Konstituierung nimmt weiter Form an : Sozialdemokraten und Liberale im EU-Parlament wählen ihre Führung
Die Sozialdemokraten und die Liberalen bestätigen ihre Führung. Die Rechtsaußen-Parteien sortieren sich noch, die AfD ist weiter auf der Suche nach Anschluss.
Im neu gewählten EU-Parlament gehen die Vorbereitungen für die erste Parlamentssitzung Mitte Juli voran. Nach den Fraktionen der christdemokratischen EVP und der Grünen/EFA haben nun auch Sozialdemokraten (S&D) und Liberale (Renew) ihre konstituierenden Sitzungen absolviert und ihre Vorsitzenden gewählt.
Die Sozialdemokratin Iratxe García wurde im Amt als Fraktionschefin bestätigt.
Bei den Sozialdemokraten wurde die spanische Europaabgeordnete Iratxe García als Fraktionschefin wiedergewählt, nachdem sie mit einem Deal mögliche Konkurrenten abgewehrt hatte: Die italienische Delegation, die nach der Wahl erstmals stärker ist als die spanische, gab den Anspruch auf das Vorsitzenden-Amt auf – für die Zusage, dass ein Italiener in zweieinhalb Jahre entweder Garcia ablöst oder den Posten des Parlamentspräsidenten für die zweite Hälfte der Wahlperiode erhält.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen scheint die Führungsentscheidung mit Ungeduld erwartet zu haben: Kaum war Garcia gewählt, stattete von der Leyen ihr einen Besuch ab – sie muss jede Gelegenheit nutzen, um eine Mehrheit für ihre Wahl im EU-Parlament zu organisieren.
Hayer verspricht "radikal-europäisches Programm"
Auch bei der Spitze der Liberalen-Fraktion schaute von der Leyen vorbei: Die Fraktion hatte sich unmittelbar zuvor konstituiert und ihre bisherige Vorsitzende Valérie Hayer im Amt bestätigt. Im Vorfeld war spekuliert worden, Hayer könne abgewählt werden, weil ihre französische Delegation bei den Europawahlen massiv Sitze eingebüßt hatte.
Die Französin Valérie Hayer setzte sich in der Liberalen-Fraktion gegen ihren Konkurrenten aus Portugal durch.
Doch ihr portugiesischer Herausforderer João Cotrim de Figueiredo verzichtete kurz vor der Abstimmung auf eine Kandidatur, nachdem mehrere nationale Delegationen ihre Unterstützungszusagen zurückgezogen hatten. Hayer macht sich bei von der Leyen nun für ein „ehrgeiziges und radikal pro-europäisches Programm“ für die neue Legislaturperiode stark, doch ist die Verhandlungsmacht der Liberalen geschwächt: Ein Schlag ins Kontor war der Abschied der sieben Abgeordneten des tschechischen Populisten Andrej Babis aus der Renew-Fraktion. Die zählt jetzt nur noch 75 Abgeordnete, in der vergangenen Wahlperiode waren es 102. Die Verhandlungen mit den fünf Abgeordneten der Volt-Partei scheiterten, sie bleiben nun doch lieber Teil der Grünen-Fraktion.
Durch den Misserfolg von Renew schrumpft auch die Mehrheit des informellen Bündnisses von Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen, die jetzt zusammen noch auf 398 der 720 Sitze im Parlament kommen. Die Liberalen müssen zudem im Parlament Platz drei an die Rechtsaußen-Fraktion EKR (Europäische Konservative und Reformer) abtreten, wo die Fratteli d´Italia von Ministerpräsident Giorgia Meloni das Sagen hat. Bislang jedenfalls. Interne Spannungen mit den Abgeordneten der polnischen PiS-Partei sorgen dafür, dass die konstituierende Sitzung der Fraktion auf den 3. Juli verschoben werden musste.
EKR arbeiten ohne Fidesz-Partei
Die EKR zählt weiter 83 Abgeordnete. Der zwischenzeitlich erwogene Beitritt der elf Abgeordneten der ungarischen Fidesz-Partei hat sich endgültig erledigt. Als Ungarns Premier Viktor Orban jetzt bei Meloni in Rom zu Besuch war, hätte er gern den Wechsel besiegelt, stattdessen musste er die finale Absage formulieren. Offizielle Begründung: Die EKR habe zuvor die nationalistische AUR-Partei aus Rumänien aufgenommen. „Wir können nicht Teil einer politischen Familie sein, zu der auch eine rumänische Partei gehört, die anti-ungarisch ist", sagt Orbán. „Dies ist eine Position, die wirklich klar war". Die rumänischen AUR-Parlamentarier versichern indes, sie hätten rein gar nichts gegen eine Aufnahme der Orban-Leute; sehr wohl aber hat es heftigen Widerstand aus anderen Ecken der EKR-Fraktion gegen Orbans Beitritts-Gedanken gegeben, vor allem von skandinavischen Rechts-Auslegern. Grund: Orbans vergleichsweise russlandfreundlicher Kurs passe nicht zu dem Putin-kritischen und proukrainischen Kurs der EKR.
Dennoch wird es Bemühungen geben, bei ausgewählten Themen einen Schulterschluss rechter Kräfte über die Fraktionsgrenzen hinweg herzustellen, kündigte Orban in Rom an. Meloni steht dem jetzt wieder offener gegenüber, nachdem sie zu ihrer großen Enttäuschung beim Personalpoker über die EU-Spitzenjobs nicht mitmachen durfte – die Besetzung der Spitzenposten - die Präsidenten von Kommission und Rat sowie die EU-Außenbeauftragte - machten Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberale unter sich aus.
Bildung einer neuen Rechtsaußen-Fraktion vorerst gescheitert
Von der Fusion der Rechtsaußen-Gruppen im Parlament ist erstmal nicht mehr die Rede – auch wenn sich die rechtsextreme Fraktion Identität und Demokratie (ID) noch nicht ganz sortiert hat und erst für den 3. Juli die konstituierende Sitzung plant. Stärker denn je wird die Fraktion von den französischen Abgeordneten der Partei Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen dominiert. Eine Wiederaufnahme der AfD, die auf Le Pens Initiative kurz vor der Europawahl ausgeschlossen worden war, ist weiter nicht in Sicht - vor Abschluss der am Wochenende beginnenden Parlamentswahl in Frankreich, bei der sich Le Pen einen Triumph erhofft, gilt sie auch als ausgeschlossen.
Die AfD hat die Hoffnung auf eine Versöhnung wohl aufgegeben: Der Bundesvorstand bereitet den Austritt der AfD aus der europäischen ID-Parteifamilie vor. Die AfD gehört diesem ID-Dachverband erst seit ein paar Monaten an, nachdem ein Parteitag im Sommer 2023 grünes Licht für den Beitritt gegeben hatte – nun soll schon wieder Schluss sein, weil die AfD-Spitze einem Rauswurf auch aus der Partei zuvorkommen möchte.
AfD weiter auf Partnersuche
In Brüssel sondieren die AfD-Abgeordneten die Bildung einer neuen, dritten Rechts-Fraktion, sie führen Gespräche mit Rechtsextremisten diverser Kleinstparteien aus Osteuropa, Griechenland und Spanien. Einen Namen für die Gruppe gibt es schon: Die Souveränisten. Die ersten entsprechenden Kontakte hatte der AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah geknüpft, der inzwischen aus der AfD-Gruppe ausgeschlossen wurde.
Nach der Euopawahl
Das neue EU-Parlament trifft sich am 16. Juli zu seiner ersten Sitzung. Die Fraktionen stellen sich unterdessen neu auf und klären Führungsfragen.
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Muss Ursula von der Leyens "Green Deal" der EU nach der Europawahl neu verhandelt werden? Markus Fasse und Anja Wehler-Schöck im Pro und Contra.
Ob es zur Bildung der Fraktion kommt, was mindestens 23 Abgeordnete aus sieben EU-Staaten erfordert, ist offen. Ursprüngliche Hoffnungen, noch im Juni die Gründung beschließen zu können, haben sich zerschlagen. Es ist unklar, ob sich für die neue Fraktion genügend Delegationen finden und ob sie untereinander kompatibel sind. Unter den deutschen AfD-Abgeordneten gibt es Befürchtungen, man könne in die Nähe von ultrarechten Extremisten geraten, die den Holocaust relativierten. Die Gespräche sollen aber weitergehen.