Neue EU-Kommission : Diese Kommissarsanwärter stehen auf der Kippe
Die 26 nominierten EU-Kommissare müssen sich vor dem EU-Parlament beweisen. In Ursula von der Leyens Team gibt es jedoch gleich mehrere Wackelkandidaten.
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Im EU-Parlament ist es in diesen Tagen ein beliebtes Tuschel-Thema: Wen von den 26 Kandidaten für die EU-Kommissarsposten lassen die Abgeordneten durchfallen, wie viele Bewerberinnen und Bewerber trifft es diesmal? Dass alle designierten Kommissare die Anhörungen vom 4. bis 12. November 2024 im EU-Parlament bestehen, ist nach aller Erfahrung unwahrscheinlich. Die Abgeordneten haben auch in den vergangenen vier Wahlperioden Bewerber wegen Interessenkonflikten oder fehlender Eignung abgelehnt, woraufhin in aller Eile Kandidaten nachnominiert werden mussten.
2019 traf es gleich drei Politiker: Die rumänische Sozialdemokratin Rovana Plumb stolperte über einen Korruptionsverdacht wegen dubioser Privatkredite von fast einer Million Euro, Ungarns Ex-Justizminister László Trócsányi über eine fragwürdige Anwaltstätigkeit parallel zum Ministeramt, der französischen Kandidatin Sylvie Goulard wurden laufende Ermittlungen wegen einer Scheinbeschäftigungsaffäre zum Verhängnis. Und diesmal?
Sorgte immer wieder für scharfe Kontroversen: Der Ungar Olivér Várhelyi
Als Wackelkandidat gilt vor allem der Ungar Olivér Várhelyi. Der bisherige EU-Kommissar für Nachbarschaft und Erweiterung soll nach dem Vorschlag der Kommissionspräsidentin künftig für Gesundheit und Tierwohl zuständig sein, was einer Degradierung gleichkommt, weil die EU für diese Themen nur sehr begrenzte Kompetenzen und der Kommissar mithin nur wenig zu sagen hat. Wahrscheinlich wird dem Parlament diese Herabstufung nicht genügen, denn Várhelyi hat in den vergangenen fünf Jahren mehrmals für scharfe Kontroversen gesorgt, das Misstrauen ist groß.
Ihm wird vorgeworfen, bei den Gesprächen mit EU-Beitrittskandidaten die Brüsseler Prinzipien gezielt verletzt zu haben – demnach unterminierte er Forderungen nach Reformen zur Sicherung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in den Bewerber-Staaten, weshalb das Parlament Anfang 2023 eine Untersuchung gegen Várhelyi forderte. Zudem hängt dem Vertrauten von Premier Viktor Orbán an, dass er bei einem Auftritt im EU-Parlament die Abgeordneten als „Idioten“ bezeichnete, in der irrtümlichen Annahme, die Mikrofone seien abgeschaltet. Várhelyi ist auch deshalb besonders gefährdet, weil der Ungar auf keinerlei parteipolitische Rückendeckung aus dem Mehrheitslager der proeuropäischen Fraktionen rechnen kann.
Mitverantwortung im Skandal um Pass-Handel? Die Bulgarin Ekatarina Sachariewa
Das ist bei weiteren Wackelkandidaten anders, sie gehören mit wenigen Ausnahmen den Christdemokraten, Sozialdemokraten oder Liberalen an. Eine Überlebensgarantie ist das aber nicht.
Die ehemalige bulgarische Justizministerin Ekatarina Sachariewa sieht sich mit Vorwürfen im Skandal um den illegalen Verkauf von tausenden Pässen konfrontiert.
Die Bulgarin Ekatarina Sachariewa, die als Kommissarin für Start-ups, Forschung und Innovation vorgesehen ist, gilt trotz ihrer Verankerung in der EVP als gefährdet: Sie wird von einer Whistleblowerin beschuldigt, als frühere Justizministerin eine Mitverantwortung im Skandal um den illegalen Verkauf von tausenden bulgarischen Pässen zu tragen, was sie bestreitet. In ihrer Interessenerklärung hatte sie angegeben, Eigentümerin einer Villa in Griechenland, eines Hauses in Sofia und weiterer Immobilien in Bulgarien zu sein.
Wegen einer Visa-Affäre in der Kritik: Die Belgierin Hadja Lahbib
Mindestens Erklärungsbedarf hat auch die belgische Außenministerin Hadja Lahbib, die das Ressort für Humanitäre Hilfe erhalten soll: Die Liberale steht in der Kritik, seit sie voriges Jahr einer iranischen Delegation um den radikalen Teheraner Bürgermeister Alireza Zakani Visa für Belgien ausstellen ließ, worüber sie um ein Haar als Ministerin gestürzt wäre. Ein Jahr zuvor nahm sie, damals noch als Journalistin, an einer von Russland finanzierten Reise auf die russisch besetzte Krim teil.
Ihre Nominierung kam für viele Beobachter überraschend, auch wenn Lahbib während der belgischen EU-Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2024 eine wichtige Rolle spielte.
Beraterin bei einer Lobbyfirma in Brüssel: Die Slowenin Marta Kos
Unter besonderer Beobachtung steht auch die Slowenin Marta Kos, die Erweiterungs-Kommissarin werden soll: 2021 musste sie ihren Posten als Botschafterin in der Schweiz wegen Missmanagement-Vorwürfen räumen. Die ehemalige Botschafterin sorgte mit der Angabe von Sparkonten in Höhe von rund einer Million Euro für Aufsehen und wurde gebeten, weitere Einzelheiten anzugeben.
Kos arbeitet aktuell als Beraterin bei der Lobbyfirma Kreab in Brüssel, einer Beratung für Großunternehmen, und hat laut eigenen Angaben rund 682.000 Euro bei einer slowenische Bank investiert, die sich mit Investitionen in den USA, Europa und Asien befasst.
Umstrittener Minister im Kabinett Meloni: Der Italiener Raffaele Fitto
Und dann ist da noch der Italiener Raffaele Fitto, der als Vizepräsident der Kommission mit der Verantwortung für Regionalförderung und Reformen vorgesehen ist. Fitto ist aktuell Minister im Kabinett von Regierungschefin Giorgia Meloni und gehört deren Rechtsaußen-Partei Fratelli d´Italia an – dass der Ultra-Rechte nun gleich einem Schlüsselposten in der Kommission entgegensieht, halten Abgeordnete von Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen und Linken teils für ein Ärgernis, teils für einen Skandal; Fitto darf sich mindestens auf ein scharfes Kreuzverhör gefasst machen, es gibt auch Forderungen nach seiner Ablehnung.
Regionalförderung und Reformen: Raffaele Fitto ist für einen Schlüsselposten in der neuen EU-Kommission vorgesehen.
Die Kritiker empört zusätzlich, dass die Christdemokraten gemeinsam mit Rechtsaußen-Kräften durchsetzten, Fitto am spannenden Schlusstag gleich morgens und noch vor der Sozialdemokratin Teresa Ribera zu befragen – dass könnte ihm angeblich helfen, die Prüfung zu bestehen, weil andernfalls Ribera oder andere Kandidaten mit Revancheakten rechnen müssten. Links von der EVP wird nun befürchtet, dass die Brandmauer zu Rechtsaußen bröckelt und die proeuropäische Mehrheit im Parlament gespalten wird.
Die Stimmung ist deshalb angespannt, das dürfte sich auf die Anhörungen auswirken. Beim „Grillen“ der Kandidaten könnte es diesmal noch ein bisschen hitziger werden als in früheren Jahren.
Der Autor ist EU-Korrespondent der Funke-Mediengruppe.
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