Nationale Sicherheit : Ampel stellt neuen strategischen Instrumentenkasten vor
Die Bundesregierung legt Deutschlands erste Nationale Sicherheitsstrategie vor. Strukturelle Änderungen und neue Zuständigkeiten wird es danach nicht geben.
Dass der Kanzler gleich mit vier Mitgliedern seines Kabinetts vor die Hauptstadtpresse tritt, kommt nicht allzu oft vor. Bei der Vorstellung der Nationalen Sicherheitsstrategie am vergangenen Mittwoch war damit das Signal gesetzt: Es geht hier um Grundsätzliches.
Erstmals soll diese Strategie nicht nur eine vorrangig defensiv-militärische Zustandsbeschreibung wie das Weißbuch der Bundeswehr sein, sondern sämtliche inneren und äußeren Bedrohungen für die Sicherheit des Landes berücksichtigen. Dazu zählen neben der militärischen Bedrohung etwa auch Cyber-Attacken, mögliche Anschläge auf kritische Infrastruktur und der Klimawandel. Es gehe "um die ganze Palette unserer Sicherheit", betonte Kanzler Olaf Scholz (SPD). Dafür brauche man nicht nur das Militär, sondern Diplomatie genauso wie Polizei und Feuerwehr, Technische Hilfswerke, Entwicklungszusammenarbeit, Cyber-Sicherheit und den Schutz von Lieferketten. Auch die Abhängigkeit bei Energie und Rohstoffen ist ein Thema des Dokuments. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) lenkte den Blick zum Beispiel auf wichtige Gasspeicher, deren Verkauf 2015 zwar als Sicherheitsthema diskutiert, aber damals "offensichtlich anders bewertet" worden sei.
Im Zentrum steht der "Schutz unseres Landes, dessen freiheitlicher demokratischer Grundordnung und unserer Werte", so heißt es im Strategiepapier. "Oberste Aufgabe deutscher Sicherheitspolitik ist es sicherzustellen, dass wir in unserem Land auch künftig in Frieden, Freiheit und Sicherheit leben können." Wehrhaftigkeit, Widerstandsfähigkeit, Nachhaltigkeit - das sind die zentralen Dimensionen ihres Konzepts der "integrierten Sicherheit", schreibt die Bundesregierung.
Mehrwert eines nationalen Sicherheitsrats nicht erkannt
Strukturelle Änderungen und neue Zuständigkeiten wird es aber nicht geben. So findet sich in dem Papier keine Zeile zur Schaffung eines koordinierenden Nationalen Sicherheitsrates, wie dies innerhalb der Ampelkoalition ursprünglich diskutiert wurde. Man habe "einen größeren Mehrwert nicht erkannt", sagte Scholz bei der Vorstellung des Grundsatzdokuments. Auch beim Katastrophenschutz wird es keine Kompetenzverlagerungen geben. Dagegen hatten sich insbesondere die für Katastrophenschutz in Friedenszeiten zuständigen Bundesländer gewehrt, aus deren Reihen auch Kritik an mangelnder Beteiligung kommt.
Nach Vorbild der USA hatte die Bundesregierung einen Nationalen Sicherheitsrat für Deutschland ins Spiel gebracht. Eine Einigung darauf ist jedoch gescheitert.
Nach der Vorlage der Sicherheitsstrategie wirbt der FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff weiter für die Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrates.
Angesichts des russischen Krieges gegen die Ukraine setzt das Papier klare Prioritäten in der Gefahrenbeschreibung: Das heutige Russland sei auf "absehbare Zeit die größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit im euroatlantischen Raum". Weder Deutschland noch die Nato suchten Gegnerschaft oder Konfrontation mit Russland. "Wir sind im Bündnis aber jederzeit bereit und fähig, unsere Souveränität und Freiheit und die unserer Verbündeten zu verteidigen." Deutschland stehe "für eine freie, unabhängige und demokratische Ukraine in ihren international anerkannten Grenzen". Es müsse darum gehen, ein Übergreifen des Kriegs auf benachbarte Staaten zu verhindern. Die Bundesregierung stellt sich auch hinter das Ziel eines EU-Beitritts der Ukraine - und der Staaten des Westbalkans, der Republik Moldau und "perspektivisch auch" Georgiens. Voraussetzung dafür seien Reformen in der EU.
Eigene Strategie zu China angekündigt
China wird in der Vorlage als "Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale" bezeichnet. In einer Zeit wachsender Multipolarität versuchten einige Staaten, die bestehende internationale Ordnung entsprechend ihrer Auffassung von systemischer Rivalität umzugestalten, schreibt die Bundesregierung. Zugleich aber bleibe China ein Partner, "ohne den sich viele der drängendsten globalen Herausforderungen nicht lösen lassen". Die Graduierung der Schärfe im Auftreten gegenüber Peking war einer der Streitpunkte bei der Erstellung der Strategie. Parallel ist eine eigene China-Strategie in der Abstimmung, die aber erst nach den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen in Berlin Ende Juni oder später präsentiert werden dürfte. Konkrete Formulierungen zu heiklen Punkten wie die Taiwan-Frage oder chinesische Beteiligungen an deutscher Infrastruktur finden sich in der Nationalen Sicherheitsstrategie nicht.
Mit ihr bekräftigt die Bundesregierung die Absicht, im mehrjährigen Durchschnitt den Zwei-Prozent-BIP-Beitrag zu den Nato-Fähigkeitszielen zu erbringen. Herangezogen werden soll dazu "zunächst auch" das neue Sondervermögen Bundeswehr. Im Anschluss werde man "im Haushalt Prioritäten ohne diese Anpassungshilfe des Sondervermögens setzen müssen", so beschrieb es Finanzminister Christian Lindner (FDP) bei der Vorstellung.
Im Sinne "integrierter Sicherheit" wolle man außerdem Investitionen in den Schutz Kritischer Infrastrukturen, eine handlungsfähige Diplomatie, den Bevölkerungsschutz, die Stabilisierung der Partner, eine engagierte humanitäre Hilfe sowie Cyberfähigkeiten stärken, so steht es im Strategiepapier. "Cybersicherheit ist untrennbar mit unserer digitalen Souveränität verbunden", heißt es in der Vorlage. So soll die Abhängigkeit von ausländischen Tech-Firmen verringert, wichtige Technologien gefördert und Sicherheitsstandards weiterentwickelt werden. Auch die Entwicklungspolitik habe eine sicherheitspolitische Dimension. So will die Bundesregierung "zusammen mit Partnern die Erschließung alternativer, menschenrechtskonformer und nachhaltiger Bezugsquellen für strategische Rohstoffe voranbringen".
Strengere Kontrollen von Waffenlieferungen geplant
Weitere Ziele der Sicherheitsstrategie richten sich unter anderem auf die Notwendigkeit der Eindämmung der Klimakrise und Anpassungsstrategien sowie auf den Erhalt der globalen Rüstungskontrollarchitektur und die Stärkung von nuklearer Abrüstung und Nichtverbreitung auf Grundlage des Nichtverbreitungsvertrags. In diesem Punkt hält die Ampel allerdings auch fest: "Solange es Nuklearwaffen gibt, ist der Erhalt einer glaubwürdigen nuklearen Abschreckung für die Nato und für die Sicherheit Europas unerlässlich." Bei der Kontrolle von Rüstungsexporten will die Bundesregierung an ihrer "restriktiven Grundlinie festhalten". Die Koalition arbeitet im Augenblick an einem Gesetz, das ursprünglich zum Ziel haben sollte, Waffenlieferungen in Länder außerhalb von EU und Nato strenger zu kontrollieren. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hielt bei der Vorstellung der Strategie aber auch fest: "Natürlich sind Rüstungsexporte angesichts der neuen Weltlage auch ein Teil des strategischen Instrumentenkastens."
Auf Kritik stößt die Ampel mit ihrem Papier insbesondere bei den Bundesländern. So hätten die Länder "in geeigneter Form über die fachlichen Arbeitskreise der Innenministerkonferenz" beteiligt werde müssen, sagte Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) für die unionsgeführten Innenministerien. Für Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) entfaltet die Strategie wegen der Nichtbeteiligung der Länder "im Inneren Deutschlands keine Wirkung und hat für die Innere Sicherheit keinen erkennbaren praktischen Nutzen." Auch die Opposition in der Hauptstadt mochte das Grundsatzdokument vergangene Woche nicht goutieren: Es sei "inhaltlich blutleer, strategisch irrelevant, operativ folgenlos und außenpolitisch unabgestimmt", so formulierte es Unionsfraktions- und CDU-Chef Friedrich Merz. Die Ampel-Koalitionäre zeigten sich mit dem Ergebnis zufrieden. Für die Koalition, wegen Heizungsplänen und Uneinigkeiten im Dauerfeuer der Kritik, war der Auftritt mit großem Kabinettsaufgebot willkommener Anlass, um ein Signal der Geschlossenheit zu setzen.
Kanzler Scholz jedenfalls zeigte sich vergangenen Mittwoch vor der Hauptstadtpresse sichtlich entspannt: "Wir wollen auch noch die nächste Legislaturperiode gemeinsam gestalten. Nur, damit da kein Missverständnis aufkommt."