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Gastkommentare : Braucht es Ausnahmen für Kliniken auf dem Land? Ein Pro und Contra

Braucht es bei der Krankenhausreform Ausnahmen für Kliniken im ländlichen Raum? Timot Szent-Iványi ist dafür, Kerstin Münstermann findet, das ist der falsche Weg.

27.06.2024
True 2024-06-28T14:30:25.7200Z
3 Min

Pro

Bedingung für Ausnahmeregelungen ist, dass sie nicht zum Dauerzustand werden

Foto: Privat
Timot Szent-Iványi
schreibt für das Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Foto: Privat

Die zentrale Herausforderung der Krankenhausreform ist die Frage, wie der Spagat zwischen dem Abbau der Überversorgung in den Ballungsgebieten und dem Erhalt einer wohnortnahen Versorgung in ländlichen Regionen erreicht werden kann. Das ist - anders als zum Beispiel von den Krankenkassen dargestellt - nicht allein ein gesundheitspolitisches Problem. Vielmehr handelt es sich um ein wichtiges gesamtgesellschaftliches Thema. Schließlich wird zum Beispiel das Erstarken der AfD mit dem Gefühl des "Abgehängtseins" bestimmter Wählerschichten erklärt.

Damit es nicht zu einer Schließung von Kliniken kommt, die eigentlich für die Versorgung der Bevölkerung notwendig sind, muss es zumindest in einer Übergangszeit Ausnahmen von den geplanten strengen Qualitätsvorgaben geben. Genau das ist aber im Gesetzentwurf auch verankert. So sind beispielsweise Abweichungen zulässig, wenn in einer Region Krankenhäuser für die Bevölkerung nicht in einer gesetzlich festgelegten Zeit zu erreichen sind. Generell besteht die Möglichkeit, Kliniken in neuartige Gesundheitszentren umzuwandeln, bei denen zwar die Pflege im Vordergrund steht, aber auch kleinere Eingriffe möglich sind.

Sollten die Bundesländer glaubhaft darlegen können, dass weitere Änderungen nötig sind, sollte die Koalition darauf eingehen. Der auf Bundesebene und von den Krankenkassen erhobene Vorwurf, die Länder seien allesamt an einer Reform in Wirklichkeit nicht interessiert und würden diese nur hintertreiben wollen, ist nicht haltbar. Bedingung ist aber, dass die Ausnahmeregelungen nicht zum Dauerzustand werden. Die Zeit der "Gelegenheitschirurgie", die erwiesenermaßen den Patienten schadet, muss vorbei sein.

Contra

Im Zweifel lieber eine weiter entfernte Spezialstation als eine überfüllte Notaufnahme in der Nähe

Foto: Andreas Krebs (kan)
Kerstin Münstermann
schreibt für die "Rheinische Post" in Düsseldorf.
Foto: Andreas Krebs (kan)

Das Gesetz zur Krankenhausversorgung ist sicher eines der zwischen Bund und Ländern umstrittensten Gesetze der letzten Jahre. Rührt es doch an einer gewissen Urangst: "Wer kümmert sich um mich?" Diskutiert werden unter anderem Ausnahmen für Kliniken auf dem Land. Aber sollte eine Reform, die die Krankenhauslandschaft deutschlandweit umgestalten soll, wirklich von vornherein erneut Ausnahmen mitplanen?

Deutschland hat mit rund 1.700 Krankenhäusern die höchste Krankhaus- und Bettendichte in Europa. In der Folge führen manche Häuser auch solche Operationen durch, für die ihnen die Erfahrung fehlt, oder die am Ende unnötig sind. Manche Patienten wären in der Hausarztpraxis ohnehin besser aufgehoben; andererseits bleiben Betten ungenutzt, was zu vermeidbaren Kosten führt. Die Reform sieht eine wohnortnahe Versorgung bei Notfällen vor. Hier hat sich der Bund einen schlanken Fuß gemacht und die Zuständigkeiten an die Länder übertragen. Es wird hier in den Kommunen noch viele Planspiele geben müssen.

Doch klar ist auch: Nicht nur die Nähe ist wichtig. Ein Krankenwagen, gut ausgestattet, der nach einem Schlaganfall sofort eine weiter entfernte Spezialstation anfährt, ist allemal besser als eine überfüllte Notaufnahme in der Nähe, die auf diese Fälle nicht vorbereitet ist. Da geht es im wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod. Schätzungen zufolge könnten so mehr als 4.000 Todesfälle jährlich vermieden werden. Und Umfragen zufolge ist für die meisten Menschen in Deutschland ohnehin bei Operationen die Spezialisierung eines Krankenhauses und eine hohe Behandlungsqualität wichtiger als eine kurze Entfernung vom Wohnort.

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