Befragung im Atom-Ausschuss geht weiter : Kein Rauf und runter bei Atomkraftwerken
Experten befürworten die Lösung, die letzten drei AKW einige Monate weiterlaufen zu lassen. Sie nur in Reserve zu halten, wäre ein rechtliches Risiko gewesen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte gelegentlich davon gesprochen. Aber in der Welt der Atomwissenschaftler war der Gedanke, die letzten drei deutschen Atomkraftwerke nicht wie vorgesehen Ende 2022 abzuschalten, sondern wegen der Energieversorgungsprobleme nach Beginn des Ukraine-Krieges als Reserve vorzuhalten, auf keine Gegenliebe gestoßen. Es ergebe keinen Sinn, Kernkraftwerke ständig herauf- und runterzufahren, erklärte Richard Lothar Donderer, seit 2022 Vorsitzender der Reaktor-Sicherheitskommission (RSK), vor dem 2. Untersuchungsausschuss am Donnerstag.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte schließlich eine Laufzeitverlängerung mit regulärem Betrieb bis Mitte April 2023 durchgesetzt. Auch ein weiterer Zeuge, der sich mit der rechtlichen Situation befasst hatte, sagte, die rechtlichen Risiken bei diesem Streckbetrieb für einige Monate seien geringer gewesen als die Risiken bei einem Reservebetrieb.
Reservebetrieb barg größere rechtliche Risiken als Streckbetrieb
Donderer erklärte, in der ehrenamtlich tätigen Reaktorsicherheitskommission sei ziemlich schnell klar gewesen, dass ein ständiges Herauf- und Runterfahren von Kernkraftwerken nicht in Frage komme. "Wenn hochgefahren wird, dann bitte oben bleiben", stellte Donderer fest. Man könne ein Kernkraftwerk auch nicht schnell hochfahren. "Das geht so nicht", sagte Donderer zur Idee des Reservebetriebs. Die Anlagen müssten langsam hochgefahren werden bei Einhaltung aller Sicherheitsprüfungen. Ein Energiebedarf innerhalb von wenigen Stunden könne von Kernkraftwerken nicht befriedigt werden.
Einen Auftrag für eine Stellungnahme habe man erst lange nach Beginn der öffentlichen Debatte vom Umweltministerium erhalten. Darin sollte es um einen "kontinuierlichen Streckbetrieb" gehen. Das Thema Laufzeitverlängerung an sich falle nicht in die Zuständigkeit der Kommission, tätig werde sie nur in den Fragen der Sicherheit, erläuterte Donderer. Energiepolitische Fragen, Risiken oder Abwägungen gehörten nicht in die RSK. Erst wenn die Entscheidung gefallen sei, die Kernkraftwerke weiterlaufen zu lassen, werde man zuständig. An den verschiedenen Prüfvermerken der Bundesministerien sei die Kommission nicht beteiligt gewesen.
Schnelle Prognosen sind nicht Sache der Reaktorkommission
In der Kommission gehe es nicht um energiepolitischen Sachverstand, sagte Donderer: "Dort gehört er nicht hin." Die Kommission könne nicht darüber spekulieren, welche energiepolitischen Rahmenbedingungen es gebe und welche nicht. Es gehe nur um Reaktorsicherheit - "und selbst das ist manchmal nicht einfach".
Donderer wurde von Abgeordneten mit einem Zitat aus einem Interview von Uwe Stoll, dem ehemaligen wissenschaftlich-technischen Geschäftsführer der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) und wie Donderer Mitglied der Reaktor-Sicherheitskommission, konfrontiert. Stoll hatte erklärt, dass die RSK von der Bundesregierung nicht eingebunden gewesen sei. Das Interview habe er wahrgenommen, sagte Donderer: "Das ist seine Meinung." Es sei keine neue Erfahrung, dass die RSK nicht eingebunden werde. Auch komme es vor, dass RSK-Entscheidungen nicht Basis späterer Entscheidungen würden: "Damit muss man leben." Und es müsse auch nicht alles, was entschieden werde, über die RSK laufen.
Stoll hatte zur sicherheitstechnischen Bewertung der noch laufenden Kernkraftwerke vor dem Ausschuss auch erklärt, dass die Anlagen bis zum 31. Dezember 2022 als sicher eingestuft gewesen seien. Er verstehe nicht, warum sie am 1. Januar 2023 plötzlich nicht mehr sicher gewesen sein sollten. Donderer meinte dazu, es gebe immer Leute, die schnell eine Prognose wagen würden. Aber die Ergebnisse der RSK-Arbeit basierten nicht auf solchen Einschätzungen.
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Kritisch setzt sich Donderer mit einem Vermerk aus dem Umweltministerium auseinander, in dem von erheblichen Investitionen der Kraftwerksbetreiber bei einer Verlängerung der Laufzeiten über einen längeren Zeitraum und nicht nur um einige Monate die Rede gewesen sei. Solch eine Aussage sei ihm etwas voreilig erschienen. Ausschließen könne man Nachrüstungsbedarf natürlich nicht. Seine Auffassung sei gewesen, nicht voreilig sicherheitstechnische Festlegungen zu treffen, die die Kommission später möglicherweise nicht bestätigen könne. Zum Verhältnis der Kommission zum Umweltministerium sagte Donderer: “Wir fühlten uns nicht an die Leine gelegt.”