeck, der gesagt habe, die Anlagen seien nicht geprüft, sagte der Zeuge, die Anlagen seien auf "Herz und Nieren" geprüft worden.

Ulrich Waas, ehemaliges Mitglied der Reaktor-Sicherheitskommission, zeigte sich ebenfalls enttäuscht von dem Vermerk. Informationen von den wesentlichen Sachkennern hinsichtlich technischer, sicherheitstechnischer und energiewirtschaftlicher Aspekte seien nicht oder nur bruchstückhaft eingeholt worden. Es würden massive Zweifel bestehen, "ob eine umfassende und ergebnisoffene Prüfung überhaupt gewollt war". Das von den beiden Ministerien projizierte "Drohszenario" ("unüberschaubare Verfahren und Kosten") baue wesentlich auf unzutreffenden oder "bewusst irreführenden Behauptungen" auf.

Harte Kritik am Umwelt- und Wirtschaftsministerium

Auch Anna Veronika Wendland (Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung) erklärte, die Akteure im Umwelt- und im Wirtschaftsministerium hätten 2022 in offiziellen Dokumenten und öffentlichen Äußerungen "nachweislich und systematisch unwahre Aussagen über den Sicherheitszustand und die Laufzeitverlängerungs-Optionen der deutschen Kernkraftwerke" gemacht. Dabei hätten die deutschen Kernkraftwerke international den Ruf gehabt, "Benchmark" zu sein und seien standardbildend gewesen.

Guido Knott (Vorsitzender der Geschäftsführung der PreussenElektra) erklärte, dass sein Unternehmen den Vermerk der Ministerien scharf kritisiert habe. Das von PreussenElektra betriebene Kraftwerk Isar 2 sei in einem Top-Zustand gewesen. Es sei eine der besten Anlagen der Welt gewesen. "Es stand nie außer Frage, dass die Anlage hätte weiterbetrieben werden können", sagte Knott. Aus seiner Sicht wäre eine betriebsbegleitende Sicherheitsüberprüfung, deren Fehlen Renneberg kritisiert hatte, leistbar gewesen.

Kraftwerksbetreiber schätzten Weiterbetrieb unterschiedlich ein

Über den Weiterbetrieb der letzten Atomkraftwerke gingen die Meinungen der deutschen Kraftwerksbetreiber jedoch auseinander. Während PreussenElektra bereit war, sein Kraftwerk Isar 2 auch über den mehrmonatigen Streckbetrieb hinaus weiter zu betreiben, war der RWE-Konzern weniger geneigt, sein Kraftwerk Emsland noch länger laufen zu lassen. Markus Krebber (Vorstandsvorsitzender von RWE) schilderte, technisch sei zwar fast alles machbar. Aber RWE sei bereits auf ein Ende des Betriebs seines Kernkraftwerks Emsland Ende 2022 eingerichtet gewesen.

In einer von RWE abgegebenen Einschätzung über einen längeren Weiterbetrieb, die man an die Regierung geschickt hatte, war von einer langwierigen Beschaffung neuer Brennelemente ebenso die Rede gewesen wie von der Notwendigkeit einer neuen Sicherheitsüberprüfung. Außerdem hätten hohe Investitionskosten bei einer Verlängerung des Betriebs angestanden, die die Regierung hätte übernehmen sollen. Für einen Streckbetrieb über einen kürzeren Zeitraum gelte das aber nicht. Einer politischen Entscheidung habe man aber nicht im Weg stehen wollen. Wesentlich optimistischer über einen längeren Weiterbetrieb äußerte sich Knott von PreussenElektra: "RWE hat die Hürden eines Weiterbetriebs wesentlich höher eingeschätzt als wir das tun."