
Fraktionen stellen sich auf : Mit bewährtem Personal in die neue Legislatur
Die fünf Fraktionen des 21. Deutschen Bundestages haben ihr Führungspersonal gewählt. Die meisten setzen auf bekannte Gesichter und Kontinuität an der Spitze.
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Die einen sondieren, die anderen sortieren: Schon kurz nach der Bundestagswahl haben sich die Fraktionen für die kommende Legislaturperiode neu aufgestellt und ihre Fraktionschefs und -chefinnen sowie Parlamentarischen Geschäftsführer bestimmt. Dabei setzen sie überwiegend auf Kontinuität, wirklich neue Gesichter sind nicht dabei. Insgesamt werden im 21. Deutschen Bundestag ohne die FDP nur noch fünf Parteien in Fraktionsstärke sowie ein fraktionsloser Abgeordneter vom Südschleswigschen Wählerverband (SSW) vertreten sein.
Unionsfraktion wählt Kanzlerkandidaten Merz wieder an die Spitze
Die größte Fraktion stellt künftig die bisherige Oppositionsführerin CDU/CSU mit 208 Mitgliedern. In ihrer ersten Sitzung einen Tag nach der Wahl beschlossen die Abgeordneten zunächst, die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU fortzusetzen. Mit 98 Prozent der Stimmen wählten sie Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) erneut zu ihrem Vorsitzenden. Als Bundeskanzler wird er dieses Amt wohl wieder abgeben, weil es in Deutschland aufgrund des Prinzips der Gewaltenteilung unüblich ist, dass der Chef der Regierung gleichzeitig eine zentrale Rolle in der Legislative einnimmt. Sein Abgeordnetenmandat kann Merz aber behalten.

Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bleibt zunächst an der Spitze der CDU/CSU-Fraktion.
Mit 99 Prozent der Stimmen bestätigten die Unionsabgeordneten zudem ihren Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer Thorsten Frei in seiner Funktion. Kommissarisch bleiben zwölf weitere Vorstandsmitglieder im Amt, etwa der Chef der CSU-Landesgruppe Alexander Dobrindt als Erster Stellvertretender Vorsitzender.
AfD bestätigt ihre Doppelspitze aus Weidel und Chrupalla
Die AfD hat bei der Wahl das beste Ergebnis seit ihrem Bestehen erzielt und wird mit 152 Abgeordneten (bisher 77) künftig die zweitgrößte Fraktion im 21. Deutschen Bundestag stellen. Angesichts dieses Erfolgs setzt die Fraktion weiter auf ihre Doppelspitze aus Kanzlerkandidatin Alice Weidel und Tino Chrupalla. Beide wurden von den Mitgliedern mit mehr als 95 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Alexander Gauland bleibt Ehrenvorsitzender, Bernd Baumann Erster Parlamentarischer Geschäftsführer.

Alice Weidel (li.) ist seit September 2017 Co-Vorsitzende der AfD-Fraktion, seit September 2021 hat sie dabei Tino Chrupalla (re.) an ihrer Seite.
Mit der wachsenden Zahl der Abgeordneten soll aber die Zahl der stellvertretenden Vorsitzenden und Parlamentarischen Geschäftsführer jeweils von vier auf fünf steigen. Außerdem fordert die um fast das Doppelte angewachsene Fraktion einen größeren Fraktionssaal für sich – zum Ärger der Sozialdemokraten ausgerechnet den seit mehr als einem Vierteljahrhundert von der SPD-Fraktion genutzten Saal im Südwesten des Reichstagsgebäudes, von ihr benannt nach dem früheren Parteichef Otto-Wels. Wels hatte am 23. März 1933 in einer historischen Rede das Nein der Sozialdemokraten zum Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten mit den Worten begründete: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Die SPD-Fraktion möchte den Saal behalten. Einen Automatismus, wonach der Saal der zweitgrößten Fraktion im Bundestag zusteht, gibt es auch nicht. Es ist Aufgabe der Fraktionen, sich über die Verteilung der Fraktionssäle zu einigen.
SPD-Chef Lars Klingbeil führt nach Wahlschlappe auch die Fraktion

Lars Klingbeil ist seit September 2021 einer der Parteivorsitzenden der SPD und führt künftig auch die Bundestagsfraktion.
Die SPD-Fraktion ist nach der Wahl erheblich geschrumpft, von 206 auf 120 Mitglieder. Sie wählte drei Tage nach der Schlappe Parteichef Lars Klingbeil zu ihrem Vorsitzenden. Dass ihn der Partei- und Fraktionsvorstand trotz der historischen Wahlniederlage für den Posten des Fraktionschefs nominierte, gefiel offenbar nicht jedem Genossen: Klingbeil erhielt nur 85,6 Prozent der Stimmen und damit deutlich weniger als sein Vorgänger Rolf Mützenich bei seinen drei Wahlen zum Fraktionsvorsitzenden seit 2019. Mützenich hatte nicht mehr für den Vorsitz kandidiert, bleibt aber Teil der Fraktion.
Bündnis 90/Die Grünen bleiben bei ihrer Doppelspitze

Britta Haßelmann (li.) war lange Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, bevor sie zusammen mit Katharina Dröge (re) im Dezember 2021 die Fraktionsführung übernahm.
Auf personelle Kontinuität bei ihren Doppelspitzen setzen die beiden kleinsten Fraktionen in der 21. Wahlperiode. Bündnis 90/Die Grünen, nun Oppositionsfraktion mit 85 Mitgliedern (2021: 118), bestätigte seine Führungsduo aus Katharina Dröge und Britta Haßelmann, Irene Mihalic bleibt Erste Parlamentarische Geschäftsführerin. Noch-Außenministerin Annalena Baerbock, die als neue Co-Fraktionsvorsitzende gehandelt worden war, erklärte, aus persönlichen Gründen keinen Anspruch auf das Amt zu erheben. Im Bundestag wird sie als einfache Abgeordnete aber bleiben, genauso wie Parteikollege und Kanzlerkandidat Robert Habeck.
Linksfraktion hat im 21. Deutschen Bundestag wieder Fraktionsstatus
Die Linke legte das Überraschungs-Comeback der Bundestagswahl hin und wird im neuen, 21. Bundestag mit 64 Abgeordneten wieder Fraktionsstatus haben. Im 20. Bundestag wurde die Linksfraktion im Dezember 2023 aufgelöst, nachdem sich Teile abgespalten und dem neuen Bündnis Sahra Wagenknecht angeschlossen hatten.

Heidi Reichinnek (l.) und Sören Pellmann waren seit Februar 2024 Vorsitzende der Gruppe Die Linke. Die neue Linken-Fraktion werden sie kommissarisch führen, bis ein neuer Vorstand gewählt wird.
Nach der Bundestagswahl stimmten die Linken-Abgeordneten einstimmig dafür, die Rechtsnachfolge der Gruppe Die Linke anzutreten. Ebenfalls einstimmig beschlossen sie, den bisher amtierenden Vorstand der Gruppe und damit auch die Vorsitzenden Heidi Reichinnek und Sören Pellmann zunächst kommissarisch im Amt lassen. Christian Görke bleibt Parlamentarischer Geschäftsführer. Zukünftig sollen aber auch die beiden Parteivorsitzenden Ines Schwerdtner und Jan van Aken ein Stimmrecht im Fraktionsvorstand haben.
Warum sind Fraktionen wichtig?
Fraktionen spielen eine zentrale Rolle im Deutschen Bundestag, obwohl sie im Grundgesetz gar nicht erwähnt werden. Dort ist in Artikel 21 allein die Rede vom Auftrag der Parteien, bei der politischen Willensbildung mitzuwirken. Doch der Zusammenschluss in einer Fraktion ermöglicht es den Abgeordneten, ihre Interessen zu bündeln, die Arbeit aufzuteilen und sich zu spezialisieren.
Laut Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages kann sich eine Fraktion erst bilden, wenn sie mindestens fünf Prozent der Bundestagsmitglieder in sich vereint. Außerdem müssen die Abgeordneten derselben Partei angehören beziehungsweise Parteien, „die aufgrund gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Land miteinander in Wettbewerb stehen". Letzteres erlaubt es CDU und CSU, als Fraktionsgemeinschaft aufzutreten.

Oberhalb des Plenarsaals - im vierten Stock des Reichstagsgebäudes - tagen die Fraktionen. Wer dort welchen Saal erhält, obliegt der Absprache untereinander.
Fraktionen sind bestimmte Rechte vorbehalten: Nur sie dürfen Gesetzentwürfe, Anträge und Entschließungsanträge im Parlament einbringen, Große und Kleine Anfragen an die Bundesregierung richten und eine namentliche Abstimmung oder Aktuelle Stunden beantragen. Aus dem Haushalt des Bundestages erhalten sie Zuschüsse für ihre Arbeit, wodurch sie vor allem Mitarbeiter beschäftigen können.
Was machen Fraktionsvorsitzende und Parlamentarische Geschäftsführer?
Die Fraktionsvorsitzenden koordinieren die parlamentarische Arbeit ihrer Fraktion, sorgen für ihren Zusammenhalt nach innen und vertreten ihre Positionen nach außen. An der Spitze einer Oppositionsfraktion sind sie wichtige Gegenspieler der Regierung, als Kopf einer Regierungsfraktion organisieren sie die Mehrheiten für die Regierungspläne des Kanzlers oder der Kanzlerin.
Die Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen sind für den reibungslosen Ablauf im Bundestagsbetrieb zuständig. Als deren oberste Manager sind sie verantwortlich für finanzielle, juristische und Personalangelegenheiten und die Präsenz "ihrer" Abgeordneten im Plenum. Zusammen mit den Fraktionsvorsitzenden leisten sie intern Überzeugungsarbeit bei strittigen Abstimmungen und vertreten die Interessen der eigenen Fraktion gegenüber anderen. Nicht zuletzt sorgen sie dafür, dass die Themen ihrer Fraktion parlamentarisch gesetzt werden.
In den Fraktionssitzungen, die in der Regel immer dienstags, einen Tag vor Beginn der Plenarsitzungen, stattfinden, besprechen die Abgeordneten die Tagesordnung und entscheiden über das Abstimmungsverhalten und die Redner, die in einer Debatte das Wort ergreifen sollen. Auch wenn die Abgeordneten formell keiner Fraktionsdisziplin unterliegen und sie laut Verfassung nur ihrem Gewissen unterworfen sind, wird von ihnen erwartet, dass sie sich hinter den Mehrheitsbeschluss ihrer Fraktion stellen. Gerade für die Regierungsfraktionen ist es wichtig, dass ihre Gesetzesvorhaben nicht von den eigenen Leuten blockiert werden.
Welche Rechte haben Gruppen und fraktionslose Abgeordnete?
Einzelkämpfer, wie der Vertreter des SSW, Stefan Seidler, haben es im Parlamentsalltag entsprechend schwer. In den Ausschüssen dürfen sie nicht abstimmen und auch ihr Rederecht im Plenum ist begrenzt. Dennoch gibt es fraktionslose Abgeordnete in nahezu jeder Legislaturperiode, etwa wenn Abgeordnete ihre Fraktionsmitgliedschaft kündigen oder von der Fraktion ausgeschlossen werden.
Mit Zustimmung des Bundestagsplenums dürfen sich Abgeordnete gleicher politischer Überzeugung, die keine Fraktionsstärke erreichen, zu einer Gruppe zusammenschließen. Wie viele Mittel und Rechte sie bekommen, wird zwischen den Fraktionen und der jeweiligen Gruppe verhandelt und im Plenum entschieden. In der Regel haben sie ähnliche Rechte und Ressourcen wie eine Fraktion, allerdings in abgestuftem Maß. Sie können Mitglieder in den Ältestenrat und die Ausschüsse entsenden, haben Initiativrechte vergleichbar denen der Fraktionen, dürfen entsprechend ihrer Größe in Debatten reden und erhalten Mittel für Mitarbeiter und die Büroinfrastruktur. Gruppen können jedoch keine namentlichen Abstimmungen verlangen oder beantragen und ein Regierungsmitglied herbeirufen.
Was passiert jetzt noch in den Fraktionen?
Die Fraktionen werden sich in den kommenden Wochen weiter organisieren. Oft schließen sich Abgeordnete aus demselben Bundesland in Landesgruppen zusammen, um die Belange ihrer Heimatregion besser in Berlin vertreten zu können. Sie bilden Arbeitskreise und Arbeitsgruppen für die verschiedenen Themen und benennen Fraktionssprecher für die verschiedenen Politikfelder.

Eine Woche nach der Wahl zum 21. Bundestag beginnen Union und SPD mit Sondierungsgesprächen. Im Parlament haben sich die Fraktionen neu sortiert.

Der Bundestag soll noch in der laufenden Wahlperiode in Sondersitzungen über das geplante Finanzpaket von Union und SPD beraten. AfD und Linke klagen dagegen.

Männlich, Ende 40 und im Rechtswesen tätig – statistisch ist das der durchschnittliche Parlamentarier der neuen Wahlperiode. Weitere Fakten zu den Abgeordneten.