Das Bundestagspräsidium : Akkord zum Auftakt
Die konstituierende Sitzung des 20. Bundestags setzt den Ton für die neue Wahlperiode. Erste Abstimmungen zeigen, welche Kräfte dominieren - und mögliche Konflikte.
Ein wenig ist es mit konstituierenden Sitzungen wie mit einem Musikstück, bei dem bereits die ersten Töne ein Thema setzen. Wenn am Dienstag kommender Woche der 20. Bundestag zu seiner Auftaktsitzung zusammentritt, stehen schließlich schon die ersten Abstimmungen auf der Tagesordnung. Es geht um die Beschlussfassung über die Geschäftsordnung, die Wahl des Präsidenten und seiner Stellvertreter, und das Publikum wird gespannt verfolgen, welche Kräfteverhältnisse wie zum Tragen kommen, wo Trennlinien gezogen und Gemeinsamkeiten verdeutlicht werden, welcher Klang vorgegeben wird für die neue Wahlperiode.
Das Präsidium des Bundestages bei einer Sitzung im Mai 2018. Die AfD-Fraktion schlug bisher sechs ihrer Abgeordneten für einen Vize-Posten vor; die erforderliche Mehrheit fand im Plenum keiner von ihnen.
Vor vier Jahren setzte das Parlament bei seiner Konstituierung einen kräftigen Akkord, der die gesamte Wahlperiode hindurch nachhallte, als es bei der Wahl der sechs Vizepräsidenten den Kandidaten der AfD-Fraktion, Albrecht Glaser, in drei Wahlgängen durchfallen ließ. Schon zuvor war Glasers Nominierung in den anderen Fraktionen wegen Äußerungen des damals 75-Jährigen zum Islam auf Ablehnung gestoßen.
Dass die AfD-Fraktion einen Sitz im Bundestagspräsidium beanspruchen kann, wurde dabei nicht in Frage gestellt. Schließlich ist in der derzeit geltenden Geschäftsordnung festgelegt, dass in dem Führungsgremium jede Fraktion durch mindestens einen Vizepräsidenten vertreten ist. Damit war und ist aber keineswegs auch für jeden vorgeschlagenen Kandidaten automatisch die notwendige Mehrheit gesichert, die in den ersten beiden Wahlgängen bei der absoluten Mehrheit der Bundestagsabgeordneten liegt und im dritten Wahlgang bei der Mehrheit der abgegebenen Stimmen.
AfD scheitert bei Vizepräsidenten-Wahl und zieht vors Verfassungsgericht
Das bekamen im Laufe der 19. Wahlperiode auch eine ganze Reihe von Glasers Fraktionskollegen zu spüren: Insgesamt sechs ihrer Abgeordneten schlug die AfD-Fraktion in den zurückliegenden Jahren für den Vize-Posten vor; die erforderliche Mehrheit fand im Plenum keiner von ihnen.
Damit war die Fraktion als einzige nicht im Präsidium vertreten und sah sich in ihren parlamentarischen Rechten verletzt. Daher schlug sie den Klageweg nach Karlsruhe ein und reichte zudem beim Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag ein, den Bundestag zu verpflichten, "vorläufig verfahrensmäßige Vorkehrungen für das Wahlverfahren" zu treffen. Das Verfassungsgericht lehnte den Eilantrag jedoch in diesem Sommer als unzulässig ab, "weil er auf Rechtsfolgen gerichtet ist, die im Organstreitverfahren grundsätzlich nicht erreicht werden können". In der Hauptsache könne die Fraktion allenfalls die Feststellung einer Verletzung ihrer Rechte erreichen, nicht aber die Verpflichtung des Bundestages zu verfahrensmäßigen Vorkehrungen für künftige Wahlen eines AfD-Kandidaten für das Vizepräsidentenamt, argumentierten die Richter (2 BvE 9/20).
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Zurückgewiesen wurde von ihnen auch ein Eilantrag das AfD-Abgeordneten Fabian Jacobi zur Frage, ob ein Parlamentarier jedenfalls ab dem zweiten Wahlgang einen eigenen Kandidaten für den Vizeposten vorschlagen und darüber abstimmen lassen kann (2 BvE 2/20). Jacobi hatte zum zweiten Wahlgang eines AfD-Kandidaten im November 2019 einen eigenen Vorschlag angekündigt, doch wurde sein entsprechender Antrag in der Sitzung als unzulässig zurückgewiesen, weil einem einzelnen Abgeordneten kein Vorschlagsrecht für die Wahl eines Vizepräsidenten zustehe. In diesem Organstreitverfahren kommt es in Karlsruhe am 10. November zur mündlichen Verhandlung.
Konflikte um Vizepräsidenten und Fraktionsansprüche
Der Konflikt erinnert an das Jahr 2005, als der damalige PDS-Chef Lothar Bisky bei der Wahl der Vizepräsidenten viermal durchfiel; erst im Frühjahr 2006 wurde statt Bisky seine Fraktionskollegin Petra Pau ins Präsidium gewählt. Streit gab es auch immer wieder um die Zahl der Vizepräsidenten - mal ging es um den Anspruch der großen Fraktionen auf zwei Präsidiumsplätze, mal um den Wunsch kleinerer Fraktionen, bei der Besetzung des Gremiums berücksichtigt zu werden. Erst seit 1994 nämlich steht jeder Fraktion ein Grundmandat im Präsidium zu.
Damals waren die Grünen wieder in Fraktionsstärke in das Parlament eingezogen und forderten als drittstärkste Kraft einen Platz im Präsidium. Allerdings war keine Mehrheit für eine Vergrößerung zu erwarten, während die FDP als kleinste Fraktion nicht aus dem Gremium ausscheiden wollte und die SPD darauf beharrte, wie bisher zwei Vizepräsidenten zu stellen. Schließlich stimmte die Union dem Antrag der Grünen zu, jeder Fraktion ein Grundmandat im Präsidium einzuräumen.
Beschluss der Erweiterung des Präsidiums um einen weiteren Vizepräsidentenposten
Abgelehnt wurde dagegen der anschließende Antrag der SPD, das Präsidium auf sechs Mitglieder zu erweitern, ebenso wie ein Antrag der damaligen PDS-Gruppe, gleichfalls einen Vertreter in das Präsidium entsenden zu können. Von einer "ungewöhnlichen Allianz" der Grünen mit Union und FDP war damals etwa in der "Süddeutschen Zeitung" zu lesen zu einer Zeit, in der über etwaige "Jamaika"-Bündnisse noch nicht einmal spekuliert wurde.
2005 beschloss der Bundestag dann zu Beginn der damaligen großen Koalition eine Erweiterung des Präsidiums um einen weiteren Vizepräsidentenposten: Danach besetzten FDP, Grüne und PDS je einen Vizepräsidentenstuhl, während Union und SPD im Präsidium mit je zwei Mitgliedern vertreten waren. Von 2009 bis 2013 dagegen stellte jede Fraktion wieder einen Vize, wie es die Geschäftsordnung auch für die zurückliegende Wahlperiode vorsah. In der Wahlperiode von 2013 bis 2017 mit nur vier Fraktionen kamen dagegen je zwei Vize aus der CDU/CSU und der SPD sowie je einer von den Linken und den Grünen.
Auch die Grünen mussten um Mitsprache kämpfen
Bis 1994 war die Zahl der Stellvertreter in der Geschäftsordnung übrigens gar nicht festgelegt. Von der ersten bis neunten Wahlperiode beruhte sie auf interfraktionellen Vereinbarungen, bis nach dem Einzug der Grünen in den Bundestag 1983 erstmals über die Zahl der Vizepräsidenten abgestimmt wurde. Ihr damaliger Antrag, die Stellvertreterzahl zu erhöhen, wurde ebenso abgelehnt wie ihr ähnlicher Vorstoß vier Jahre danach. Beide Male blieb so das Präsidium den Grünen von vornherein versperrt. Ob die AfD schon nach einer Wahlperiode den Sprung in das Gremium schafft, wird der übernächste Dienstag zeigen. Auch bei der 20. Konstituierung eines Bundestages ist Spannung garantiert.