Interview zur Krankenhausreform : "Zeit ist gleich Gehirnmasse"
In Bundesländern mit vielen kleinen Kliniken werden Schlaganfall-Patienten nicht schnell genug versorgt. Die Reform soll das ändern, sagt Paula Piechotta (Grüne).
Frau Piechotta, die Krankenhäuser warten auf eine Finanzierungsreform. Was ändert sich durch das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz?
Paula Piechotta: Die Krankenhausreform ist primär eine Qualitätsreform. Es geht vor allem darum, wie es gelingt, dass deutsche Krankenhäuser Patientinnen und Patienten so versorgen, dass wirklich das gemacht wird, was den Gesundheitszustand verbessert.
Für eine höhere Qualität muss sich allerdings das System der Finanzierung ändern. In deutschen Krankenhäusern finden zu viele Operationen statt, die nicht sinnvoll sind, aber sehr gut vergütet werden. Das führt dazu, dass wir in Deutschland eines der teuersten Gesundheitssysteme Europas haben, aber in der Lebenserwartung im Vergleich in Westeuropa immer schlechter werden und Schlusslicht sind.
Paula Piechotta (Bündnis 90/Die Grünen) ist Fachärztin für Radiologie. Seit 2021 ist sie Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Haushaltsausschuss.
Auf der Internetseite Ihrer Fraktion heißt es, Sie wollen den Druck auf die Kliniken reduzieren, indem diese künftig keine Fallpauschalen mehr erhalten, die sich an der Zahl der Operationen und Behandlungen orientieren, sondern Vorhaltepauschalen, "die weitgehend unabhängig von der Zahl der behandelten Fälle sind". Was heißt weitgehend?
Paula Piechotta: Die Krankenhausreform will Anreize für die Kliniken setzen, nur Dinge zu tun, die medizinisch sinnvoll sind, ohne den Anreiz, möglichst wenige Patienten zu behandeln. Deswegen soll es nun eine Kombination geben: Krankenhäuser erhalten Geld dafür, dass sie schlicht da sind und Strukturen vorhalten, und zusätzlich gibt es noch einen kleineren Anteil Geld dafür, wie viele Patienten sie behandeln.
Die bestehenden Fallpauschalen sorgen bereits für ein extrem komplexes Vergütungssystem. Wird es durch die Vorhaltefinanzierung noch komplizierter, Stichworte Bürokratie und Dokumentation?
Paula Piechotta: Die Verwaltungs- und Abrechnungskomplexität im deutschen Gesundheitswesen ist bereits riesig. Da künftig 60 Prozent der Einnahmen einer Klinik über die Vorhaltevergütung finanziert werden sollen, müssen Kliniken in der Tat verstärkt nachweisen, dass sie bestimmte Strukturen auch wirklich vorhalten, um Leistungen qualitativ hochwertig zu erbringen.
Andererseits könnte die Streitintensität zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen über die Abrechnung einzelner Fälle sinken, da diese Mengenkomponente an Bedeutung verliert.
Welche Auswirkungen hat die Reform für kleine ländliche Kliniken?
Paula Piechotta: Die Krankenhausreform beinhaltet unheimlich viele Detailfragen. Dabei geht es auch um dünnbesiedelte Regionen in Ostdeutschland oder an der Nord- und Ostseeküste, und welche Ausnahmeregeln dort gelten sollen. Auch über die neuen Versorgungszentren auf dem Land müssen wir noch diskutieren. Allerdings wurde vieles auch schon in den Verhandlungen zwischen dem Bund und den Ländern detailliert verhandelt.
Ist die Reform wirklich ausdiskutiert? Bayern verbittet sich Eingriffe in seine Landeskrankenhausplanung, will notfalls vors Verfassungsgericht ziehen.
Paula Piechotta: Das Bundesgesundheitsministerium sieht in der Reform keinen Eingriff in die Kompetenz der Länder. Bayern macht mit dem Thema Stimmung. Nordrhein-Westfalen dagegen ist sehr konstruktiv.
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hat mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) aber auch nicht nur freundschaftliche Worte gewechselt.
Paula Piechotta: Aber Herr Laumann hat sehr wohl betont, dass wir die Krankenhausreform brauchen.
Aber auch NRW will weiter selbst über Klinikstandorte entscheiden.
Paula Piechotta: NRW hat bereits eine eigene Krankenhausreform eingeleitet, an der wir uns als Bund orientieren. Auch Sachsen wurde hier bereits aktiv. Insgesamt haben 14 von 16 Ländern ihre ureigenste Aufgabe der Krankenhausplanung einfach nicht wahrgenommen. Das führt dazu, dass in den Krankenhäusern viele Dinge gemacht werden, die den Gesundheitszustand der Patienten nicht verbessern, dass Therapien in Abteilungen stattfinden, die dafür keine ausreichende Expertise haben, aber zu enormen Kosten führen und zugleich das dringend benötigte Fachpersonal für Behandlungen binden, die keinem Patienten helfen, aber dem Krankenhaus viel Geld bringen.
Viele Mitarbeiter bekommen einen Burnout, weil sie sich zu Tode schuften und am Ende sehen, dass ihr Einsatz den Patienten zu oft nicht mal etwas bringt, weil sie viele Tätigkeiten nur aus Abrechnungsgründen verrichten sollen. Diese Zustände, die auch durch fehlende Landes-Krankenhausplanungen bedingt sind, haben inzwischen ein Ausmaß erreicht, dass diese zu häufig nicht qualitätsorientierten Krankenhausbehandlungen erhebliche Zusatzkosten für die Gesetzliche Krankenversicherung bedeuten. Für die Stabilität der Krankenkassen-Finanzen ist aber der Bund zuständig. Deswegen muss die Bundesregierung jetzt tätig werden.
Ein Beispiel für Routine und Zentralisierung ist die Schlaganfall-Versorgung. Wie wird sich diese verändern?
Paula Piechotta: Ich habe selbst als Ärztin in der Neurologie gearbeitet und Schlaganfall-Patienten versorgt, zuerst in Baden-Württemberg, dann in Sachsen. Besonders effektiv ist die Behandlung eines Schlaganfalls, wenn ein Katheter zum Einsatz kommen kann, mit dem sich das Blutgerinnsel aus dem Gehirn absaugen lässt und der Schlaganfall gar nicht erst seine Wirkung vollständig entfalten kann. Dabei gilt: Zeit ist gleich Gehirnmasse. Je länger es dauert, bis ein Patient behandelt wird, desto mehr Gehirnmasse stirbt ab.
In Baden-Württemberg habe ich erlebt, wie Schlaganfall-Patienten oft zuerst in eine kleine Klinik, in der es nicht mal einen Neurologen gab, gebracht wurden. Dort lagen dann Patienten bis zu mehreren Stunden, bis ein Schlaganfall erkannt wurde und wurden erst dann in ein Zentrum verlegt. Im Ergebnis verstrichen wertvolle Stunden bis zur Behandlung und die Patienten hatten schlechtere Behandlungsergebnisse.
In Ostdeutschland ist das überraschenderweise oft besser. Es gibt weniger kleine Krankenhäuser. In der Folge werden Schlaganfall-Patienten in manchen Regionen häufiger direkt in ein großes Krankenhaus gebracht, das sie gut behandeln kann. In Leipzig konnten wir Patienten oftmals bereits eine Stunde nach Symptombeginn behandeln und das Gerinnsel aus dem Hirn herausziehen. In Heidelberg kamen sie oft erst nach sechs oder mehr Stunden zu uns, insbesondere dann, wenn sie nicht direkt aus der Stadt kamen.
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Die Zentralisierung führt zur Frage, wie viele Kliniken schließen sollen.
Paula Piechotta: In Regionen, die schon in den 1990er Jahren einen Umbau ihrer Krankenhauslandschaft erlebt haben, wie bei uns in Ostdeutschland, müssen keine Kliniken schließen. Kleinen Kliniken wollen wir mit der Vorhaltefinanzierung helfen, mit klassischer Basisversorgung wirtschaftlich solide zu arbeiten. Dazu gehören beispielsweise Blinddarm-Operationen. Leider ist diese klassische Basismedizin heute für Kliniken finanziell nicht attraktiv. Das soll sich ändern.
Wie viele Klinikstandorte sollen im Westen des Landes schließen?
Paula Piechotta: Nochmal: Es geht nicht darum, Krankenhäuser zu schließen, sondern darum, die Behandlungsqualität zu verbessern.
Die Bedingungen für die Vorhaltepauschalen soll eine Rechtsverordnung festgelegen. Damit wird das Gesetz zu einer Black Box für die Krankenhäuser.
Paula Piechotta: Es ist normal, dass es zu Gesetzen Rechtsverordnungen gibt. Damit sich die Krankenhäuser darauf gut einstellen können, sind sehr lange Übergangsphasen verankert.