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Foto: picture-alliance/dpa/Jörg Carstensen
Im Bundesrat sind 16 Landesregierungen mit derzeit insgesamt zehn verschiedenen Koalitionskonstellationen vertreten.

Bundesrat : Der Länder Macht

Auf die Stimmenverteilung in der Länderkammer muss jede Bundesregierung achten. "Durchregieren" könnte weder die Ampel noch Jamaika.

04.10.2021
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Juni 2021: Gegen den geschlossenen Widerstand der Opposition beschließt der Bundestag mit den Stimmen der Koalitionsmehrheit von CDU/CSU und SPD neue Befugnisse für die Bundespolizei, darunter die Nutzung der Quellen-Telekommunikationsüberwachung bei Telefonaten via Messenger etwa zur Schleuser-Bekämpfung. Bei FDP, Linken und Grünen, die an verschiedenen Landesregierungen beteiligt sind, stößt das auf heftige Kritik. Als der Bundesrat zwei Wochen später über den Bundestagsbeschluss abstimmt, gibt es für die erforderliche Zustimmung zu dem Gesetz keine Mehrheit; es landet in der Tonne.

Ein zweites Beispiel: 2016 beschloss der Bundestag gegen die Stimmen der oppositionellen Linken und Grünen, Algerien, Marokko und Tunesien als asylrechtlich sichere Herkunftsländer einzustufen. Im Bundesrat wurde die Beratung darüber erst vertagt, 2017 dann die erforderliche Zustimmung verweigert. In einem zweiten Anlauf setzte die große Koalition 2019 im Bundestag ein ähnliches Gesetz durch, wieder strich der Bundesrat die Abstimmung darüber von seiner Tagesordnung. Die drei Maghreb-Länder sind bis heute nicht als sichere Herkunftsstaaten eingestuft.

Foto: Bundesrat

Der Bundesrat in Berlin: Laut Artikel 50 des Grundgesetzes "wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit".

Beide Vorgänge zeigen: Einfach "durchregieren", wie es sich Angela Merkel einst wünschte, ist nicht - jedenfalls nicht gegen die Mehrheit im Bundesrat. Dort sitzen die 16 Landesregierungen, und jede an ihnen beteiligte Partei kann das jeweilige Land bei Abstimmungen im Bundesrat zur Enthaltung zwingen. Das ist vor allem bei den sogenannten Zustimmungsgesetzen von Bedeutung, die - der Name sagt es - der Zustimmung der Länderkammer bedürfen. Das war in der zurückliegenden Wahlperiode bei mehr als jeder dritten Vorlage (38 Prozent) der Fall.

Die Kräfteverhältnisse im Bundesrat sind für die Bundesregierung alles andere als unwichtig

Egal, welche Koalition auch immer in den kommenden Jahren auf Bundesebene regieren wird: In jedem Fall empfiehlt sich bei der Regierungsbildung auch ein Blick auf die Machtverteilung in der Länderkammer. Durch den Bundesrat nämlich "wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit", wie Artikel 50 des Grundgesetzes festschreibt. Für die künftige Bundesregierung und die sie tragende Koalitionsmehrheit im Bundestag sind deshalb die Kräfteverhältnisse in der Länderkammer alles andere als unwichtig - schließlich muss jeder Gesetzesbeschluss des Bundestages auch den Bundesrat passieren.

Dabei wird zwischen zwei Arten von Bundesgesetzen unterschieden, den schon erwähnten Zustimmungsgesetzen und den "Einspruchsgesetzen". Gegen letztere kann die Länderkammer zwar Einspruch einlegen, den aber der Bundestag wiederum zurückweisen kann. Dazu ist indes die absolute Mehrheit der Bundestagsabgeordneten erforderlich, also eine Stimme mehr als die Hälfte seiner künftig 735 Mitglieder. Erhebt der Bundesrat gar mit Zweidrittelmehrheit gegen ein Bundesgesetz Einspruch, "bedarf die Zurückweisung durch den Bundestag einer Mehrheit von zwei Dritteln, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages" (Grundgesetz-Artikel 77, Absatz 4).

In der neuen Wahlperiode des Bundestages liegt diese Zweidrittelmehrheit bei 490 Stimmen, wovon sowohl eine Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP mit 416 Abgeordneten als auch ein schwarz-grün-gelbes "Jamaika"-Bündnis mit 406 Parlamentariern weit entfernt wäre. Die absolute Mehrheit von 368 Stimmen dagegen ist mit beiden Konstellationen zu erreichen. Auch ein Einspruchsgesetz kann also an der Länderkammer scheitern; zumindest aber lässt sich dort sein Inkrafttreten verzögern. Zustimmungsgesetze dagegen benötigen die ausdrückliche Zustimmung der Länderkammer, um zustande zu kommen; ohne diese Zustimmung sind sie gescheitert, selbst wenn sie vom Bundestag einstimmig beschlossen worden wären.

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Zu diesen Zustimmungsgesetzen zählen neben Verfassungsänderungen, für die im Bundestag wie im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist, unter anderem Vorlagen, die in bestimmter Weise Auswirkungen auf die Finanzen der Länder haben. Das sind beispielsweise alle Gesetze über Steuern, an deren Aufkommen die Länder oder Kommunen beteiligt sind, wie etwa die Lohn- und Einkommensteuer oder die Mehrwertsteuer. Alleine in der jetzt zurückliegenden 19. Legislaturperiode waren von den 547 Gesetzesbeschlüssen des Bundestages 205 nebst drei Grundgesetzänderungen im Bundesrat zustimmungsbedürftig.

Opposition nutzte die Länderkammer als Blockadeinstrument

Je nach seiner Zusammensetzung kann der Bundesrat daher auch einer Koalition das Leben schwer machen, die im Bundestag über eine klare Mehrheit verfügt. Stellt die Bundestagsopposition die Mehrheit im Bundesrat, droht der Bundesregierung eine Blockadepolitik in der Länderkammer, wie sie in der Vergangenheit schon mehrfach zu beobachten war. Dabei standen sich etwa in der Endphase der Regierungsjahre von Kanzler Helmut Kohl (CDU) mit einer Bundestagsmehrheit von Union und FPD sowie einem rot-grün dominierten Bundesrat vor dem Machtwechsel von 1998 ebenso zwei Lager gegenüber wie umgekehrt mit der darauf folgenden rot-grünen Koalition im Bund und einer schwarz-gelb beherrschten Länderkammer.

Wie sehr diese Lager mittlerweile in Bewegung gekommen sind, zeigen nicht nur die derzeitigen Koalitionsmöglichkeiten auf Bundesebene, sondern auch ein Blick auf die vielfarbigen Regierungskonstellationen, die derzeit im Bundesrat vertreten sind. Dort verfügt jedes Land je nach Bevölkerungsgröße über drei bis sechs Stimmen.

Für einen Beschluss braucht es die absolute Mehrheit

Für jeden Beschluss der Länderkammer ist mindestens die absolute Mehrheit erforderlich, ganz egal, ob es darum geht, einem Gesetzesbeschluss des Bundestages zuzustimmen, den Vermittlungsausschuss anzurufen oder Einspruch einzulegen. Insgesamt verfügen die 16 Bundesländer im Bundesrat über 69 Stimmen; die absolute Mehrheit liegt bei 35 und die Zweidrittelmehrheit bei 46 Stimmen. Bedeutsam ist dabei, dass sich bei Abstimmungen Länder mit Regierungskoalitionen, in denen ein Gesetzesvorhaben umstritten ist, in der Regel enthalten und damit faktisch mit Nein stimmen. Das ist meist bei Landeskoalitionen zwischen zwei oder mehr Parteien der Fall, von denen mindestens eine im Bund in der Regierung ist und die andere(n) dort in der Opposition. Dass Enthaltungen im Bundesrat de facto auf ein Nein hinauslaufen, erschwert es dort den Gegnern bestimmter Gesetzesvorlagen, in der Länderkammer dazu den Vermittlungsausschuss anzurufen oder Einspruch einzulegen; andererseits können so bei Zustimmungsgesetzen auch kleine Koalitionspartner einer Landesregierung gegebenenfalls eine Mehrheit im Bundesrat für eine Vorlage verhindern und sie damit zu Fall bringen.

Neben der Frage, welche Partei in wie vielen - und wie großen - Ländern (mit)regiert, ist für die Machtarithmetik entscheidend, ob die jeweiligen Koalitionsparteien komplett denen im Bund entsprechen oder aber vollständig im Bundestag auf der Oppositionsbank sitzen beziehungsweise ein Koalitionspartner auch im Bund regiert und der andere dort opponiert. Unterscheiden lässt sich demnach zwischen einem "Regierungs-" und einem "Oppositionsblock" sowie einem "neutralen" Lager, auch wenn für die einzelnen Landesregierungen nicht nur in der Theorie die spezifischen Landesinteressen Vorrang haben vor parteipolitischen Erwägungen.

Lässt man die jüngsten Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern und die dort jetzt anstehenden Regierungsbildungen einmal außen vor und betrachtet nur die derzeitige Zusammensetzung des Bundesrates, findet sich eine "Ampel"-Koalition nur in Rheinland-Pfalz und ein "Jamaika"-Bündnis nur in Schleswig-Holstein; beide Länder verfügen im Bundesrat über jeweils vier Stimmen. Eine Ampel könnte sich zudem auf das rot-grün regierte Hamburg (drei Stimmen) stützen und Jamaika auf das schwarz-gelb geführte Nordrhein-Westfalen (sechs Stimmen).

Das Enthaltungspotenzial ist gewachsen

Dagegen stünde einem rot-grün-gelben Regierungsbündnis im Bund aus seiner Sicht als einziges nur von Oppositionsparteien regiertes Bundesland Bayern mit seiner Koalition von CSU und Freien Wählern (sechs Stimmen) gegenüber. In 13 weiteren Ländern sind indes auch die CDU oder Die Linke Koalitionspartner und können dort eine Enthaltung durchsetzen. Für Die Linke gilt das in drei Ländern einschließlich Berlins mit insgesamt elf Stimmen, für die CDU dagegen inklusive Mecklenburg-Vorpommerns in zehn Ländern mit zusammen 45 Stimmen, womit sie jedes Zustimmungsgesetz blockieren könnte. Einschließlich der sechs Bayern-Stimmen könnte die Union im Bundesrat sogar 51 Stimmen gegen ein solches Gesetz mobilisieren.

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Umgekehrt müsste eine auf Union, Grüne und FDP gestützte Bundesregierung mit Gegenwind nicht nur aus den drei Ländern mit Linken (und Sozialdemokraten) in der Regierung rechnen, sondern auch aus acht weiteren Ländern mit einer SPD-Regierungsbeteiligung und zusammen 31 zusätzlichen Bundesratsstimmen. Bei einem Enthaltungspotenzial von insgesamt also 42 Stimmen gegen eine Vorlage wäre die Hürde für Zustimmungsgesetze also gleichfalls schwer zu überwinden.

An diesen Blockademöglichkeiten würde sich zumindest im Kern wenig ändern, wenn die SPD in Schwerin künftig etwa mit der Linken statt der CDU oder in Berlin mit CDU und FDP statt mit Grünen und Linken koalieren würde. Selbst wenn in beiden Ländern und im Bund eine Ampel installiert würde, könnte eine rot-grün-gelbe Bundesregierung sich lediglich der dann drei farbgleichen Landesregierungen mit zusammen elf Stimmen plus drei rot-grünen aus Hamburg einigermaßen sicher sein.

Eine Blockadepolitik muss der Republik gleichwohl unter der Ampel wie bei Jamaika nicht drohen. Auch die bisherige GroKo spiegelte sich im Bundesrat zuletzt nur in den drei rot-schwarzen beziehungsweise schwarz-roten Landesregierungen von Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und dem Saarland, die nur auf zusammen zwölf Bundesratsstimmen kommen. Regiert wurde trotzdem, und fast alle Zustimmungsgesetze passierten die Länderkammer anstandslos.

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