Nach Übergriffen im Wahlkampf : Bundestag verurteilt Gewalt gegen Ehrenamtliche und Politiker
Die Gewalt gegen Politiker und Ehrenamtliche wird fraktionsübergreifend verurteilt. Die AfD sieht sich im Bundestag Vorwürfen ausgesetzt - und verliert vor Gericht.
Am 23. Mai steht ein gewichtiger Geburtstag an: 75 Jahre ist es dann her, dass aus den Trümmern des "Dritten Reichs" und des nationalsozialistischen Vernichtungswahns zumindest im Westen mit der Verkündung des Grundgesetzes wieder ein demokratisch verfasster Staat entstand. Seit knapp 34 Jahren gilt die Verfassung im wiedervereinigten Deutschland. Das Jubiläum wird bundesweit gefeiert. In Berlin steht ein Staatsakt an, in der Hauptstadt und in Bonn sind große Bürgerfeste geplant. Doch die politische Großwetterlage trübt dieser Tage die Feierstimmung.
Da ist zu einem die Gewalt, die den Europawahlkampf überschattet. Nach dem brutalen Angriff auf den SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Berichte über Angriffe auf Politiker und Wahlkämpfer aller Parteien die Runde machen. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas fand am Mittwoch zu Beginn der Sitzungswoche im Plenum eindringliche Worte zur Verteidigung der Republik: "Unsere freiheitliche Demokratie verliert, wenn Engagement unfreiwillig zur Mutprobe wird", sagte die Sozialdemokratin angesichts der Angriffe auf Wahlkämpfer, Kommunalpolitiker und Rettungskräfte. Für Gewalt gebe es keine Rechtfertigung. "Wir werden den Demokratiefeinden unser Land nicht überlassen", betonte Bas.
Verfassungsschutz darf die AfD bundesweit als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen
Und es geht um die AfD und die Frage, wie wehrhaft diese Demokratie ist. Das Oberverwaltungsgericht Münster bestätigte am Montag, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD bundesweit als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen und mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten darf. Die Partei hatte zuvor Berufung gegen eine erstinstanzliches Urteil eingelegt. In zahlreichen Ländern sehen die Verfassungsschützer die Partei bereits als Verdachtsfall. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gelten die AfD-Landesverbände den Behörden schon länger sogar als gesichert rechtsextrem. Dort steht die Partei in Umfragen indes blendend da.
Ob der Verfassungsschutz seinen Verdacht bundesweit erhärten kann, ist noch ungewiss. Die Diskussion über ein mögliches Verbotsverfahren nahm nach dem Urteil allerdings wieder Fahrt auf. Die sächsische Justizministerin Katja Meier (Bündnis 90/Die Grünen) forderte eine "Task Force" der Innenministerkonferenz, um Material für ein solches Verfahren zu sammeln. Der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz warb dafür, im Bundestag ebenfalls einen Verbotsantrag einzubringen. In großen Teilen der Bundespolitik äußert man sich dazu aber eher zurückhaltend bis skeptisch.
Im Bundestag überwog am Donnerstag die Sorge über die möglichen Folgen der Gewalt. Die Abgeordneten befassten sich im Rahmen einer von den Koalitionsfraktionen beantragten Aktuellen Stunde unter dem Titel "Bedrohung unserer Demokratie - Gewalt gegen Ehrenamt, Politik und Einsatzkräfte" mit den jüngsten Vorfällen. SPD-Chef Lars Klingbeil erinnerte in der Debatte daran, dass die AfD einst angekündigt habe: "Wir werden sie jagen." Heute müsse man feststellen: "Es wird gejagt." Strafrechtsverschärfungen könnten geprüft, vor allem müsse Strafrecht aber angewendet werden, forderte der Abgeordnete. "Wer die Demokratie angreift, muss sofort bestraft werden." Am Schutz der Ehrenamtlichen müsse die Politik konsequent arbeiten. Ähnlich äußerte sich für die Grünen Katrin Göring-Eckardt. Kein Mensch dürfe Angst haben, sich zu engagieren, politisch zu sein und seine Meinung zu sagen, forderte die Bundestagsvizepräsidentin.
Alexander Throm (CDU) betonte das eigentlich Selbstverständliche: "In der Demokratie streiten wir mit Worten und nicht mit Fäusten." Doch auch aus Worten könnten Taten werden, Hass und Hetze dürften nie geduldet werden, sagte Throm und erinnerte an die Ermordung des Politikers Walter Lübcke durch einen Rechtsextremisten im Jahr 2019. Von der Bundesregierung forderte Throm ein stärkeres Engagement gegen die Gewalt im Land.
AfD häufiger von Übergriffen betroffen als andere Parteien
Der Vorsitzende der AfD-Fraktion, Tino Chrupalla, verurteilte - wie auch alle anderen Redner - die Angriffe auf Mitglieder und Sympathisanten aller Parteien. Er verwies darauf, dass Mitglieder seiner Partei am häufigsten von gewalttätigen Übergriffen betroffen seien. Er kritisierte, dass gegen seine Partei die "Extremismuskarte" gezogen und der AfD die Schuld gegeben werde. Für die aufgeheizte Stimmung im Land trügen alle Verantwortung, vor allem auch die Medien. Zudem habe die Corona-Politik zum Vertrauensverlust und zur Spaltung der Gesellschaft beigetragen.
In den letzten fünf Jahren wurden mehr als 10.500 Angriffe auf Mitglieder der im Bundestag vertretenen Parteien registriert, darunter gut 1.150 Gewaltdelikte.
Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas fordert schnellere Verfahren gegen Gewalttäter und eine Verschärfung des Ordnungsrechts im Bundestag.
Ist eine Verschärfung des Strafrechts hilfreich, um Gewalttaten gegen Politiker einzudämmen? Gastkommentatoren Markus Decker und Daniel Goffart im Pro und Contra.
Manuel Höferlin (FDP) mahnte, die Demokratie sei auf dem Weg in die Krise. Als Grund führte der Liberale an, dass etwa Streit und Kompromiss nicht mehr wertgeschätzt würden. Auch die Diskussionskultur im Bundestag habe gelitten. Höferlin machte wie andere Redner auch die AfD dafür verantwortlich. "Wir müssen der Enthemmung der Sprache entgegentreten", sagte der Abgeordnete.
Daran arbeiten Koalition, Opposition und Präsidium auf institutioneller Ebene bereits. Bundestagspräsidentin Bas sprach davon, die Geschäftsordnung "resilienter" machen zu wollen. Das Ordnungsrecht in der Geschäftsordnung soll geschärft werden, um Regelbrüche härter sanktionieren zu können.
Union fordert resilientes Parlament
Die Union sieht noch mehr Handlungsbedarf. In einem am Donnerstag debattieren und danach überwiesenen Antrag fordert die Fraktion punktuelle Gesetzesänderungen, um die "parlamentarische Demokratie zu bewahren". Günter Krings (CDU) sagte im Lichte aktueller Debatten, es sei richtig, sich mit einer stärkeren rechtlichen Absicherung des Bundesverfassungsgerichtes zu befassen. Darauf dürfe man sich aber nicht beschränken. "Demokratiefeinde zielen erfahrungsgemäß zunächst einmal auf die Parlamente. Deshalb sollte es auch um deren Resilienz gehen."