Soldaten als Katastrophenhelfer : Wann die Bundeswehr im Inland tätig werden darf
Einsätze bei Hochwasser, Pandemie und Aufständen sind durch das Grundgesetz geregelt. Wie wie weit reichen die Befugnisse?
Deutsche Soldaten im Einsatz kennen die meisten Bundesbürger nur aus dem Fernsehen, wenn sie im Ausland im Einsatz sind. Doch während der Flutkatastrophe im Ahrtal im Sommer 2021 starteten Helikopter der Streitkräfte etwa, um Familien von Dächern zu retten; Soldaten und Soldatinnen halfen mit Schaufeln und Pionierpanzern, mit Kränen, Aufklärungsflugzeugen und Feldküchen. Auch in der Corona-Pandemie begegnete mancher Uniformierten, wenn sie beispielsweise in den Impfzentren Bescheinigungen aufs Smartphone übertrugen. Waffen kamen dort natürlich nicht zum Einsatz, auch waren die Bundeswehrangehörigen nicht als Vertreter hoheitlicher Staatsgewalt tätig.
Befugnisse im Grundgesetz geregelt
Doch wie weit reichen die Befugnisse von Heer, Luftwaffe oder Marine in Friedenszeiten im eigenen Land? Und was, wenn Gewalt im Spiel ist - sei es bei einem Terroranschlag wie auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 oder falls "Querdenker" oder "Putinversteher" militant werden sollten? Zumal wenn im bevorstehenden Winter wegen Gasmangels in Wohnzimmern womöglich gefroren wird. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat immerhin kürzlich den "Phänomenbereich verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" eingeführt. Was die Bundeswehr darf, ist im Grundgesetz geregelt - allerdings ausgesprochen unübersichtlich. Ausgangspunkt ist dessen Artikel 87a: Nach dessen Absatz 1 stellt der Bund "Streitkräfte zur Verteidigung" auf. Absatz 2 schreibt vor, dass diese ansonsten nur eingesetzt werden dürfen, soweit die Verfassung es zulässt.
Während es dann in Absatz 3 um die Befugnisse im Krieg und im Spannungsfall geht, richtet Absatz 4 den Blick auf Friedenszeiten und das Inland.
"Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes" kann demnach die Armee "beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer" eingesetzt werden - aber nur "zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes", seit dem Jahr 2005 Bundespolizei und soweit deren Kräfte nicht ausreichen.
Bund darf bei einem "inneren Notstand" intervenieren
Zugleich müssen die Voraussetzungen von Artikel 91 Absatz 2 erfüllt sein. Nach diesem darf der Bund bei einem "inneren Notstand" in einem oder mehreren Ländern intervenieren, wenn sie "nicht selbst zur Bekämpfung der Gefahr bereit oder in der Lage" sind. Weitere Kompetenzen eröffnet Artikel 35: durch Rechts- und Amtshilfe sowie "bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall". Unter Naturkatastrophen versteht der Rechtswissenschaftler Heinrich Amadeus Wolff von der Universität Bayreuth, der kürzlich zum Bundesverfassungsrichter ernannt wurde, "Ereignisse, die ihre Ursachen in einem Naturgeschehen haben" - etwa Erdbeben, Großbrände und Überschwemmungen, wie Wolff in einem Gesetzeskommentar schreibt. Unglücksfälle beruhten hingegen auf technischen Unzulänglichkeiten oder menschlichem Fehlverhalten, was absichtlich herbeigeführte Schadensereignisse einschließe.
Helmut Aust, Juraprofessor an der Freien Universität Berlin, sieht bei all dem einen roten Faden: "Der Einsatz der Bundeswehr ist von der Verfassung nur subsidiär vorgesehen." Mit Waffengewalt könne sie im Inland allenfalls bei einem bewaffneten Konflikt tätig werden. Die Unterstützung in den Corona-Impfzentren sei unproblematisch, weil es sich nicht um einen Einsatz mit militärischem Gepräge handelt.
Die Streitkräfte sind längst ein unverzichtbarer Bestandteil der Katastrophenhilfe. Dies haben sie immer wieder bewiesen.
Der Bund ist zuständig für den Zivilschutz, die Länder und Gemeinden für den Katastrophenschutz. Wie greift im Fall der Fälle eine Hand in die andere?
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Bei einem terroristischen Anschlag hätte Professor Helmut Aust wenig Bedenken, zumal wenn es nicht um die Verwendung militärischer Zwangsmittel, sondern um die Sicherung der Unglücksstelle gehe. "Außerdem unterliegt die Bundeswehr dann dem Recht der anfordernden Stelle" - müsse sich also an die Vorgaben des Polizeirechts halten. Eine Grenze hat das Bundesverwaltungsgericht aufgezeigt, als es den Tiefflug eines Tornado-Aufklärungsflugzeugs über einem Demonstranten-Camp verwarf. Und bis Mai 2020 hatte die Bundeswehr im Zusammenhang mit der Covid-Welle 567 Anträge von zivilen Behörden auf Unterstützung erhalten, wie die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken mitteilte: 192 davon wurden abgelehnt.
Der Autor ist Mitglied der Chefredaktion der "Neuen Juristischen Wochenschrift" und Honorarprofessor an der Universität Mannheim.