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Foto: European Union 2024 - Source: EP
Die maltesische Amtsinhaberin Roberta Metsola (EVP) dürfte aller Voraussicht nach Mitte Juli als Präsidentin im Amt bestätigt werden.

Konstituierung des Europaparlaments : Das EU-Parlament hat sich neu sortiert

Vier Wochen nach den Europawahlen haben sich die Fraktionen neu aufgestellt. Die erste Sitzung des Parlaments und die Wahl der Präsidentin steht am 16. Juli an.

05.07.2024
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4 Min

Vier Wochen nach der Europawahl hat sich das EU-Parlament für die neue Wahlperiode weitgehend sortiert. Nur am rechten Rand gab es zuletzt noch Organisationsprobleme, ansonsten war die Fraktionsbildung abgeschlossen - rechtzeitig für die Zuteilung von Ämtern in Ausschüssen und im Präsidium. Alles blickt nun auf die konstituierende Parlamentssitzung am 16. Juli, bei der zunächst Roberta Metsola (EVP) als Präsidentin im Amt bestätigen werden dürfte, bevor die Abgeordneten am 18. Juli auch über eine zweite Amtszeit von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen abstimmen. Für ihre Wiederwahl zeichnet sich erneut ein informelles Mitte-Bündnis ab, das von der Leyens Europäische Volkspartei (EVP) mit den Sozialdemokraten (S&D) und den Liberalen (Renew) bildet.

Um handlungs- und gesprächsfähig zu sein, haben die drei Fraktionen ihre Neuaufstellung zügig abgeschlossen. Als erste hatte sich die EVP-Fraktion konstituiert, die mit 188 Abgeordneten ihren Status als stärkste Fraktion noch ausgebaut hat. 14 Mandatsträger aus Parteien jenseits der EVP-Familie hatte Fraktionschef Manfred Weber (CSU) noch ins Boot geholt, darunter die sieben ungarischen Abgeordneten der neuen Tisza-Partei von Peter Magyar. Weber wurde mit sehr großer Mehrheit in seinem Amt bestätigt, das er seit zehn Jahren und damit ungewöhnlich lange ausübt.

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Die Sozialdemokraten, mit 136 Mandaten zweitstärkste Fraktion, bestätigte die spanische Abgeordnete Iratxe García als Vorsitzende. Deren Stellung ist allerdings geschwächt, nur ein Deal rettete ihr das Amt: Ein italienischer Abgeordneter soll Garcia nach zweieinhalb Jahren ablösen oder den Posten des Parlamentspräsidenten erhalten.

Unter Druck geraten war auch die Fraktionsvorsitzende der Liberalen, Valérie Hayer, deren französische Delegation massiv Sitze eingebüßt hatte. Am Ende zogen mögliche Konkurrenten zurück, Hayer wurde wiedergewählt. Ihre Fraktion zählt jetzt nur noch 75 Abgeordnete, in der vergangenen Wahlperiode waren es 102. So ist auch die Mehrheit des informellen Mitte-Bündnisses auf 399 der 720 Sitze geschrumpft.

Von der Leyen führt auch Gespräche mit den Grünen 

Die drei Fraktionen verhandeln nun über inhaltliche Eckpunkte, auf deren Grundlage sich von der Leyen zur Wahl stellen will. Weil das Mitte-Bündnis die notwendige absolute Mehrheit von 361 Stimmen zwar rechnerisch zusammenbringt, in der Praxis aber nicht garantieren kann, führt von der Leyen auch Gespräche mit den Grünen/EFA - und hofft wohl auch auf Stimmen von Abgeordneten der Rechtsausleger-Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR).

Die Grünen wählten die beiden Spitzenkandidaten zur Europawahl, Terry Reintke aus Deutschland und Bas Eickhout aus den Niederlanden, zu Vorsitzenden. Die Fraktion kämpft mit Bedeutungsverlust, statt wie bisher 71 stellt sie nur noch 54 Abgeordnete. Doch kann sie immerhin vom Erfolg der Partei Volt profitieren - deren fünf Mandatsträger widerstanden Abwerbeversuchen der Liberalen und bleiben den Grünen treu.

Im Aufwind sieht sich dagegen die rechtspopulistische EKR-Fraktion, die mit 83 Abgeordneten zur drittstärksten Kraft aufsteigt. Die größte Gruppe stellen hier die Fratteli d'Italia von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, doch pochte die polnische PiS-Delegation auf gleichberechtigte Teilhabe. Geführt wird die Fraktion nun vom Italiener Nicola Procaccini und dem Polen Joachim Brudziski. Der zwischenzeitlich erwogene Beitritt der elf Abgeordneten der ungarischen Fidesz-Partei zur EKR ist gescheitert. Der ungarische Premier Viktor Orban versucht nun die Gründung einer neuen rechtspopulistischen Fraktion "Patrioten für Europa" gemeinsam mit der tschechischen ANO-Partei des früheren Regierungschefs Andrej Babis und der österreichischen FPÖ von Herbert Kickl. Die Vorbereitungen zogen sich zunächst hin - zur Fraktionsgründung braucht es mindestens 23 Abgeordnete aus sieben Mitgliedstaaten.

Die Fraktion Identität und Demokratie stellt sich später auf

Für einen Erfolg ist die Truppe wohl auf Unterstützung von Parteien angewiesen, die bislang die rechtsextreme Fraktion Identität und Demokratie (ID) bilden. Dort zieht die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen mit den Abgeordneten der Rassemblement National die Fäden; die Entscheidung, wie sich die ID-Fraktion aufstellt, wurde auf Le Pens Betreiben vertagt und sollte erst nach den französischen Parlamentswahlen fallen. Im Vorfeld kursierten Spekulationen, das vor allem die rechtsextreme Lega von Italiens Vize-Premier Matteo Salvini von der ID zu Orbans neuer Gruppe wechseln könnte. Die AfD, die kurz vor der Wahl aus der ID-Fraktion geworfen worden war, schloss aus, dass sie Teil der Patrioten werden könne. Die AfD-Abgeordneten sondieren stattdessen - vorerst erfolglos - die Bildung einer weiteren Fraktion mit Rechtsextremisten diverser Kleinstparteien aus Osteuropa, Griechenland und Spanien.

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Einige Unruhe gab es auch auf der linken Seite des Parlaments. Dort versuchte das deutsche Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) mit seinen sechs Sitzen die Gründung einer neuen Fraktion. Rund 20 Abgeordnete aus sechs Ländern sollen Interesse bekundet haben, auch solche aus der bisherigen Linken-Fraktion. Aber am Ende reichte es nicht. So kann die bisherige Linke-Fraktion unbeschadet in die Wahlperiode starten: Sie wählte den deutschen Linken-Chef Martin Schirdewan und die Französin Manon Aubry erneut zu Vorsitzenden. Was Schirdewan anschließend zur Parlamentsarbeit ankündigte, ähnelte allerdings der Erklärung, die BSW-Spitzenkandidat Fabio De Masi abgab: Die gemeinsame Gegnerin, machten beide deutlich, heißt Ursula von der Leyen.

Der Autor ist Korrespondent der Funke Mediengruppe in Brüssel.