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Foto: picture alliance/dpa/MAXPPP/Julien Mattia
Marine Le Pen darf fünf Jahre nicht mehr bei Wahlen antreten. Tritt Rassemblement National-Parteichef Jordan Bardella nun in ihre Fußstapfen?

Nach dem Urteil gegen Marine Le Pen : Die Hoffnung der Rechtspopulisten kämpft gegen das politische Aus

Marine Le Pen attackiert nach ihrer Verurteilung wegen Veruntreuung von EU-Geldern die zuständigen Richter - und schadet damit womöglich sich selbst.

08.04.2025
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4 Min

Was Marine Le Pen in der Fraktionssitzung ihres rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) sagt, wird normalerweise nicht live im Fernsehen übertragen. Vergangene Woche machte der RN eine Ausnahme, um die erste Rede der Fraktionschefin nach ihrem Ausschluss von den Präsidentschaftswahlen zu zeigen. „Das System hat die Atombombe gegen uns herausgeholt“, begann die 56-Jährige ihre gut 20-minütige Ansprache, auf die die Abgeordneten mit stehendem Applaus reagierten. 

Le Pen war am Tag zuvor von einem Pariser Strafgericht wegen Veruntreuung von EU-Geldern zur sofortigen Unwählbarkeit verurteilt worden. Fünf Jahre lang soll die Frontfrau der Rechtspopulisten von Wahlen ausgeschlossen werden. Ihre Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen 2027, für die sie die Umfragen anführt, wäre damit ausgeschlossen. Außerdem verhängten die Richterinnen und Richter vier Jahren Haft, zwei auf Bewährung und zwei mit einer Fußfessel, sowie eine Geldstrafe von 100.000 Euro.

Beweise gegen Marine Le Pen waren aus Sicht des Gerichts eindeutig

Le Pen bildete dem Richterspruch zufolge jahrelang das Zentrum eines Betrugssystems, das das Europaparlament mehr als vier Millionen Euro kostete. Die europäische Volksvertretung bezahlte EU-Assistentinnen und Assistenten des RN, die in Wirklichkeit für die Partei oder die Familie Le Pen arbeiteten.


„Wir werden uns das nicht gefallen lassen.“
Rechtspopulistin Marine Le Pen

Die Beweise gegen Le Pen und 23 Mitangeklagte waren eindeutig. Dennoch traf die dreifache Präsidentschaftskandidatin die Justizentscheidung offenbar aus heiterem Himmel: Sie stürmte aus dem Gerichtssaal, bevor überhaupt das Strafmaß verkündet wurde. Das Urteil, gegen das sie Berufung einlegte, würde für sie das politische Karriereende bedeuten. Doch Le Pen, die 2013 selbst eine lebenslange Unwählbarkeit für die Veruntreuung öffentlicher Gelder gefordert hatte, zeigte sich nach dem ersten Schock kämpferisch. „Wir werden uns das nicht gefallen lassen“, kündigte sie an.

Gleichzeitig attackierte die frühere Anwältin die Justiz, als deren Opfer sie sich sieht. „In Frankreich, dem Land der Menschenrechte, haben Richter Praktiken eingeführt, von denen man glaubte, sie seien autoritären Regimen vorbehalten“, sagte sie in ihrem ersten Fernsehinterview nach dem Urteil.

Frankreichs Präsident Macron bekräftigt die Unabhängigkeit der Justiz

Parteichef Jordan Bardella sprach von einer „Tyrannei der roten Richter“. Die Vorsitzende Richterin Bénédicte de Perthuis, die das Urteil gegen Le Pen verkündet hatte, erhielt in den sozialen Netzwerken Drohungen, so dass sie und ihre Familie unter Polizeischutz gestellt werden mussten. Die Angriffe waren so lautstark, dass Präsident Emmanuel Macron die Unabhängigkeit der Justiz bekräftigte. „Die Richter müssen geschützt werden“, wurde der Präsident nach einer Kabinettssitzung zitiert. Auch die Parteien des Linksbündnisses Neue Volksfront stellten sich hinter die Justiz.

Mit seinen Attacken wendet sich der RN von der Strategie der „Normalisierung“ ab, die Le Pen eingeleitet hatte. „Wenn es echte Schwierigkeiten gibt, platzt der Lack des RN ab“, sagte der konservative Ex-Minister Xavier Bertrand in einem Radiointerview. Zum Vorschein komme eine „extremistische Partei, die die Institutionen nicht respektieren will.“ Die Tochter von Parteigründer Jean-Marie Le Pen hatte antisemitische und rassistische Stimmen im RN bekämpft und sogar den eigenen Vater aus der Partei geworfen. Gleichzeitig setzte sie auf eine gemäßigte Wortwahl und verordnete ihren Abgeordneten Krawattenzwang, um in der Nationalversammlung einen seriösen Eindruck zu machen.

Nach Urteilsverkündigung verbucht der RN rund 20.000 neue Mitgliedschaften

„Marine Le Pen sitzt in ihrer eigenen Falle gefangen“, sagte der Politologe Luc Rouban der Zeitung „Le Monde“. „Wenn sie sich normalisiert hat, muss sie die Entscheidung des Gerichts akzeptieren.“ Ihre Radikalisierung helfe ihr nicht dabei, ihre Wählerbasis zu vergrößern. Laut einer am Sonntag veröffentlichten Umfrage könnte Le Pen in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen 2027 mit 32 bis 36 Prozent der Stimmen rechnen. Damit hätte sie sich gegenüber 2022 deutlich verbessert. Ein Sieg in der Stichwahl wäre ihr aber trotzdem nicht gewiss. Die Partei verkündete nach dem Urteil mehr als 20.000 neue Mitgliedschaften. Zu einer Solidaritätsdemonstration für Le Pen in Paris kamen am Sonntag allerdings nur rund 7000 Menschen.

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Unterstützung bekam die Oppositionschefin vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, der nach dem Urteil im Kurznachrichtendienst X auf Französisch schrieb: „Ich bin Marine!“. US-Präsident Donald Trump kritisierte eine „Hexenjagd“ und Kreml-Sprecher Dmitri Peskow empörte sich, dass immer mehr europäische Länder den „Weg der Verletzung demokratischer Normen“ einschlügen. In Frankreich billigen dagegen laut einer Umfrage 61 Prozent die Entscheidung. 52 Prozent halten den Ausschluss der Politikerin von Wahlen für gerechtfertigt, 43 Prozent sind dagegen. „Eine sehr deutliche Kluft spaltet die Franzosen in zwei Gruppen“, resümiert das Institut Cluster17.

Rassemblement National-Parteichef Bardella ist ähnlich beliebt wie Le Pen

In einer anderen Umfrage äußerten 61 Prozent die Erwartung, dass sich das Urteil nicht negativ auf den Rassemblement National auswirken werde. Mit Parteichef Bardella steht nämlich ein Bewerber bereit, der ebenso beliebt ist wie seine politische Ziehmutter und auch ähnliche Wahlergebnisse erreichen könnte. Le Pen will allerdings nicht über eine Präsidentschaftskandidatur des 29-Jährigen spekulieren. Bardella sei ein „wunderbarer Trumpf“ für ihre Partei. „Ich hoffe, dass wir diesen Trumpf nicht früher ausspielen müssen als nötig“, sagte sie im Fernsehen.

Ob Le Pen zu den Präsidentschaftswahlen antreten kann, soll ein Berufungsprozess im Sommer 2026 entscheiden. Die Frist für die Berufung ist damit deutlich kürzer, als in Frankreich sonst üblich. „Wir wussten, dass die Berufung kommen würde“, sagte die Generalstaatsanwältin des Berufungsgerichts, Marie-Suzanne Le Quéau, der Zeitung „Le Parisien“. Deshalb habe das Gericht einen möglichen Termin bereits im Voraus geplant. „Es war nicht denkbar, dass diese Angelegenheit während des Präsidentschaftswahlkampfs entschieden wird.“ 

Die Autorin ist Korrespondentin in Paris.

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