Piwik Webtracking Image

Gewalt gegen Politiker : Sechs Übergriffe pro Tag

In den letzten fünf Jahren wurden mehr als 10.500 Angriffe auf Mitglieder der im Bundestag vertretenen Parteien registriert, darunter gut 1.150 Gewaltdelikte.

17.05.2024
True 2024-05-17T16:14:24.7200Z
5 Min

In den Abendstunden des 3. Mai wird der SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke beim Plakatieren für die Europawahl in Dresden von vier jungen Männern angegriffen und schwer im Gesicht verletzt. Kurz zuvor attackiert die Gruppe bereits einen Wahlkampfhelfer der Grünen. Vier Tage danach wird in Dresden eine Kommunalpolitikerin der Grünen bedroht und bespuckt. Am selben Tag schlägt ein Mann in einer Berliner Bibliothek Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) von hinten einen gefüllten Beutel auf Kopf und Nacken.

Foto: picture alliance/dpa | Jan Woitas

Der EU-Parlamentarier Matthias Ecke (SPD) spricht am vergangenen Montag auf einer Wahlkampfveranstaltung bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach dem Angriff auf ihn. Er war am 3. Mai in Dresden niedergeschlagen worden, erlitt dabei Knochenbrüche im Gesicht und musste operiert werden.

Sie sind die jüngsten Beispiele einer langen Liste von Politikrepräsentanten und Parteimitgliedern, die in den zurückliegenden Jahren Opfer von Angriffen wurden. 2017 etwa wurde Andreas Hollstein, damals CDU-Bürgermeister im sauerländischen Altena, mit einem Messer am Hals verletzt. Zwei Jahre zuvor überlebte Kölns heutige Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) einen Tag vor ihrer erstmaligen Wahl zum Stadtoberhaupt einen Messerangriff schwer verletzt. Kassels Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) fiel 2019 dem Mordanschlag eines Rechtsextremisten zum Opfer.

Seit 2019 werden in der Statistik Angriffsziele erfasst

Anfang 2019 wurde im "Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität" (KPMD-PMK), über den die Landeskriminalämter politisch motivierte Straftaten an das Bundeskriminalamt (BKA) melden, ein Katalog für Angriffsziele eingeführt. Seitdem werden dort von den Landeskriminalämtern auch das Oberangriffsziel "Partei" beziehungsweise als Unterangriffsziele "Parteigebäude/Parteieinrichtung", "Parteirepräsentant/Parteimitglied", "Wahlplakate", die einzelnen im Bundestag vertretenen Parteien sowie "sonstige Partei" erfasst. Da dabei Mehrfachnennungen möglich sind, kann die Summe der genannten Angriffsziele die Zahl der gemeldeten Straftaten übersteigen. Auf Basis dieser Fallzahlen beantwortet die Bundesregierung seit Jahren AfD-Anfragen zu Angriffen auf Politiker und Parteibüros, so auch im Januar dieses Jahres.

Auf die Frage nach der Zahl der Angriffe auf Repräsentanten der im Bundestag vertretenen Parteien heißt es darin, dass mit dem Angriffsziel "Parteirepräsentant/Parteimitglied" für die Zeit von Anfang 2019 bis Ende 2023 insgesamt 10.537 Straftaten gemeldet worden seien. Das wären im Durchschnitt fast sechs solcher Taten pro Tag.

Unterscheidung wird zwischen Gewaltdelikten und Äußerungsdelikten

Dabei handelt es sich freilich nur bei einem Teil um körperliche Attacken; unterschieden wird etwa zwischen Gewaltdelikten wie Körperverletzungen oder Tötungsdelikten einerseits und "Äußerungsdelikten" wie Bedrohungen oder Beleidigungen andererseits.

Vertreter der im Bundestag vertretenen Parteien waren der Antwort zufolge im Jahr 2019 von 1.420 solcher Angriffe betroffen, im Jahr 2020 von 1.887, im Jahr 2021 von 2.840 und im Jahr 2022 von 1.806. Im vergangenen Jahr waren es vorläufigen Zahlen zufolge 2.790 Angriffe. Am häufigsten richteten sich die Angriffe in diesen fünf Jahren gegen Vertreter der AfD mit insgesamt 3.006 Fällen und gegen Grünen-Vertreter mit 2.829 Fällen. Vertreter der SPD waren in 1.840 Fällen betroffen und Vertreter der CDU in 1.565 Fällen. Repräsentanten beziehungsweise Mitglieder der Linken traf es in 576 Fällen, FDP-Vertreter in 568 Fällen und Vertreter der CSU in 359 Fällen.

Dabei waren von den im Bundestag vertretenen Parteien in den Jahren 2019 bis 2021 am häufigsten Vertreter der AfD betroffen, die in dieser Zeit am meisten Angriffe im Jahr 2020 mit 782 hinnehmen musste, gefolgt von den Grünen mit damals 296 Angriffen. 2022 und 2023 richteten sich die meisten Angriffe demgegenüber gegen Grünen-Vertreter, die nach vorläufigen Zahlen im vergangenen Jahr 1.219 solcher Angriffe ausgesetzt waren, während die AfD mit 478 am zweithäufigsten betroffen war.

2.601 Delikte waren politisch links motiviert, 2.187 politisch rechts 

Überwiegend wurden die Taten der politisch links beziehungsweise der politisch rechts motivierten Kriminalität zugeordnet oder unter "sonstige Zuordnung" registriert, während die PMK-Phänomenbereiche "ausländische Ideologie" und "religiöse Ideologie" hier eine untergeordnete Rolle spielten. Unter dem Anfang 2023 etablierten PMK-Phänomenbereich "Sonstige Zuordnung", der auch die bis einschließlich 2022 als "nicht zuzuordnen" kategorisierten Straftaten umfasst, wurden in den genannten fünf Jahren 5.877 Delikte registriert. Von den restlichen Taten entfielen die meisten den Angaben zufolge auf die politisch links motivierte Kriminalität mit insgesamt 2.601 sowie auf die politisch rechts motivierte Kriminalität mit 2.187.

1.158 Gewaltdelikte in fünf Jahren 

Die Zahl der Gewaltdelikte gegen Vertreter der im Bundestag vertretenen Parteien beläuft sich in den Jahren von Anfang 2019 bis Ende 2023 auf insgesamt 1.158. Von 206 Gewaltdelikten im Jahr 2019 stieg ihre Zahl über 247 im Folgejahr auf 288 im Jahr 2021 und ging im Jahr darauf auf 183 zurück. Nach den vorläufigen Zahlen für 2023 kam es vergangenes Jahr zu 234 solcher Gewaltdelikte.

Auch hier waren Vertreter der AfD in den zurückliegenden fünf Jahren den Regierungsangaben zufolge mit insgesamt 469 Attacken am häufigsten betroffen. Das sind gut 40 Prozent aller in diesem Zeitraum gegen Mitglieder oder Repräsentanten der Bundestagsparteien gerichteten Gewaltdelikte. Gegen Vertreter der Grünen richteten sich insgesamt 209 Gewaltdelikte, gegen Sozialdemokraten 171 und gegen Christdemokraten 140. Mitglieder oder Repräsentanten der Linken wurden zwischen 2019 und 2023 in insgesamt 121 Fällen Opfer von Gewaltdelikten, Freidemokraten in 30 Fällen und CSU-Vertreter in 18 Fällen.

528 der insgesamt 1.158 gegen Vertreter der Bundestagsparteien gerichteten Gewaltdelikte sind in der Vorlage unter "sonstige Zuordnung" aufgelistet, zu der Taten gehören, die keinem anderen Phänomenbereich der politisch motivierten Kriminalität zuzuordnen waren. Der politisch links motivierten Kriminalität wurden in diesen fünf Jahren 417 dieser Delikte zugeordnet, wobei sich diese Taten zum allergrößten Teil gegen AfD-Vertreter richteten. Als politisch rechts motiviert wurden den Angaben zufolge 200 der Gewalttaten verzeichnet, von denen fünf gegen Repräsentanten oder Mitglieder der AfD gerichtet waren und die restlichen gegen Vertreter der übrigen Bundestagsparteien.

2.419 Angriffe gegen Parteieinrichtungen 

Wie aus der Antwort der Bundesregierung ferner hervorgeht, wurden zudem 2.419 Angriffe auf Parteigebäude oder -einrichtungen gemeldet. Davon war in 742 Fällen die AfD betroffen, in 526 Fällen die Grünen und in 446 Fällen die SPD. Gegen Einrichtungen oder Gebäude der Linken richteten sich 282 Angriffe und gegen solche der CDU 266, gegen Parteigebäude oder -einrichtungen der FDP 89 und gegen solche der CSU 34.

Bei dem überwiegenden Teil dieser Angriffe handelte es sich um Sachbeschädigungen. Von Brandstiftungsdelikten waren AfD und Grüne in jeweils zwei Fällen betroffen sowie die SPD und Die Linke in je einem Fall. Zudem richteten sich sechs Sprengstoffdelikte gegen AfD-Gebäude oder -Einrichtungen und je ein Sprengstoffdelikt gegen eine Einrichtung beziehungsweise ein Gebäude der CDU, der Grünen und der Linken.

Mehr zum Thema

Schild mit "Kein Platz für Hass" auf einer Demo in Berlin
Nach Übergriffen im Wahlkampf: Bundestag verurteilt Gewalt gegen Ehrenamtliche und Politiker
Die Gewalt gegen Politiker und Ehrenamtliche wird fraktionsübergreifend verurteilt. Die AfD sieht sich im Bundestag Vorwürfen ausgesetzt - und verliert vor Gericht.
Renate Künast im Portrait
Parlamentarisches Profil: Die Beharrliche: Renate Künast
Sie war schon vieles, inzwischen ist Renate Künast auch Expertin für Hassrede und Cybermobbing. Bei der Justiz musste sie dafür erst Überzeugungsarbeit leisten.
Ein Abbild eines hochgehaltenen und eines herunterzeigenden Daumens
Gastkommentare: Pro und Contra: Soll das Strafrecht verschärft werden?
Ist eine Verschärfung des Strafrechts hilfreich, um Gewalttaten gegen Politiker einzudämmen? Gastkommentatoren Markus Decker und Daniel Goffart im Pro und Contra.