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Suizidhilfe : Rechtssicheres Sterben

Der Bundestag debattiert über drei Gesetzentwürfe zur Suizidhilfe. Die Vorschläge der Abgeordneten im Detail.

27.06.2022
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5 Min
Foto: picture-alliance/dpa/Uli Deck

2020 erklärten die Verfassungsrichterinnen und -richter die Regelung zur Sterbehilfe für nichtig. Nun wagt das Parlament einen neuen Anlauf.

Der Bundestag nimmt einen neuen Anlauf, die Suizidhilfe zu regeln. Nach einer Orientierungsdebatte im Mai debattierten die Abgeordneten vergangenen Freitag drei von fraktionsübergreifenden Gruppen eingebrachte Entwürfe in erster Lesung.

Gemein ist den Entwürfen, dass Sterbewillige nach unterschiedlich gearteter Beratung Zugang zu tödlich wirkenden Medikamenten erhalten sollen. Damit wird dem entsprochen, was das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 2020, das das bisherige Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe für nichtig erklärte, gefordert hatte. Abseits davon gibt es gewichtige Unterschiede: Zwei Entwürfe fokussieren auf das vom Bundesverfassungsgericht bekräftigte individuelle Recht auf selbstbestimmtes Sterben - und das Recht, dabei Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der dritte Entwurf will (und muss) das auch ermöglichen, hat aber vor allem die Schutzpflicht des Staates für das Leben im Blick und wendet sich gegen eine Normalisierung.

Verpflichtende Beratungsgespräche

Letztere Perspektive nimmt der Entwurf der Gruppe von 85 Abgeordneten um Lars Castellucci (SPD) ein. Grundsätzlich wollen die Abgeordneten die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung - wie in der von Karlsruhe für nichtig erklärten Fassung - verbieten und in Paragraf 217 des Strafgesetzbuches mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe versehen. Geschäftsmäßig meint eine auf Wiederholung angelegte Tätigkeit und bezieht sich damit zum Beispiel auf Sterbehilfe-Organisationen, Angehörige oder nahestehende Personen sollen ausdrücklich ausgenommen sein.

In Reaktion auf das Karlsruher Urteil ist die Suizidhilfe aber erlaubt, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Die sterbewillige Person muss - wie bei allen Entwürfen - volljährig und einsichtsfähig sein. Im Castellucci-Entwurf ist eine ärztliche Untersuchung durch einen Facharzt oder eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie vorgesehen - mindestens zweimal im Abstand von mindestens drei Monaten. Ausnahmen sollen für Schwerstkranke möglich sein. Durch die Untersuchungen soll festgestellt werden, ob eine die Entscheidungsfindung beeinträchtigende Erkrankung vorliegt und der Sterbewunsch "von freiwilliger, ernsthafter und dauerhafter Natur" ist. Hinzu kommt mindestens ein ergebnisoffenes Beratungsgespräch mit einer weiteren Ärztin, einer psychosozialen Beratungsstelle oder bei der Schuldnerberatung. Nach der finalen Untersuchung ist eine Wartefrist von zwei Wochen vorgesehen, bis die Selbsttötung erfolgen darf, maximal dürfen zwei Monate vergangen sein.

Übereilte Entscheidungen sollen verhindert werden

Die Abgeordneten begründen die im Vergleich ausgeprägten Voraussetzungen an Zeitablauf und Untersuchung mit der Volatilität von Suizidwünschen, heißt: Man will übereilte Entscheidungen verhindern. Das grundsätzliche Verbot soll der Normalisierung und einem gesellschaftlichen Klima entgegenwirken, in dem sich Menschen unter Druck gesetzt fühlen, ihr Leben so zu beenden. Das drückt sich auch in dem im Entwurf vorgesehenen, ebenfalls strafbewehrten Werbeverbot aus.

Unterstützt wird der Castellucci-Entwurf von Abgeordneten aus allen Fraktionen mit Ausnahme der AfD, deren Abgeordnete an keinem der Entwürfe beteiligt sind. Darunter sind die Ex-Gesundheitsminister Hermann Gröhe und Jens Spahn (beide CDU), SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, Konstantin von Notz (Grüne), Justiz-Staatssekretär Benjamin Strasser (FDP) sowie Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke).

Recht auf selbstbestimmten Tod

Einen grundsätzlich anderen, strafrechtsfreien Ansatz hat die Gruppe von 68 Abgeordneten um die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr gewählt. Ihnen geht es laut Begründung darum, "das Recht auf einen selbstbestimmten Tod legislativ [abzusichern] und [klarzustellen], dass die Hilfe zur Selbsttötung straffrei möglich ist" Sie schlagen dazu ein "Gesetz zur Wahrung und Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts am Lebensende" vor. Voraussetzung für die Verschreibung eines tödlich wirkenden Medikaments durch einen Arzt oder eine Ärztin ist unter anderem ein Beratungsgespräch bei dafür einzurichtenden Beratungsstellen. Die Verschreibung soll grundsätzlich frühestens zehn Tage nach der Beratung und spätestens acht Wochen danach erfolgen. Das Gespräch ist laut Entwurf "ergebnisoffenen zu führen und darf nicht bevormunden". Es soll - wie im Grundsatz auch bei den anderen Entwürfen - "die Informationen vermitteln, die dazu befähigen, auf einer hinreichenden Beurteilungsgrundlage realitätsgerecht das Für und Wider einer Suizidentscheidung abzuwägen". Diverse Aspekte, darunter die "Prävention gegen die Etablierung rein auf Gewinnstreben ausgerichteter, insbesondere institutionalisierter, Angebote" sollen über eine Verordnung reguliert werden können. Zu den Unterstützern gehören Abgeordnete aus den Fraktionen von SPD, FDP, Grünen und Linken, darunter Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP), Petra Sitte (Die Linke) und Till Steffen (Grüne).

Künast-Entwurf fordert weitere Differenzierung

Sehr ähnlich intendiert, aber mit differenzierteren Regelungen kommt der Entwurf von 45 Abgeordneten um Renate Künast (B90/Die Grünen) für ein "Gesetz zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben" daher. Unterschieden wird zwischen Sterbewilligen in medizinischer Notlage und anderen Sterbewilligen. Erstgenannte sollen ihren Sterbewunsch gegenüber einem Arzt bekunden und von diesem über Alternativen wie palliativmedizinische Angebote aufgeklärt werden. Eine zweite Ärztin soll die Erfüllung der Voraussetzungen überprüfen, dazwischen sollen zwei Wochen vergehen. Abseits davon soll die Abgabe eines tödlich wirkenden Medikaments bei einer von den Ländern zu benennende Stelle beantragt werden können - und ist zu genehmigen, wenn der Sterbewillige seinen Sterbewunsch glaubhaft darlegt und innerhalb von mindestens zwei und maximal zwölf Monaten zwei Beratungsgespräche absolviert hat.

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Der Entwurf sieht auch vor, dass das Medikament unter bestimmten Voraussetzungen und auf Wunsch des Sterbewilligen zunächst an Dritte, etwa Sterbehilfe-Organisationen, abgegeben werden kann. Diese Organisationen sollen dem Entwurf nach einer Zulassung bedürfen. Voraussetzung soll unter anderem sein, dass geschäftsmäßige Hilfsanbieter nicht aus kommerziellen Interessen tätig sein. Nach Abgabe des Mittels hat der Sterbewillige grundsätzlich ein Jahr Zeit, den Sterbewunsch umzusetzen. Als Straftat soll laut Entwurf die missbräuchliche Beantragung des Medikaments gelten, unter anderem grob anstößige Werbung soll als Ordnungswidrigkeit belangt werden können.

Unterstützt wird der Vorschlag von Abgeordneten aus den Fraktionen von SPD und Grünen, darunter Nina Scheer (SPD), Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann.

Noch keine Mehrheit in Sicht

Ausweislich der Anzahl der mitzeichnenden Abgeordneten sind alle Entwürfe noch weit von einer Mehrheit entfernt. Die intensiven Diskussionen verlagern sich nun in die Ausschüsse. Federführend beraten werden die Vorlagen im Rechtsausschuss. Dort wird auch ein fraktionsübergreifender Antrag behandelt werden, der die Stärkung der Suizidprävention zum Ziel hat.