Flugverkehr : Am Boden
Lange Wartezeiten und gestrichene Flüge vergällen derzeit die Urlaubsfreude. Der Grund: Es fehlen Tausende von Fachkräften.
Über den Wolken, so sang einst Reinhard Mey, muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Doch in diesem Sommer müssen Urlauber oder Geschäftsreisende in Deutschland und in vielen anderen europäischen Ländern viel Zeit und Geduld aufbringen, um auch nur in das Innere eines Flugzeuges zu gelangen. Stundenlange Wartezeiten sind aktuell eher der Normal- als der Ausnahmefall, wenn der Flieger denn überhaupt abhebt.
Es fehlt an Personal in allen Bereichen
Allein die Lufthansa wird im Juli wohl rund 900 Flüge streichen müssen. Der Grund: Personalmangel in der Luft, vor allem aber am Boden. Es fehlt an Personal in allen Bereichen: Beim Check-In, bei der Gepäckabfertigung, bei der Sicherheitskontrolle, aber auch bei den Flugbegleitern. Nach Angaben des Flughafenverbandes ADV fehlen den Dienstleistern, die an der Abfertigung der Passagiere beteiligt sind, im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit rund 20 Prozent des Bodenpersonals.
Flugpassagiere müssen sich derzeit auf lange Wartezeiten einrichten und mit der Annullierung ihres Fluges rechnen.
Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft mangelt es derzeit an rund 7.200 Fachkräften. Der Grund für den Mangel: Viele Beschäftigte von Airlines, Flughäfen und Dienstleistern haben während der Corona-Krise ihre Arbeit verloren oder sind von sich aus in eine andere Branche gewechselt.
Um kurzfristig zumindest ein wenig Abhilfe zu leisten, sollen nun 2.000 Fachkräfte in der Türkei vereinfacht angeworben werden können. Bedingungen: Sie müssen schon an einem Flughafen gearbeitet haben und mindestens 14,25 Euro Gehalt pro Stunde sowie Feiertags-, Nacht- und Sonntagszuschläge bekommen. In der vergangenen Woche gab die Bundesagentur für Arbeit grünes Licht für die Anwerbung. Die Sonderregelung ist aber befristet und gilt nur für Arbeitsverträge bis zum 6. November.
Union fordert Flugreise-Gipfeltreffen
Der CDU/CSU-Fraktion ist dies jedoch deutlich zu wenig, um das Problem in den Griff zu bekommen. Sie forderte in der vergangenen Woche die Einberufung eines Flugreise-Gipfels unter Beteiligung der zuständigen Bundesminister. Dieser solle prüfen, in welchem Umfang sicherheitsüberprüftes Personal bei der Gepäckabfertigung eingesetzt werden kann, um zertifiziertes Personal auf die Auswertung der Röntgenbilder zu konzentrieren. Vor allem aber müsse bis spätestens September "ein langfristig tragfähiges Konzept" erarbeitet werden, "um künftig einem solchen Chaos an den Flughäfen vorzubeugen", heißt es in dem entsprechenden Antrag der Union.
Überzeugen konnte die größte Oppositionsfraktion mit ihrem Vorstoß aber niemanden im Bundestag. Und so wurde der Antrag am vergangenen Donnerstag nach einer gut einstündigen Debatte mit den Stimmen der Regierungskoalition und der Linksfraktion abgelehnt; die AfD-Fraktion enthielt sich der Stimme.
Einig zeigten sich alle Fraktionen weitestgehend in der Einschätzung, dass es sich bei dem beschriebenen Flughafen-Chaos um eines "mit Ansage" handele. Ansonsten schoben sie sich aber vor allem gegenseitig die Verantwortung für die Situation zu. In der Bundesregierung herrsche "Kompetenzchaos" zwischen den zuständigen Ministern, und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) fühle sich erst gar nicht zuständig für die Personalpolitik der Flughafengesellschaften und Airlines, monierte der Unionsabgeordnete Mark Biadacz.
Es existiere weder ein Konzept zur Bekämpfung des Fachkräftemangels in Deutschland, von dem auch viele andere Branchen betroffen seien, noch für die drei Millionen Arbeitslosen. Stattdessen würde die Ampel faktisch alle Hartz-IV-Sanktionen streichen und damit die Anreize zur Annahme eines Jobangebotes, schimpfte Biadacz.
Grüne fordertn neues Zuwanderungsrecht, um dem Fachkräftemangel zu begegnen
Die gescholtenen Ampelkoalitionäre revanchierten sich umgehend und verwiesen darauf, dass das Verkehrsministerium in den vergangenen 16 Jahren von CSU-Politikern geführt worden sei. Vor allem aber stemme sich die Union bis heute gegen ein modernes Zuwanderungsrecht, führte der FDP-Parlamentarier Jürgen Landes an. Dies werde die Koalition in dieser Legislaturperiode auf den Weg bringen.
In diesem Sinne argumentierte auch der SPD-Abgeordnete Hakan Demir. So habe die Bundesregierung das Chancen-Aufenthaltsrecht auf den Weg gebracht, um Ausländern, die seit Jahren ohne gesicherten Aufenthaltstitel in Deutschland leben, eine langfristige Bleibeperspektive zu eröffnen. Auch dies lehne die Union ab, kritisierte Demir. Beate Müller-Gemmeke (Grüne) forderte ebenfalls ein neues Zuwanderungsrecht, um dem Fachkräftemangel zu begegnen.
Zu hohe Standortkosten bremsen die Erholung des Luftverkehrsstandortes Deutschland. Das findet zumindest die Unionsfraktion und will Steuern senken.
Die gelernte Hotelfachfrau und Tourismus-Expertin der Union, Anja Karliczek über fehlendes Personal, mangelnde Vernetzung und Nachhaltigkeit als Wettbewerbsfaktor.
Der AfD-Parlamentarier Dirk Brandes wiederum hielt den Ampelfraktionen vor, sie nutzten jedes Thema für die "Befriedigung ihrer Migrationssucht". Die Gründe für das Chaos an den Flughäfen lägen in der zweijährigen Corona-Hysterie der alten Bundesregierung und der luftfahrtfeindlichen Politik der neuen Regierung.
Pascal Meiser (Linke) sieht die Verantwortung vor allem bei der Luftfahrtbranche selbst. Diese habe milliardenschwere Beträge aus den Corona-Rettungsschirmen erhalten und trotzdem Personal abgebaut. Zudem sei das gezahlte Kurzarbeitergeld viel zu gering ausgefallen, die Beschäftigten hätten sich beruflich umorientiert. Viele Jobs an den Flughäfen, etwa in der Gepäckabfertigung, seien schlecht bezahlte "Knochenjobs". Die Privatisierung vieler Aufgaben an den Flughäfen habe zu Lohndumping geführt, argumentierte Meiser.
Antrag zu Fluggastrechten
Kurzfristig werden sich die Probleme an den Flughäfen und bei den Fluggesellschaften nicht lösen lassen. Auch der Einsatz von angeworbenen Fachkräften aus dem Ausland wird nicht vor August erwartet. Wohl auch deshalb legte die Union gleich einen zweiten Antrag zur Stärkung von Fluggastrechten vor, über den der Bundestag am Freitag beriet. So soll die Bundesregierung auf EU-Ebene dafür sorgen, dass die Fluggesellschaften ihrer Informationspflicht gegenüber den Passagieren nachkommen und die Ticketkosten bei ausgefallenen Flügen erstatten. Doch auch dieser Antrag wurde mit den Stimmen der Ampelkoalition abgelehnt.