Anhörungen der neuen EU-Kommissare : Ein Schlüsselmoment für das EU-Parlament
Im EU-Parlament steht ein Anhörungsmarathon an: Die Abgeordneten müssen die 26 designierten Kommissare in einem aufwendigen Verfahren auf Herz und Nieren prüfen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen mit den designierten EU-Kommissaren in Brüssel.
Fünf Monate nach der Europawahl steht das Europäische Parlament vor einer der wichtigsten Aufgaben der Legislaturperiode: Die Abgeordneten müssen die 26 designierten EU-Kommissare in einem aufwendigen Verfahren auf Herz und Nieren überprüfen, bei Bedenken die Berufung neuer Kandidaten durchsetzen und am Ende die gesamte Kommission mit ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen (CDU) bestätigen.
Erst dann kann das Team an der Spitze der EU-Behörde seine fünfjährige Amtszeit beginnen. Höhepunkt der Prozedur sind ab dem 4. November die öffentlichen Anhörungen aller Kommissarsanwärter. Von einem „Schlüsselmoment“ seiner Arbeit spricht das Parlament, mit gewisser Nervosität sieht dagegen von der Leyen der Sache entgegen: Schon jetzt ist klar, dass die neue EU-Kommission mit Verspätung frühestens am 1. Dezember starten kann, vielleicht auch erst Anfang 2025 – denn das Parlament nimmt seine Befugnisse zur Sicherstellung von Transparenz und Rechenschaftspflicht seit einigen Jahren sehr ernst.
Mitgliedstaaten haben Kandidaten benannt
Dabei kommen die Abgeordneten erst relativ spät überhaupt wieder ins Spiel, nachdem sie im Juli die Kommissionspräsidentin für eine zweite Amtsperiode gewählt haben. In der Zwischenzeit mussten die Mitgliedstaaten, von denen jeder Anspruch auf jeweils einen Posten im Kollegium der Kommission hat, ihre Kandidaten benennen; nur Deutschland nicht, denn es stellt ja bereits die Präsidentin. Von der Leyen setzte danach noch einige Neunominierungen durch, um den auffallend niedrigen Frauenanteil zu erhöhen, und legte anschließend einen Vorschlag für die Aufgabenbereiche der 26 Kommissarinnen und Kommissare fest.
Die Bewerber mussten im nächsten Schritt eine finanzielle Interessenerklärung abgeben. Seitdem liegt der Ball wieder beim Parlament. Zunächst überprüfte der Rechtsausschuss die Interessenerklärungen, in denen die Kommissionsmitglieder in spe ihre Vermögenswerte deklarieren müssen und Angaben etwa zu Beschäftigungen der vergangenen zehn Jahre oder Unternehmensbeteiligungen zu machen hatten. So sollen mögliche Interessenkonflikte erkannt werden, damit nicht zum Beispiel ein künftiger Energiekommissar Anteilseigner eines Gaskonzerns ist.
Lobbycontrol nennt das Verfahren “mangelhaft”
Interessante Einblicke ermöglicht das Verfahren auch dieses Mal: Zum Beispiel ins stattliche Immobilienvermögen des griechischen Kommissarskandidaten Apostolos Tzitzikostas (Nea Dimokratia), der aus einer der größten Landbesitzer-Familien Griechenlands stammt. Der designierte Verkehrskommissar gab an, 16 Wohnungen, 655.463 Quadratmeter Land, verschiedene Unternehmensanteile und sechs Geschäfte, mehrere Lagerräume und Garagen zu besitzen. Kritiker beklagen, die Vorgaben seien zu lasch, denn die Kandidaten haben einen Ermessensspielraum, wie sie die Fragen beantworten – einige meldeten den exakten Kontostand und die präzise Quadratmeterzahl ihrer Wohnung, andere teilten anfangs so gut wie gar nichts mit. Die EU-Expertin der Organisation Lobbycontrol, Nina Katzemich, sagt: „Das Verfahren ist mangelhaft. Weder fand ein seriöses Prüfverfahren statt, noch gab es ein unabhängiges externes Beratungsgremium.“ So könne das EU-Parlament nicht für eine integre Kommission sorgen.
Tatsächlich kann der Rechtsausschuss keine größeren Nachforschungen anstellen. Er forderte zwar bei einigen Kandidaten noch weitere Informationen an, sah am Ende aber bei keinem Bewerber schwerwiegende Interessenkonflikte, die zum Ende des Verfahrens geführt hätten. Das Gremium gab grünes Licht, damit im nächsten Schritt die Anhörungen stattfinden können. Die sind an fünf Tagen zwischen dem 4. bis 12. November vorgesehen. Zur Vorbereitung mussten die Kandidaten bereits schriftliche Fragen der Ausschüsse beantworten, sie blieben dabei aber zumeist auffallend unverbindlich. Umso spannender werden die Anhörungen, wenn die Kandidaten auch unerwartete und bohrende Fragen beantworten müssen.
So laufen die Anhörungen im Parlament ab
Klar ist: Seit 2004 hat das Parlament noch jedes Mal einen oder mehrere Kandidaten durchfallen lassen – mal wegen vermuteter Interessenkonflikte, mal aus inhaltlichen Gründen. Das dürfte auch diesmal passieren. Jede Bestätigungsanhörung dauert drei Stunden.
Zunächst gibt das designierte Kommissionsmitglied eine 15-minütige einleitende Erklärung ab. Anschließend stellen die Abgeordneten ihre Fragen. Sie haben dafür eine Minute Zeit, der Kandidatin oder dem Kandidaten bleiben zwei Minuten für die Antwort. Die Anhörungen selbst sind öffentlich, die Bewertung unmittelbar danach findet dagegen hinter verschlossenen Türen statt – die Vorsitzenden und die Fraktionsvertreter der zuständigen Ausschüsse befinden gemeinsam darüber, ob ein Bewerber für die Aufgaben geeignet ist. Im Zweifel können die Abgeordneten den Kandidaten entweder noch einmal anhören oder schriftlich befragen – oder alle Ausschussmitglieder stimmen geheim über die Ernennung des Bewerbers ab. Innerhalb von 24 Stunden nach Abschluss der Bewertung übermitteln die Koordinatoren ein vertrauliches Empfehlungsschreiben, das an die Konferenz der Präsidenten – also der Parlamentspräsidentin und der Fraktionsvorsitzenden –weitergeleitet wird.
Zeitrahmen Ende November wackelt
Erhält ein Kandidat keine positive Bewertung, kann der nominierende Mitgliedstaat die Benennung zurückziehen und einen neuen Kandidaten ins Rennen schicken, der anschließend das komplette Nominierungsverfahren durchlaufen muss, was für mehrwöchige Verzögerungen sorgen kann. Erst dann ist die Anhörung beendet. Im großen Finale stellt die Kommissionspräsidentin im Parlament das gesamte Kollegium und das Programm der Kommission vor, nach einer Aussprache folgt die Schlussabstimmung: Die Zustimmung zur Kommission ist erteilt, wenn die Mehrheit in namentlicher Abstimmung abgegebenen Stimmen erreicht wird.
Geplant ist dieses Votum derzeit für die Plenartagung vom 25. bis zum 28. November, womöglich muss es aber auf Dezember verschoben werden. Das letzte Wort haben die Abgeordneten allerdings nicht. Die offizielle Ernennung der Kommission obliegt im Anschluss dem Europäischen Rat der Mitgliedstaaten – aber das ist, anders als der Parlamentsverfahren, nur noch Formsache.
Der Autor ist EU-Korrespondent, der Funke-Mediengruppe.
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