Editorial : Ein Versprechen wird 75 Jahre
Das Grundgesetz garantiert seit 1949 unserer Freiheit, hat immer Wort gehalten. Trotzdem fehlt oft Respekt vor unserer Demokratie und der Wille, für sie einzustehen.
Was zeichnet das Grundgesetz aus? Vielleicht ein Versprechen, das diese Verfassung am 23. Mai 1949 jedem in Deutschland gegeben hat. Das Versprechen, ab sofort in Freiheit und Sicherheit leben zu können. Fair und gerecht behandelt zu werden. Sich in einer stabilen und geordneten Gesellschaft entfalten zu dürfen, in der niemand über dem Gesetz steht. Und in demokratischen Wahlen regelmäßig selbst über die richtige Politik zu entscheiden.
Es ist wie in einer Beziehung
75 Jahre hält das Grundgesetz dieses Versprechen nun schon. Kaum eine Beziehung hält so lange - und die Verbindung zwischen einer Verfassung und den Menschen im Land hat durchaus Züge einer Beziehung. Es ist eine langfristige Verbindung, die Stabilität und Kontinuität bieten und über einen langen Zeitraum hinweg gedeihen soll. Dafür braucht es an allererster Stelle gegenseitigen Respekt.
Das Grundgesetz hat an diesem Punkt immer mehr Grund, misstrauisch zu werden. Als "Verfassung einer Demokratur", ein Oxymoron aus Demokratie und Diktatur, wird es zunehmend ungehemmter diskreditiert. Der Begriff geht zurück auf den später enttarnten Nationalsozialisten Fritz Rößler, der unter falschem Namen in den 1. Deutschen Bundestag gewählt wurde und eben dort die junge Bundesrepublik 1949 als "Demokratur" schmähte.
Tätliche Attacken auf politisch Engagierte häufen sich
Das ist natürlich Unfug, doch er ist gefährlich. Übergriffe wie seinerzeit unter dem Hakenkreuz nehmen zu. Auf offener Bühne werden NS-Parolen gegrölt, ein AfD-Spitzenkandidat wurde dafür in dieser Woche verurteilt. Tätliche Attacken auf politisch engagierte Menschen mit anderen Auffassungen häufen sich. Und das Oberverwaltungsgericht Münster urteilte ebenfalls in dieser Woche über die im Bundestag vertretene AfD, dass Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Partei "Bestrebungen verfolgt, die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet" seien. Auch Medien werden zu Feindbildern, das geht bis zu Plakaten mit Journalisten in Sträflingskleidung und tätlichen Angriffen, zuletzt laut einer Analyse zur Pressefreiheit vor allem bei pro-palästinensischen Versammlungen.
Auch wer selbst 75 Jahre treu war, hat es in einer Beziehung nicht alleine in der Hand, was aus der Partnerschaft wird. Sie wird scheitern, wenn Respekt und der Wille verloren gehen, für sie einzustehen. Das Grundgesetz würde das nie selbst von den Menschen verlangen. Auch das zeichnet es aus.