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Lange erwartete Aussage im Untersuchungsausschuss : BND-Chef räumt Fehler bei Lagebewertung ein

BND-Chef Bruno Kahl verteidigt seine Mitarbeiter gegen Kritik. Man habe jedoch die Geschwindigkeit der Übernahme Kabuls durch die Taliban falsch eingeschätzt.

08.07.2024
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2 Min
Foto: picture alliance/dpa/Kay Nietfeld

Bruno Kahl, Präsident des Bundesnachrichtendienstes, bei der Zeugenvernehmung des 1. Untersuchungsausschusses "Afghanistan" des Bundestages.

Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) Bruno Kahl hat sich bei seiner Befragung durch den 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan  des Bundestages am vergangenen Donnerstag schützend vor seine Mitarbeiter gestellt. Zugleich gestand er ein, dass der BND die schnelle und kampflose Übernahme Kabuls durch die Taliban nicht vorausgesehen habe.

Kahl: Kritik am BND ist nicht gerecht

Kahl bezeichnete die Kritik am BND als „eine himmelschreiende Ungerechtigkeit“. Über Jahrzehnte habe der BND mit seiner Arbeit geholfen, Menschenleben zu retten. Auch die Wiederherstellung des Emirats 2.0 durch die Taliban hätten seine Mitarbeiter richtig und präzise beschrieben. Nicht vorhergesehen habe man allerdings die Geschwindigkeit der Ereignisse "in den letzten Zentimetern", so Kahl. 


„Wie alle anderen Nachrichtendienste ging der BND davon aus, dass die afghanischen Sicherheitskräfte länger durchhalten würden. Das war eine Fehleinschätzung.“
Bruno Kahl, Präsident des Bundesnachrichtendienstes

Dabei hätten die Mitarbeiter die Beschleunigung der Ereignisse durchaus in ihre Berichte aufgenommen. Die entscheidende Frage sei gewesen, was sie für Kabul bedeute, sagte Kahl und fügte hinzu: „Hier ging der BND wie alle anderen Nachrichtendienste davon aus, dass die afghanischen Sicherheitskräfte länger durchhalten würden. Das war eine Fehleinschätzung.“

Um die Entwicklung vorhersagen zu können, habe der BND am 12. August fünf Kipppunkte definiert und diese vor dem Fall Kabuls auch schriftlich in seinem Lagebericht festgehalten. Als Kipppunkte benannte Kahl erstens die nahezu vollständige Isolation Kabuls, zweitens die Einnahme von Provinzzentren im Großraum Kabul, drittens die Absetzbewegungen der afghanischen Führung, viertens den Abzug der US-Truppen aus der „Grünen Zone“ und der Botschaft sowie fünftens die Evakuierung weiterer westlicher Botschaften.

BND leitete interne Untersuchung ein

Mehrere dieser Kipppunkte seien nur Stunden nach der Präsentation bei der entscheidenden Krisenstabssitzung am 13. August 2021, und damit nur zwei Tage vor dem Fall Kabuls in die Hände der Taliban, eingetreten. 

Im Nachhinein habe man „jeden Stein umgedreht“, um herauszufinden, welche Hinweise sie gehabt hatten, so Kahl.  Es habe aber keinen Hinweis gegeben, der die Fehleinschätzung der Geschwindigkeit hätte korrigieren können. Im Gegenteil - selbst die Taliban seien überrascht gewesen, Kabul „auf einem Silbertablett"  präsentiert bekommen zu haben.

Frühere BND-Vizepräsidentin: Nicht erwartet, dass Kabul kampflos fällt

Kahls Aussage stützte die ehemalige Vizepräsidentin des BND, Tania Freiin von Uslar-Gleichen, die ebenfalls am Donnerstag im Untersuchungsausschuss  befragt wurde.

"Wir haben es nicht für übermorgen vorgesehen, aber perspektivisch beschrieben, dass ein Emirat entstehen würde“ sagte von Uslar-Gleichen. Im BND-Lagebericht vom 13. August sei zwar eine Einnahme der afghanischen Hauptstadt innerhalb von 30 Tagen für nicht wahrscheinlich gehalten worden - damit sei jedoch ausschließlich eine militärische Eroberung gemeint gewesen und nicht, "dass Kabul kampflos übergeben werden würde.“ Man habe nicht erwartet, dass "alle Kipppunkte innerhalb von 36 Stunden" eintreten würden, gab die frühere BND-Vizepräsiedentin zu.

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